Die heutigen CIO Weekly Perspectives stammen von unserem Gastautor Robert Surgent.
Im Juni traff uns, wie es nenne, die "Phase der Wachstumssorgen" der aktuellen Periode der gestrafften Geldpolitik.
In der ersten Jahreshälfte sind Aktien gefallen, die Credit Spreads haben sich ausgeweitet, und die Renditen sind weltweit gestiegen. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis das Wachstum wegen der strafferen Finanzbedingungen so stark nachlassen würde, dass auch die Inflation fällt. Fast alle Marktbeobachter prognostizieren jetzt eine Rezession und niedrigere Unternehmensgewinne.
Für Investoren zählt aber vor allem, inwieweit Inflation, höhere Zinsen und schwächeres Wachstum schon in den Kursen berücksichtigt sind. Reicht es bereits?
Erstmals in diesem Jahr schließt das Tactical Allocation Team der Multi-Asset Group das nicht mehr aus. Die Zinserhöhungen könnten bald vorbei sein. Ein weiterer massiver Ausverkauf setzt dann voraus, dass sich der Inflations-, Wachstums- und Gewinnausblick noch stärker verschlechtert, als man zurzeit befürchtet.
Natürlich sollte man im neuen Quartal vorsichtig sein. Wir sehen aber keinen Grund zu mehr Pessimismus als vor einem halben Jahr.
Optimismus
Vorsichtig optimistisch sind wir vor allem wegen der Veränderungen wichtiger Indikatoren in der ersten Jahreshälfte.
Zunächst einmal sind die Finanzbedingungen so schnell straffer geworden wie seit 20 Jahren nicht mehr.
Das liegt zum großen Teil an den steigenden Realrenditen. Schon im Dezember haben wir davor gewarnt. Ende Juni betrugen die US-Realrenditen ab fünf Jahren mindestens 50 Basispunkte, nachdem sie sechs Monate zuvor noch deutlich unter null lagen. Eine Realrendite von 0,5% könnte langfristig neutral sein – also unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, welche weder wachstumsfördernd noch wachstumsdämpfend ist. Natürlich könnten die Realrenditen noch weiter steigen. Aber nötig ist das wohl nicht.
Außerdem lag dem Overnight Index kurzzeitig sogar eine Federal Funds Rate von 4% zugrunde. Man ging davon aus, dass die Fed die Zinsen nicht darüber hinaus anheben wird, sie also 4% für neutral hält. Bei einer langfristigen Inflation von 3% wäre das real 1%.
Auf Zehnjahressicht rechnet man am Staatsanleihenmarkt aber mit 2,3% Inflation, und in fünf Jahren wird gerade einmal eine Fünfjahresinflation von 2,1% erwartet. Wenn man dann noch die bisherige Aktienkursentwicklung berücksichtigt, wäre eine Federal Funds Rate von 4% sicher nicht neutral, sondern restriktiv. Vielleicht bilden die Kurse die Straffung der Geldpolitik daher schon vollständig ab.
Interessant ist auch ein Vergleich der Performance von Zyklikern und defensiven Aktien oder der Kurse und erwarteten Gewinne von Halbleiterwerten. In beiden Fällen sieht es ähnlich aus wie in der Euroraum-Staatsschuldenkrise 2012 und der China- und Rohstoffkrise 2016, als die Einkaufsmanagerindizes klar eine Rezession anzeigten. Auch das erwartete KGV des MSCI World Index ist so niedrig wie zuletzt 2014. Noch niedrigere Werte würden einen Wachstums- und Gewinneinbruch wie in der internationalen Finanzkrise oder der Coronapandemie voraussetzen.
Und dann ist da noch die Inflation selbst. Die meisten Marktbeobachter und auch die Inflationsswap-Märkte rechnen mit einem Höchststand der amerikanischen Verbraucherpreisinflation von gut 9% und einem allmählichen Rückgang im September. Je mehr Investoren an eine Stabilisierung der Verbraucherpreise glauben, desto weniger rechnen sie mit Extremrisiken an den Märkten. Für die Kurse kann das nur gut sein.
Vorsicht
Aber warum sind wir dann trotzdem vorsichtig?
Wie erwähnt rechnet man am Markt mit US-Leitzinsen von 4%, was wir für zu viel halten. Ein deutlich niedrigeres Zinsmaximum könnte aber einen wesentlich stärkeren Inflationsrückgang erfordern, als für das 4. Quartal erwartet wird – oder, schlimmer noch, einen stärkeren Wachstums- und Gewinnrückgang, als man zurzeit befürchtet.
Vor allem irritiert uns der unsichere Energiepreisausblick, der die Inflationsprognosen noch immer erschwert.
Obwohl die Inflation stark von den Energiepreisen abhängt, ist in den Prognosen davon nur selten die Rede. Wenn das Energieangebot so knapp bleibt, wie manche Strategen glauben, und der Ölpreis in den nächsten sechs Monaten in Richtung 150 US-Dollar je Barrel steigt, wird vieles anders sein, als wenn die Terminmärkte recht behalten. Hier kostet der im Dezember 2022 fällige Kontrakt 92 US-Dollar und der im Dezember 2023 fällige 81 US-Dollar. Außerdem sorgt in Europa und den Emerging Markets der ungewöhnliche gleichzeitige Anstieg von US-Dollar und Ölpreis für zusätzlichen Inflationsdruck.
Kurz gesagt: Die Energiepreise bleiben ein Extremrisiko für Wirtschaft und Märkte.
Fundament
Dieses Umfeld, das die Prognose langfristiger Gleichgewichte so schwierig macht, sorgt zugleich für eine hohe Marktdynamik. Man hat die Daten genau im Blick. Jede Veröffentlichung löst große Kursschwankungen aus.
Anders ist es bei den Bewertungen. Alle Risikofaktoren, auf die wir Ende letzten Jahres hinwiesen – Realzinsen deutlich unter null, extrem lockere Finanzbedingungen, ein sehr niedriges erwartetes Maximum der Federal Funds Rate, hohe Aktienkurse – haben deutlich nachgelassen.
Im 3. Quartal könnten die Tagesschwankungen sehr hoch sein. Wirklich nachhaltige Kursverluste sind aber wohl nur bei deutlich niedrigeren Wachstumserwartungen zu befürchten. Die Chancen stehen gut, dass sich risikobehaftete Titel im 3. Quartal erstmals in diesem Jahr seitwärts bewegen oder sogar zulegen. Vielleicht sollte man wieder in Aktien investieren. Das Fundament könnte gelegt sein.