Steigende Inflation und nachlassendes Wachstum.
Ein bitterer wirtschaftlicher Cocktail, der von vielen Anlegern gefürchtet wird, und unserer Meinung nach die Hauptursache für die Marktvolatilität im letzten Monat ist. Sorgen machen vor allem steigende Kosten und Zweifel am Wachstum Chinas. Wenn dann noch der widerwillige und ohnehin nicht nachhaltige Kompromiss zur US-Schuldenobergrenze hinzukommt, haben viele Anleger wirklich genug. Zum ersten Mal in diesem Jahr ist der S&P 500 Index um 5% gefallen. Unterdessen legten die Staatsanleiherenditen der Kernländer kräftig zu.
Der schwierige Wechsel vom Aufschwung nach Corona zu einem stabileren Wachstum verdeckt die aus unserer Sicht noch immer guten Fundamentaldaten. Dabei ist uns bewusst, dass die Volatilität zunächst noch anhalten könnte.
Zur Vorbereitung auf die nächsten Wochen hat unser Asset Allocation Committee (AAC) – dessen neuer Outlook bald erscheint– erstmals seit 18 Monaten begonnen, die Risiken zu verringern. Aber wo investieren wir, wenn die Staatsanleiherenditen in den Kernländern so niedrig sind?
Fragezeichen
Zurzeit erwarten wir zwar kein deutlich schwächeres Wachstum, rechnen aber auch nicht mehr mit einem weiteren Anstieg. Alles ist für eine weiche Landung bereitet: Haushalts- und Unternehmenskassen sind gut gefüllt, die Löhne steigen, die Investitionen nehmen zu, und die Geldpolitik ist großzügig. Kurzfristig gibt es aber viele Unsicherheitsfaktoren.
Der langsame Zusammenbruch von Evergrande und die vielen Regulierungsverschärfungen der letzten Zeit wecken Zweifel, ob China weiterhin ein globaler Wachstumsmotor sein kann.
Der Showdown zur US-Schuldenobergrenze wurde erst einmal um sechs Wochen verschoben. Aber noch immer ist man sich über die Gewinner und Verlierer von Bidens gewaltigen und noch immer viel diskutierten Steuer- und Ausgabenplänen uneins. Die Auswirkungen von „Build Back Better“ könnten noch in zehn Jahren zu spüren sein, wenn nicht darüber hinaus – und das Programm könnte dabei fast alle Lebensbereiche beeinflussen. Zugleich droht aber weltweit ein negativer Fiskalimpuls, wenn die Corona-Notmaßnahmen aufgehoben werden oder auslaufen.
Vielleicht brauchen die Märkte noch ein paar Wochen, bis sie sich über die Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum einig sind.
Nicht nur Erdgas
Hinzu kommen die Inflationssorgen.
Nach seinem massiven Anstieg hat sich der Erdgaspreis letzte Woche etwas stabilisiert. In Großbritannien hatte er sich in nur drei Monaten verdoppelt, die europäischen Terminpreise hatten sich in vier Monaten verdreifacht, und der amerikanische Terminmarkt notiert auf dem höchsten Stand seit 13 Jahren.
Es geht aber um mehr. Den Einkaufsmanagerindizes zufolge sind Lieferkettenstörungen und Engpässe allgegenwärtig. In Europa steigen die Faktorkosten so stark wie nie, und US-Unternehmen berichten über Kapazitätsengpässe und Schwierigkeiten, Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten. Am Freitag zeigte der Arbeitsmarktbericht einmal mehr ein enttäuschendes Beschäftigungswachstum, während die Stundenlöhne erneut zulegten, zuletzt um 4,6% zum Vorjahr. Die Engpässe am Arbeitsmarkt sind unübersehbar.
Zwar rechnen wir in den nächsten Wochen und Monaten mit einer gewissen Entspannung, doch wie Brad Tank letzte Woche schrieb – und wie man es auch an den Renditen lang laufender Staatsanleihen und der Break-even-Inflation ablesen kann – spricht viel dafür, dass die Inflation zumindest teilweise strukturell und damit dauerhaft ist. Erneut könnten uns mehrere volatile Wochen bevorstehen, bis die Märkte dies verarbeitet haben.
Kreative Asset-Allokation
Deshalb ist unser Asset Allocation Committee bei seinen kurzfristigen Einschätzungen jetzt vorsichtiger. Aber was bedeutet das genau, wenn die Staatsanleiherenditen so niedrig sind? Wie wir vor einigen Wochen schrieben, muss die Asset-Allokation kreativ sein, wenn sich die Welt nicht für einen klassischen 60/40-Ansatz eignet.
Wir schätzen Geldmarktanlagen und ausgewählte Hedgefonds-Strategien daher jetzt optimistischer ein, vor allem Event-driven- und Insurance-linked-Ansätze, und bleiben bei unserer Vorliebe für nicht börsennotierte Titel. Weniger offensichtlich ist vielleicht, weshalb wir amerikanische Large Caps zugunsten von nicht amerikanischen Aktien und Emerging-Market-Titeln jetzt niedriger gewichten. Aber sie scheinen wegen ihrer Bewertungen weniger riskant, auch wenn sie genauso stark auf die Weltkonjunktur reagieren.
Sinnvoll erscheint uns ein konservativerer Ansatz, weil der Wechsel vom Aufschwung zum stabilen Wachstum schon jetzt für Volatilität sorgt. Wenn sich der Staub gelegt hat, dürften sich auch die Märkte einen fundamental stabilen Mittelfristausblick zu eigen machen. Wer heute vorsichtig ist, kann die Chancen von morgen dann vielleicht besser nutzen.
Erik Knutzen, Chief Investment Officer – Multi-Asset Class, Neuberger Berman
Asset Allocation Committee 4Q2021
Für Informationen zu unserem Asset Allocation Committee Outlook für das vierte Quartal 2021 können Sie sich die Bröschure hier runterladen.