Das zurzeit wichtigste Thema für die meisten unserer Kunden ist keine große Überraschung: Inflation. Wie soll man ein Portfolio darauf ausrichten?
Nur knapp dahinter folgt etwas, das uns schon seit fast zehn Jahren beschäftigt: Wie kann man ein Aktienportfolio vor Verlusten schützen, wenn die Anleiherenditen so niedrig sind?
Inflation ist meist ein Thema für die Mitte des Konjunkturzyklus, Aktienrisiken sind eines für das Ende. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres mit ihrem enormen Rohstoffpreisanstieg, den Gewinnen konjunktursensitiver Aktien und den steigenden Staatsanleiherenditen sah es aber eher nach der Frühphase aus.
Verwirrt? Da sind Sie nicht allein. Diese Rezession und die anschließende Erholung sind wirklich einzigartig. Umso wichtiger ist Portfoliodiversifikation. Aber sie ist nicht einfach.
Goldene Zwanziger oder zurück auf Los?
Hat Corona einfach nur eine Rezession im Zeitraffertempo ausgelöst, von der wir uns jetzt ebenso schnell wieder erholen? Kehrt jetzt die scheinbar endlose Stagnation zurück, die wir aus den Jahren vor 2020 zur Genüge kennen? Oder beginnt eine neue Zeit mit strukturell höherem und vielleicht volatilerem Wachstum und stärkeren Inflationsschwankungen, eine Art Goldene Zwanziger, aber mit Hightech?
Denkbar scheint beides. Das erklärt, warum viele Investoren Verlustrisiken und Inflation gleichermaßen umtreiben.
Dieses Jahr sah es meist nach den Goldenen Zwanzigern aus, am Finanzmarkt ebenso wie am Arbeitsmarkt, und auch die Konjunkturdaten waren entsprechend. In den letzten Tagen oder Wochen haben aber manche Zahlen enttäuscht. Das würde eher zu der Vorstellung passen, dass wir den Gipfel schon erreicht haben und jetzt die Rückkehr zum ewig Gleichen bevorsteht.
Inflationsschutz
Umso interessanter ist, was die Teilnehmer eines unserer letzten Webinare dachten. Dabei ging es um Investieren bei Inflation.
Wie eine kleine Umfrage ergab, rechneten die meisten der über 100 Zuhörer aus verschiedenen Ländern eher mit der Rückkehr zum Gewohnten. Zwei Drittel hielten die aktuelle Inflation für vorübergehend. Keine wichtige Notenbank würde die Kontrolle über das Preisniveau verlieren.
Und doch lauschten sie fast eine Stunde lang unseren Ausführungen über die Vorbereitung eines Portfolios auf eine vielleicht nachhaltig höhere Teuerung. Fast die Hälfte sagte, dass sie ihre Portfoliopositionierung wegen der Inflationserwartungen geändert hätten oder dies planten. Nur 23% erklärten, darauf zu verzichten.
Wir ziehen daraus zwei Schlüsse.
Zunächst einmal muss man keine strukturell höhere Inflation erwarten, um über Inflationsschutz nachzudenken. In den letzten fünf Monate hat sich vielleicht gezeigt, dass viele Portfolios nicht auf eine höhere Inflation vorbereitet sind. Schließlich waren die Preise zehn Jahre lang stabil und inflationssensitive Anlagen haben enttäuscht.
Zudem dürften Anleger beim Inflationsschutz auf Ausgewogenheit achten und nicht Haus und Hof auf eine strukturell höhere Inflation setzen.
Herausforderung Asset-Allokation
In gewisser Weise ist dies nur eine Variante der üblichen Herausforderungen bei der Absicherung von Aktienrisiken. Traditionell schützen Staatsanleihen der Kernländer vor einer höheren Teuerung. Jetzt sind ihre Renditen so niedrig, dass sie Aktienverluste kaum mindern können. Wenn Wirtschaft und Aktienmarkt aber weiter boomen, sind die Verluste groß.
Wir raten deshalb schon lange zu alternativen unkorrelierten Instrumenten wie Katastrophenanleihen, chinesischen Onshore-Anleihen oder unkorrelierten Strategien auf der Basis klassischer Aktien und Anleihen. Interessant können auch Optionen sein, die von volatileren Aktienmärkten profitieren.
Wenn die Inflation steigt, halten wir auch eine Reihe anderer Assetklassen für interessant. Dazu zählen Rohstoffe, Immobilien (und Immobilienaktien, die hinreichend liquide sind, damit man schnell auf veränderte Inflationserwartungen reagieren kann), inflationsindexierte Anleihen wie Treasury Inflation-Protected Securities (TIPS), erstrangige Loans und – im Aktienbereich – Substanzwerte. /p>
Inflationsschutz und Risiken
Mit solchen Anlagen verliert man nicht Haus und Hof, wenn die Inflation doch niedrig bleibt, sondern hat ein ausgewogenes Gleichgewicht aus Inflationsschutz und Risiko.
Rohstoffe und Substanzwerte reagieren meist stark auf die Inflation, und zwar vor allem auf Überraschungen. 41% unserer Webinar-Teilnehmer meinten, dass Gold und andere Rohstoffe am besten schützen. Rohstoffe sind aber volatil und geben im Abschwung oft stark nach. Variabel verzinsliche, erstrangige Loans bieten meist ausreichenden Schutz bei moderaten Risiken. Immobilienaktien wiederum sind mit Sachwerten korreliert und stellen laufenden Ertrag in Aussicht. Beides schützt meist gut vor Inflation und sorgt im Abschwung für Stabilität. Jeder fünfte Teilnehmer unserer Umfrage hielt Immobilien für den besten Inflationsschutz.
Traditionell spielen auch inflationsindexierte Anleihen eine große Rolle, da sie sehr inflationssensitiv und risikoarm sind. Aber auch sie sind Staatsanleihen mit niedrigen Renditen und langer Duration, was sie zurzeit nicht unbedingt interessant macht. Nur 14% der Teilnehmer hielten sie für den besten Inflationsschutz, noch hinter Aktien.
Ausgewogenheit ist wichtiger denn je
Alles in allem zeigen unsere Gespräche mit Kunden und die Einschätzungen der Webinar-Teilnehmer, dass ein wirklich ausgewogenes, diversifiziertes Portfolio gerade jetzt nicht leicht zu konstruieren ist.
Die Unsicherheit ist groß, in der Wirtschaft wie an den Märkten. Traditionellen Konjunkturindikatoren fehlt eine klare Richtung. Die klassischen Instrumente zur Diversifikation von Disinflations- und Inflationsrisiken könnten zu teuer sein, um wirklich zu nützen. Wir meinen, daher, dass Investoren Alternativen brauchen. Diese müssen aber, passend yu ihren Risiken und ihrer Volatilität, ebenfalls gut diversifiziert sein.
Vor allem aber sehen wir, dass Investoren eines immer klarer wird: Ein Portfolio kann leicht unausgewogener sein, als es scheint, obwohl Ausgewogenheit wichtiger ist denn je.
Erik Knutzen, Chief Investment Officer – Multi-Asset Class, Neuberger Berman