Letzte Woche stellten die Notenbanken weltweit ihre Truppen neu auf. Nicht mehr COVID-19, sondern die Inflation ist jetzt der wichtigste Gegner.
Einen Tag, nachdem die Fed ihre Pläne änderte, wenige Stunden nach der Erklärung der EZB und kurz nach der ersten Zinserhöhung der Bank of England sprach das Asset Allocation Committee von Neuberger Berman über seine Einschätzungen für 2022.
Anfang des neuen Jahres berichten wir darüber ausführlich. Hier sind aber schon einmal die ersten Nachrichten von der Front.
Ein gutes, aber volatileres Jahr
Grundsätzlich waren sich die Ausschussmitglieder über zwei Dinge einig.
Erstens rechnen wir mit einem akzeptablen Jahr für Wachstumswerte und risikobehaftete Titel. Aktien werden vor Credits liegen und Credits vor Staatsanleihen. Jegliche durch steigende Realrenditen verursachten Schwächen bei Aktienbewertungen und High-Yield Kursendürften durch mehr Ergebnisswachstum und höheren Carry mehr als ausgeglichen werden.
Und doch waren wir uns einig, dass Investoren 2022 aufgrund steigender Zinesen und strafferer Finanzbedingungen mit mehr Volatilität und neuen Herausforderungen rechnen müssen. Schließlich muss die Inflation bekämpft werdenund wir nähern uns mit Riesenschritten der nächsten Phase des Konjunkturzyklus. Deswegen rechnen wir nur mit einer „akzeptablen“ Entwicklung und nicht mit einem neuen Superjahr wie 2021. Wie schrieb Joe Amato letzte Woche? Der S&P 500 Index kann nicht für immer jedes Jahr um 20% steigen.
Weniger einig waren wir uns aber darüber, wann im neuen Jahr die Volatilität zunimmt. Diskussionen gab es auch über die Marktreaktion auf das, was wir alle für das Wichtigste halten: Inflation, Geldpolitik und Realzinsentwicklung.
Straffer
Deshalb waren die Nachrichten der letzten Woche so wichtig für den Ausblick für 2022.
Die norwegische Notenbank hat ihren Leitzins zum zweiten Mal erhöht, die Bank of England zum ersten Mal in über drei Jahren. Selbst die unverbesserlichen Tauben der EZB kündigten eine Verringerung ihres Pandemie-Notfallkaufprogramms bis März an – behalten das reguläre Kaufprogramm aber bei.
Die Fed erklärte, dass sie ihr Tapering bis März abschließen wolle, und der Dot Plot geht jetzt von drei Zinserhöhungen im neuen Jahr aus – nur drei Monate, nachdem man noch nicht einmal fest mit einem Zinsschritt rechnete. Chairman Jerome Powell äußerte sich wesentlich schärfer zu Inflation und Arbeitsmarktengpässen.
Vor drei Wochen schrieb Robert Surgent, dass die Reaktion der Anleger auf das Tapering viel über die Marktentwicklung bis zum Ende des Konjunkturzyklus aussagen könnte. Bis jetzt haben die Märkte uneinheitlich auf die ersten Absichtserklärungen der Notenbanken reagiert.
Am Tag der Fed-Sitzung blieben US-Staatsanleihen und der US-Dollar stabil, und Aktien legten kräftig zu – nicht nur Small Caps und Substanzwerte, sondern auch hochkapitalisierte Wachstumsaktien und Technologietitel, die doch eigentlich unter höheren Realzinsen leiden sollten. Bis Donnerstag, als die Bank of England und die EZB auf den Plan traten, änderte sich an den Staatsanleihekursen nichts. Wachstums- und Technologieaktien waren aber wieder gefallen und haben den S&P 500 Index mitgezogen. Bei Redaktionsschluss am Freitag dominierte noch immer der Pessimismus.
Fallende Kurse - aber wann?
Die Kursbewegungen von Donnerstag scheinen jene AAC-Mitglieder zu bestätigen, die vor allem zu Jahresbeginn mit hoher Volatilität rechnen. Auch ich habe dafür eine gewisse Sympathie.
Wenn das Tapering bis März abgeschlossen ist und die Fed keinen Zweifel daran lässt, dass dann sofort die Zinsen normalisiert werden, sind zwei Zinserhöhungen bis zur Jahresmitte durchaus vorstellbar. Wenn die Liquidität dann nachlässt, die Nominalzinsen allmählich steigen und die Inflation langsam zurückgeht, steigen die Realzinsen. Die Aktienbewertungen fallen, und die Investoren rechnen durchweg mit strafferen Finanzbedingungen. In diesem Szenario sind jetzt schon alle Bedingungen für fallende Kurse erfüllt. Volatilität wäre die Folge, und risikobehaftete Titel würden schon in der ersten Jahreshälfte nachgeben.
Die positiveren Reaktionen vom Mittwoch könnten aber auch für eine recht gute erste Jahreshälfte sprechen – mit Problemen erst in der zweiten.
Die Konjunktur, so das Argument, würde einstweilen stark bleiben – und die Märkte würden entschlossene Notenbanken schätzen. Die Zinsschritte würden dann als eine rasche, entschlossene Maßnahme gewertet, die Wachstum bei niedrigerer Inflation ermöglicht. Auf noch mehr Zinserhöhungen könnte man dann verzichten.
Wenn die Notenbanken die Inflation so schnell besiegen, könnte 2022 ein überraschend ruhiges Jahr werden. Die Anhänger dieser Position betonen aber auch, dass man an den Anleihemärkten mit einem sehr starken Inflationsanstieg in der zweiten Jahreshälfte rechnet. Hier sind sie skeptisch. Wenn die Inflation unerwartet hartnäckig ist, könnten Investoren meinen, dass es ohne positive Realzinsen nicht geht, mit allen bekannten Kollateralschäden. Einige Ausschussmitglieder rechnen deshalb sogar mit mehr Marktturbulenzen in der zweiten Jahreshälfte.
Ein härterer Kampf
Fassen wir zusammen: Der Ausschuss ist davon überzeugt, dass die Asset-Allokation im neuen Jahr nicht so einfach sein wird wie im alten. Auch sind wir uns einig, wo im neuen Jahr die Musik spielt: Inflation, Geldpolitik, Realzinsen. Uneins sind wir uns aber noch darüber, wann genau es so weit ist.
In unserem neuen Asset Allocation Committee Outlook werden wir das genauer untersuchen. Außerdem berichten wir darüber, was das für unsere Markteinschätzungen bedeutet.
Davon wird auch abhängen, wie wir uns im neuen Jahr taktisch positionieren. Wo werden wir in zwölf Monaten stehen? Die steigenden Unternehmensgewinne und der hohe Carry sprechen für risikobehaftete Titel, aber auch für Vorsicht und Strategien, mit denen man die absehbare Volatilität nutzen oder zumindest abfedern kann. Auf jeden Fall wird auch 2022 nicht langweilig.
Erik Knutzen, Chief Investment Officer – Multi-Asset Class, Neuberger Berman