CIO Weekly | Die steigenden Kosten eines langen Krieges

Die Finanzmärkte reagieren nicht mehr auf das aktuelle Kriegsgeschehen. Aber sie werden mit der langfristigen Inflation zurechtkommen müssen, die der Krieg verstärkt hat. Neuberger Berman | 27.04.2022 08:30 Uhr
Erik Knutzen, Chief Investment Officer – Multi-Asset Class, Neuberger Berman / © Neuberger Berman
Erik Knutzen, Chief Investment Officer – Multi-Asset Class, Neuberger Berman / © Neuberger Berman
Archiv-Beitrag: Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Vor einem Monat schrieb Joe Amato, dass an den Finanzmärkten nach dem Schock des russischen Einmarschs in die Ukraine jetzt wieder die wirtschaftlichen Fundamentaldaten zählen.

Er machte aber eine wichtige Einschränkung, die auch in den jüngsten Diskussionen unseres Asset Allocation Committee eine Rolle spielt: Weltpolitische Schocks haben selten langfristige Folgen für Wirtschaft und Märkte – es sei denn, sie verstärkten bereits vorhandene fundamentale Probleme.

Die Invasion in der Ukraine sorgt für einen zusätzlichen Inflationsschock in einer Zeit mit ohnehin hoher Teuerung – und die Märkte, vor allem die Staatsanleihenmärkte, reagieren immer sensibler auf Inflation und Zinserwartungen.

Die zunehmende Wahrscheinlichkeit eines langen Krieges hat daher große Folgen für die Märkte. Aktien-, Anleihen- und Rohstoffpreise mögen vielleicht nicht mehr auf die jeweils jüngsten Entwicklungen auf dem Schlachtfeld oder in der Weltpolitik reagieren. Aber wir werden damit zurechtkommen müssen, dass der Krieg die Inflation dauerhaft steigen lässt.

Zerschlagen

Russlands Hoffnungen auf einen schnellen Sieg haben sich in den ersten beiden Kriegsmonaten zerschlagen. Andererseits dürfte es der Ukraine kaum gelingen, den russischen Angriff vollständig zurückzuschlagen. Die Friedensgespräche scheinen zu stocken, und beide Seiten bereiten sich auf einen langen Kampf vor.

Kurzfristig dürften die nicht nur in Europa schon jetzt spürbaren Engpässe bei Energie und Lebensmitteln wohl zunehmen. Die Internationale Energieagentur hat gewarnt, dass das Ölangebot frühestens im Mai wieder steigt. Jeden Tag fehlen drei Millionen Barrel. Auf absehbare Zeit dürfte Öl 100 US-Dollar je Barrel kosten, wenn nicht mehr.

In seinem jüngsten Ausblick schreibt der Internationale Währungsfonds über die wirtschaftlichen Folgen des teuren Öls. Er hat seine Inflationsprognose für 2022 angehoben und die weltweite Wachstumsprognose auf 3,6% gesenkt.

Globalisierung

Je länger der Krieg dauert, desto größer scheint uns das Risiko langfristiger wirtschaftlicher Folgen.

Vielleicht versucht eine der beiden Kriegsparteien, den Stillstand mit einer massiven Eskalation zu beenden, und vielleicht nehmen auch die weltpolitischen Spannungen weiter zu. Finnland und Schweden, heißt es, wollen der NATO beitreten, vielleicht schon in wenigen Wochen. Zu Jahresbeginn schien das fast undenkbar. Russland hat bereits mit Konsequenzen gedroht.

Solche Entwicklungen dürften die Deglobalisierung weiter fördern. Schon in der internationalen Finanzkrise schien die Globalisierung zu stocken, und dann kamen die massiven Lieferkettenstörungen durch die Coronapandemie hinzu. Was 30 Jahre lang für mehr Rentabilität und inflationsfreies Wachstum gesorgt hat, könnte sich jetzt umkehren.

Am Markt hält man die Inflation daher jetzt nicht mehr für vorübergehend. Am Vorabend des Krieges erwartete man in den USA in fünf Jahren eine Fünfjahresinflation von unter 2%. Heute sind es 2,7%. Auch im Euroraum werden deutlich mehr als 2% Inflation erwartet.

Rohstoffe

Was bedeutet das für die Asset-Allokation?

Zum einen bedeutet es viel Unsicherheit, und auch der Krieg selbst kann für neue Schocks sorgen. Die Wachstumsrisiken steigen, aber die großen Volkswirtschaften scheinen stark genug, um damit fertigzuwerden. Viel spricht deshalb für eine ausgewogene Portfolioallokation und für hochwertige Aktien mit niedrigem Beta.

Wahrscheinlicher wird auch eine sehr hohe Volatilität von Anleihen. Vielleicht gehen dann aber endlich die Bewertungen zurück.

Seit Kriegsausbruch sind die Staatsanleihenkurse der Kernländer so stark gefallen wie seit Anfang 2009 nicht mehr. Die Kombination aus steigenden Renditen, einer stabilen Wirtschaft und ordentlichen Fundamentaldaten der Unternehmen macht Credits aus unserer Sicht aber attraktiver. Die Renditen kurz laufender Investmentgrade-Anleihen betragen jetzt etwa 4%, und bei High Yield sind es über 6%. Das ist attraktiv, vor allem, wenn die Zinsvolatilität bald wieder abnimmt.

Und schließlich könnten die Investoren auch meinen, dass die Rohstoffpreise nicht weiter steigen. Seit Jahresbeginn ist Öl um 36% und Weizen um 30% teurer geworden, aber zuletzt sind die Preise wieder gefallen. Wir glauben aber, dass die Aussicht auf einen langen Krieg mit nachhaltigen weltpolitischen und wirtschaftlichen Folgen langfristig noch immer für Rohstoffe spricht. Umso wichtiger sind sie für ein ausgewogenes Portfolio.

Wie bei den meisten Großkonflikten setzen sich an den Märkten nach einem ersten Schock wieder die Fundamentaldaten durch. Die Invasion der Ukraine verstärkt aber schon jetzt den vorhandenen Inflationsdruck. Das Risiko einer Deglobalisierung steigt, und je länger der Krieg dauert, desto größer könnten die Auswirkungen auf die Fundamentaldaten werden. Der Krieg könnte die Wirtschaft daher noch auf Jahre bestimmen.

Erik Knutzen, Chief Investment Officer – Multi-Asset Class, Neuberger Berman

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