Nach den erstaunlich scharfen Worten der Europäischen Zentralbank am 3. Februar wertete der Euro kräftig auf. Eine Woche später gab er wieder nach – weil die US-Inflation auf 7,5% stieg und die Fed ihrerseits ungewöhnlich scharfe Worte wählte.
Wir halten den neuen Ton der EZB für vielsagend, nähern wir uns doch dem Punkt, an dem Konjunktur und Markttechnik den Euro wirklich stützen. Die leichten Bewertungsschwankungen vom Donnerstag scheinen uns weniger eine Gefahr für einen neue Abwertung, als eine Stärkung der Basis für die aktuelle Bewertung zu sein.
Vielleicht macht der Markt dem Euro an diesem Valentinstag tatsächlich eine Liebeserklärung.
Unterbewertung
Wie anders war es noch am Valentinstag 2021, als der Markt den Euro versetzte.
Anfang 2020 hatte er nur 1,10 US-Dollar gekostet, aber bis zum 14. Februar 2021 war der Euro auf über 1,20 US-Dollar gestiegen. Doch dann wertete die Gemeinschaftswährung wieder ab, auf 1,12 US-Dollar zum Jahresende. Ein ständiges Auf und Ab – je nachdem, welche Konjunkturdaten und technischen Entwicklungen der nervöse Devisenmarkt gerade ins Visier nahm.
2020 war vor allem die mögliche – langfristige – Unterbewertung des Euro gegenüber dem US-Dollar ein Thema.
Tatsächlich ist der Euro gemessen an seiner Kaufkraft 10% bis 15% zu billig.
Auch die Leistungsbilanzen sprechen klar für eine Aufwertung: Der Euroraum hat fast 3% Leistungsbilanzüberschuss, während die US-Leistungsbilanz um über 3% im Minus liegt.
Rhetorik
Als nach dem Aufschwung nach Corona eine Straffung der Geldpolitik möglich schien, nahm der Markt plötzlich die Zinsunterschiede in den Blick.
Der Euro kam daher aus der Mode. Während die Fed und andere Notenbanken ihren Ton verschärften, schien die EZB noch immer an einen „vorübergehenden“ Inflationsanstieg zu glauben. Vor allem in der zweiten Jahreshälfte 2021 folgte der Euro fast im Gleichschritt der Zinsdifferenz zwischen Euroraum und USA.
Außerdem sorgten die hohen Mehrerträge amerikanischer Aktien und die negativen Renditen vieler europäischer Anleihen für einen stetigen Kapitalfluss auf die andere Seite des Atlantiks. Viele 2020 aufgebaute Euro-Positionen wurden aufgelöst.
Rhetorik
Deshalb ist die schärfere Rhetorik von EZB-Präsidentin Christine Lagarde am 3. Februar so wichtig.
Die Notenbankchefin wies auf die „höheren Inflationsrisiken“ hin und verzichtete auf den bislang üblichen Hinweis, dass eine Zinserhöhung noch in diesem Jahr unwahrscheinlich sei. Nur wenige Tage später stellte mit dem niederländischen Notenbankpräsidenten Klaas Knot das erste EZB-Ratsmitglied eine solche Zinserhöhung dann in Aussicht. Steigende Peripherieländerspreads sorgten zwar für eine gewisse Mäßigung, doch ändert das unserer Ansicht nach nichts am neuen Ton.
Eine Woche lang näherten sich die Zinsen in den USA und im Euroraum einander an, bis die hohe US-Inflation und die scharfe Rhetorik der Fed die US-Renditen am Donnerstag deutlich steigen ließen. Dass wir dennoch nicht mit einer größeren Euroabwertung rechnen, liegt an der veränderten Wortwahl der EZB. Sie könnte Investoren dazu bringen, in Zukunft nicht mehr auf die Zinsdifferenz, sondern wieder auf andere Faktoren zu achten.
Kapitalströme
Aber welche könnten das sein? Bei den Zinsen zählt unserer Ansicht nach nicht nur der Unterschied gegenüber den USA, sondern auch das absolute Niveau Europäischer Zinsen. Laut Bloomberg hat sich das Volumen negativ verzinslicherTitel seit Jahresbeginn mehr als halbiert, von 11 auf 5 Billionen US-Dollar. Ein Großteil davon entfällt auf Europa.
Laut EZB haben die Kapitalabflüsse aus Europa, vor allem in US-dollardenominierte Titel, deutlich zugelegt, als die EZB im Juni 2014 ihre Zinsen unter null senkte. Aufgrund der negativen Eurorenditen und der großen Zinsdifferenz waren die Neuanlagen in US-Anleihen wohl nur teilweise und neue Aktienpositionen nur in sehr geringem Maße währungsgesichert. Außerdem untersagen die Anlagerichtlinien manchen Investoren den Kauf negativ verzinslicher Titel.
Es gibt also immer mehr Anreize für Währungsabsicherungen oder eine Umkehr der Kapitalströme der letzten sieben Jahre – und für eine entsprechend größere Euronachfrage.
Konjunkturüberraschung
Aber das ist nicht alles. Abgesehen vom starken Beschäftigungszuwachs und der hohen Januarinflation waren die US-Daten zuletzt eher schwach, vor allem im Vergleich zu Europa. Die Konsenserwartungen für das US-Wachstum 2022 betragen jetzt 3,8%, gegenüber 4,0% für den Euroraum. Die strafferen Finanzbedingungen könnten es den Peripherieländern zwar schwerer machen, aber 2011 ist Vergangenheit. Der von den Mitgliedsländern gemeinsam gespeiste EU-Wiederaufbaufonds macht ein Scheitern der Währungsunion sehr viel unwahrscheinlicher.
Man sollte auch nicht vergessen, was die Wechselkurse für das Preisstabilitätsziel der EZB bedeuten. Die Geldpolitik orientiert sich zwar nicht mehr an den Wechselkursen, aber die Wechselkurse haben Auswirkungen auf die Inflation. Wenn die Teuerung deutlich unter 2% liegt und das Barrel Öl nur 60 US-Dollar kostet, ist eine schwache Währung wünschenswert. Bei einem Ölpreis von 90 US-Dollar und 5% Inflation hilft ein stärkerer Euro aber den Europäern, ihre Ölrechnungen zu bezahlen.
Alles in allem glauben wir daher, dass der Euro nicht weiter fällt. Wenn sich die US-Renditen stabilisieren, vor allem aber, wenn die US-Wirtschaft schwächer wächst als die Weltwirtschaft, könnte der Euro sogar aufwerten.
Wird es trotzdem schwierige Phasen geben? Vermutlich. Der Donnerstag gab uns einen Vorgeschmack auf mögliche Überraschungen – bei der US-Inflation und der amerikanischen Geldpolitik. Aber gibt es nicht in allen Beziehungen bisweilen Turbulenzen? Letztlich glauben wir, dass der Markt mit dem Euro gerade eine lange und glückliche Partnerschaft eingeht.
Die heutigen CIO Weekly Perspectives stammen von unserem Gastautor Ugo Lancioni.
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