Im Oktober schrieben wir, dass die Märkte „einen Großteil der kurzfristigen Sorgen vor einer neuen Coronakrise hinter sich gelassen“ haben. Dafür seien die Konjunkturrisiken gestiegen – nachlassendes Wachstum, eine höhere Inflation und eine straffere Geldpolitik. In den letzten Wochen ging es in unseren Perspectives, sowohl bei Brad Tank und seinem Anleihenteam, als auch bei Erik Knutzen und letzte Woche bei Robert Surgent, daher häufiger um diese Themen statt um die Extremrisiken der Pandemie.
Weil die Volatilität der letzten beiden Wochen mit der neuen Omikron-Variante zusammenfiel, mögen manche dies anders sehen. Aber wir bleiben dabei: Wir glauben noch immer, dass die Volatilität mehr mit Konjunktur, Inflation und Geldpolitik zu tun hat als mit allem anderen. Das bedeutet, dass die Märkte wohl unabhängig von Omikron bis ins neue Jahr hinein volatil bleiben.
Vorsichtig oder zu vorsichtig
Natürlich ist Corona noch nicht vorbei. In den letzten beiden Monaten sind die Inzidenzen weltweit gestiegen. Die Entdeckung der Omikron-Variante, die nach ersten Erkenntnissen ansteckender und vielleicht auch impfresistenter ist als frühere Varianten, mahnt zur Vorsicht.
Offensichtlich schützen die Impfstoffe und andere Medikamente aber noch immer vor schweren Verläufen – und auch wenn die Analysen gerade erst begonnen haben, scheint die neue Virusvariante doch harmloser zu sein. Wenn sich ein in diesem Sinne ungefährlicheres Virus weltweit durchsetzt, könnte die Coronakrise schneller vorbei sein.
Da wir jetzt gegen Corona impfen können, rechnen ohnehin nur noch wenige Investoren mit einem langen harten Lockdown wie 2020. Allenfalls fürchtet man, dass es die Regierungen mit vorübergehenden Kontaktbeschränkungen übertreiben. Dann könnten die Lieferengpässe noch länger anhalten und das Wirtschaftswachstum bei steigender Inflation noch stärker nachlassen. Viele Anleger hatten das ohnehin schon erwartet.
Schnelleres Tapering
Auffällig ist, dass Omikron mit einer deutlich schärferen Rhetorik der Fed zusammenfiel.
Am Dienstag, dem 30. November, verkniff sich Chairman Jerome Powell den üblichen Hinweis auf die „vorübergehende“ Inflation, an den wir uns so sehr gewöhnt hatten. Stattdessen hieß es, dass die Wertpapierkäufe schon „einige Monate“ früher beendet werden könnten. Letztlich gab die Notenbank damit zu, die Inflation falsch eingeschätzt zu haben. Eigentlich ist das keine Überraschung, aber die Märkte waren trotzdem irritiert.
Wir glauben, dass dies zu mehr Volatilität geführt hat. Als die Märkte Powells Worte verarbeiteten, fielen die Kurse. Monatelang hatten die Anleger wegen der steigenden Inflation eine zu späte Straffung der Geldpolitik befürchtet, doch jetzt machte ihnen das Gegenteil Sorgen: eine zu schnelle Straffung, während Omikron die Konjunktur bedroht. Der US-Arbeitsmarktbericht vom 3. Dezember war uneinheitlich. Das Beschäftigungswachstum hat zwar enttäuscht, aber die Arbeitslosenquote ging stark zurück, und die Partizipationsquote stieg. Diese widersprüchlichen Zahlen sorgten nur für noch mehr Unsicherheit. An den Anleihemärken rechnet man jetzt erst später im neuen Jahr mit dem ersten Zinsschritt.
Letzte Woche hatte sich die Einschätzung dann aber mehr als umgekehrt: Jetzt hält man eine Zinserhöhung bereits im Mai wieder für wahrscheinlicher als vor Omikron. Das dürfte kaum allein oder überwiegend mit dem Virus zu tun haben. Eher schon rechneten die Anleger mit einer erneut hohen US-Inflation, und so kam es dann auch: Am Freitag stieg die Teuerung im Vorjahresvergleich auf 6,8%, so viel wie zuletzt 1982. Man war sich jetzt recht sicher, dass die Fed, wie von Powell letzte Woche angedeutet, das Tapering beschleunigt.
Große Veränderungen
Wenn sich der Omikron-Nebel lichtet, sehen wir bei der Konjunktur wieder klarer. Wie entwickelt sich das Wirtschaftswachstum? Wie die Inflation? Was tun die Notenbanken? Und, vor allem, wie schnell und stark kann die Geldpolitik gestrafft werden, ohne dass Anleihen und Aktien Probleme bekommen?
Entscheidend bleibt für uns die Fed. Für Aktien ist Inflation kein größeres Problem, solange die Fed die steigenden Preise akzeptiert. Wenn sie die Geldpolitik aber massiv strafft, reagieren die Märkte meist heftig.
Noch kennen wir die Antworten nicht, und das ist wohl auch der Grund für die Volatilität, die bis weit ins neue Jahr hinein anhalten könnte. Recht sicher sind wir uns aber, dass für eine weiche Landung bei den derzeitigen Bewertungen nur wenig Spielraum besteht. In den letzten drei Jahren ist der S&P 500 Index um über 20% p.a. gestiegen. So kann es nicht weitergehen.
Die Impfstoffentwicklung könnte 2021 in der Pandemie die Wende gebracht haben. Wie wir in unseren Perspectives zuletzt oft geschrieben haben, könnte sich auch im neuen Jahr sehr viel ändern – diesmal aber wohl wegen der US-Geldpolitik.
Joseph V. Amato, President und CIO Equities bei Neuberger Berman