Erik Knutzen, Chief Investment Officer – Multi-Asset Class, Neuberger Berman:
Letzte Woche fand Solving for 2022 statt, unsere jährliche europäische Investmentkonferenz. Das zweite Jahr in Folge trafen wir uns online.
Es ist schade, dass Omikron ein persönliches Treffen mit unseren Freunden und Kunden verhindert hat. Andererseits führte das Onlineformat zu einer wesentlich größeren Beteiligung an unserer traditionellen Frage: Welche Assetklassen werden 2022 vorn liegen? Hier sind die Ergebnisse.
An der Spitze standen einmal mehr Aktien, aber nur knapp. Mit 51% war der Anteil derer, die Aktien vorn sehen, deutlich niedriger als im Vorjahr. Die meisten Stimmen wanderten zu Rohstoffen, auf die dieses Jahr 43% entfielen. 2021 waren es nur 19% gewesen. Auch für Geldmarktanlagen wurde man optimistischer: Ihr Anteil stieg von 3,5% auf 5%. Auf dem letzten Platz lagen Anleihen mit gerade einmal 1%. 2019 hatten noch 17,2% sie vorn gesehen, aber seitdem ist der Anteil kontinuierlich gefallen.
Wie üblich stellte Joe Amato zunächst unseren Wirtschafts- und Marktausblick für das neue Jahr vor. Danach berichtete ich über die Asset-Allokation, mit der wir ihn umsetzen. Interessant ist, dass es die Konferenzteilnehmer genauso sahen wie wir.
Fünf große Wendepunkte
Joe sprach über das Thema, um das es letzte Woche auch in unseren Perspectives ging: die fünf größten Wendepunkte in diesem Jahr.
Geld- und Fiskalpolitik werden nicht weiter gelockert, sondern allmählich gestrafft – nachdem die Notenbanken mehr als zehn Jahre lang gegen Disinflation und schwaches Wachstum angekämpft haben.
Den Finanzmärkten soll daher mehr Liquidität entzogen werden, und das so schnell wie noch nie.
Der Grund für diese Straffung ist die Inflation: Wir glauben zwar nicht, dass sie so hoch bleibt wie jetzt, rechnen aber doch mit einer strukturell höheren Teuerung als in den letzten 20 Jahren.
Für unsere höheren Inflationserwartungen gibt es eine Reihe von Gründen. Einer davon ist aber besonders wichtig: die Energiewende.
Hinzu kommt, dass in China – dem Land, das 20 Jahre lang am meisten zum Weltwirtschaftswachstum beigetragen hat – die Erwerbsbevölkerung altert und schrumpft. Jetzt setzt China auf „Wohlstand für alle“, bei langfristig weniger Wachstum.
Zinsrisiko
Es überrascht daher nicht, dass Anleihen bei den Konferenzteilnehmern nicht in Mode waren.
Wegen der guten Fundamentaldaten der Unternehmen scheint es uns sinnvoll, Kreditrisiken anstelle von Zinsrisiken einzugehen. Man sollte nicht nur auf Coupons setzen, sondern flexibel in unterschiedliche Credits investieren und taktisch umschichten. Aber nur wenige sehen Anleihen dieses Jahr vorn. Die steigenden Zinsen sind das größte Risiko. Von der Notenbankliquidität, die jetzt zurückgefahren werden soll, haben Staatsanleihen am stärksten profitiert. Die Inflation schmälert aber die Realrenditen sämtlicher Festzinstitel.
Die Konferenzteilnehmer sehen mehrheitlich weiter Aktien vorn, auch wenn sie etwas an Glanz verloren haben. Nicht mehr 75% wie vor einem Jahr, sondern nur noch 51% trauen ihnen jetzt die höchsten Erträge zu.
Das ist verständlich. Die Fundamentaldaten bleiben zwar gut, doch nach drei Jahren mit einer hervorragenden Performance sind die Indizes jetzt hoch bewertet. Außerdem werden viele Benchmarks von Wachstumstiteln dominiert, die nicht nur teuer, sondern auch zinssensitiv sind. Wir glauben, dass man mit Substanzwerten, Zyklikern, Small Caps und nicht amerikanischen Industrieländeraktien besser von der Reflation profitieren kann. Sie sind auch günstiger bewertet und weniger zinssensitiv.
Nicht für 60/40
Warum aber sehen jetzt so viel mehr Konferenzteilnehmer Rohstoffe vorn?
Das passt zu unserer Sicht, dass Diversifikation 2022 sehr wichtig sein wird – denn die großen Wendepunkte, über die Joe sprach, dürften für Unsicherheit und Volatilität sorgen. Die klassische Aufteilung auf Anleihen oder Aktien könnte nicht mehr funktionieren, weil beide Assetklassen hoch bewertet und zinssensitiv sind. Wie Joe in seinem Ausblick sagte – und Sie es bei uns schon länger lesen –, ist nicht die Zeit für ein 60/40-Portfolio.
Zur Diversifikation könnten sich jetzt vor allem inflationssensitive Assetklassen wie Rohstoffe und Immobilien eignen. Mit Rohstoffen kann man sich vor Inflation schützen und Risiken streuen, wenn Anleihen zu teuer, zu zinssensitiv und zu stark mit Aktien korreliert sind. Die Konferenzteilnehmer schienen das genauso zu sehen.
Unkorrelierte, liquide alternative Strategien können sich ebenfalls anbieten, aber auch die Ausgabe von Verkaufsoptionen auf den Aktienindex (Equity Index Put Writing). Diese Strategie hat schon oft von Marktvolatilität profitiert und ermöglicht eine etwas stabilere Aktienanlage. Bei Private Equity und Private Debt wiederum entfallen die börsentypischen Schwankungen.
Gleiche Sicht
Offensichtlich sahen es die Konferenzteilnehmer ähnlich wie wir.
Konsens ist, dass risikobehaftete Titel – wie Aktien – wegen der guten Konjunktur am interessantesten sind. Die hohen Bewertungen, die Aussicht auf steigende Zinsen, nachlassende Liquidität und zunehmende Volatilität stimmen uns aber vorsichtiger als vor einem Jahr. Besonders wichtig ist das Risikomanagement. Wir legen Wert auf echte Diversifikation, ebenso wie auf Flexibilität und die Möglichkeit, eine höhere Volatilität zu nutzen. Außerdem ist uns bewusst, dass Inflation 2022 wohl das wichtigste Risiko sein wird.
Als Sie Aktien vor einem Jahr mit so großem Abstand vorn sahen wie noch nie, lagen Sie richtig. Warten wir ab, was die nächsten zwölf Monate bringen.
Neuberger Berman Events
Emerging Markets Debt – Quarterly Investor Update
Donnerstag, 27. Januar 2022, 14:00 Uhr CET