Letzte Woche begann die Berichtssaison für das 2. Quartal – und einmal mehr war die US-Inflation außergewöhnlich hoch.
Bei beidem rechnen viele Investoren mit einem Wendepunkt. Inflation und Gewinne, so glaubt man, werden bald wieder fallen. Ersteres ist Grund zur Hoffnung, letzteres macht Angst.
Über die Inflation schreiben wir später noch. Heute geht es vor allem um die Unternehmensgewinne. Die laufende Berichtssaison dürfte besonders wichtig werden. Dabei kommt es weniger auf die Quartalsgewinne als auf die Prognosen an.
Uneinheitlich
Die Konjunkturlage ist – gelinde gesagt – so schwierig wie seit vielen Jahren nicht mehr.
9,1% Inflation in den USA, Leitzinserhöhungen von vielleicht 1 Prozentpunkt, Corona-Lockdowns in China, die anschwellende Energiekrise in Europa, die unsichere Weltlage, fallende Einkaufsmanagerindizes, ein nachlassendes Konsumklima und zuletzt auch noch die steigende Zahl von Arbeitslosengeldanträgen in den USA machen eine Rezession wahrscheinlicher. Andererseits sind manche Zahlen gar nicht so schlecht: So werden noch immer überraschend viele neue Stellen geschaffen, die nicht alle besetzt werden können. Vielleicht kommt die Wirtschaft doch mit strafferen Finanzbedingungen zurecht, ohne einen massiven Abschwung.
Ähnlich uneinheitlich könnten auch die Quartalsberichte der Unternehmen ausfallen.
Die Analysten haben ihre Erwartungen für alle Sektoren außer Energie bereits gesenkt. Aber das ist nicht ungewöhnlich. Im Vergleich zu früher hielten sich die Revisionen diesmal sogar in Grenzen. Noch immer sind die Konsensprognosen positiv: Es werden fast 5% höhere Gewinne als im Vorjahr erwartet. Ohne die großen Technologieunternehmen sind es 9%, und ohne den Finanzsektor sogar 12%.
Das klingt gar nicht schlecht. Ohnehin werden die Analystenerwartungen oft überschritten. Mindestens 6% Gewinnwachstum im 2. Quartal wären keine Überraschung.
Vorbereitung
Solche Vergangenheitszahlen bewegen den Markt aber meist nur wenig.
Die Kurse haben bereits auf manche Vorwarnungen reagiert, etwa auf die viel beachtete Gewinnwarnung von Target. Das ist typisch für Zeiten, in denen viel im Fluss ist. Meist wollen die Unternehmen Investoren damit auf schwächere Zahlen einstimmen, weshalb sie oft große Auswirkungen auf die Erwartungen haben.
Nach dem Beginn der offiziellen Berichtssaison sollte man daher genau auf den Ton und die Äußerungen der Geschäftsleitungen achten. Weitere pessimistische, neutrale oder sehr konservative Äußerungen sind absehbar. Interessant ist auch, ob sich große Konsumgüterfirmen wie Walmart oder Starbucks in ihren Gewinnmitteilungen auf das Konsumklima beziehen, vor allem angesichts der hohen Inflation.
Investoren achten genau auf solche Signale. Viele glauben, dass die Gewinne wegen des Abschwungs in den nächsten Monaten fallen. Über das Ausmaß des Rückgangs ist man sich aber ebenso wenig einig wie darüber, inwieweit die Kurse das bereits berücksichtigen. Manche glauben, dass der Markt bislang vor allem die steigenden Zinsen und ihre Auswirkungen auf die Kurs-Gewinn-Verhältnisse abbildet. Für andere ist zumindest ein gewisser Gewinnrückgang bereits berücksichtigt. Auch an dieser Stelle finden sich beide Sichtweisen.
Insgesamt glauben wir aber, dass die Wahrheit in der Mitte liegt. In den nächsten Wochen dürften die Äußerungen der Unternehmen und die Marktreaktionen für mehr Klarheit sorgen.
Stabilisierung
Dennoch droht mehr Volatilität, wenn mehr Unternehmen ihre Gewinne veröffentlichen und wir die Folgen von Inflation und Zinserhöhungen zu spüren bekommen.
Wir könnten uns folgende Entwicklung vorstellen: Eine niedrige Inflation zeigt, dass die strafferen Finanzbedingungen Wachstum und Unternehmensgewinne dämpfen. Das könnte die Inflation noch weiter fallen lassen und eine Zinspause auslösen. Da man an den Märkten zurzeit pessimistisch ist und mit einer Stagflation rechnet, könnten erste Anzeichen für einen Rückgang der Inflation vielleicht in der zweiten Jahreshälfte eine Erleichterungsrallye auslösen, auch wenn eine niedrigere Teuerung nicht gerade für eine stärkere Konjunktur spricht.
Alles in allem bleiben wir aber vorsichtig und setzen weiterhin auf Aktien mit niedrigem Beta. Bei extremen Marktbewegungen könnten wir unsere Positionierung in beide Richtungen anpassen, bei Sorgen wegen fallender Gewinne ebenso wie bei einer Erleichterung wegen fallender Inflation. Weil die Unternehmensgewinne am Scheideweg stehen, wird die laufende Berichtssaison sehr erhellend sein. Eines steht für uns aber schon seit Längerem fest: Damit wir wirklich klarsehen und die Aktienkurse wieder steigen, müssen sich Inflation und Zinsen erst stabilisieren.
Joseph V. Amato, President und Chief Investment Officer – Equities