Die US-Inflationszahlen vom letzten Dienstag waren für die Investoren eine kalte Dusche.
Vor der Veröffentlichung waren asiatische und europäische Aktien gestiegen. Die Futures auf den S&P 500 Index ließen einen weiteren guten Börsentag erwarten, nachdem die Kurse erstmals seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine fünf Tage in Folge gestiegen waren. Doch als die Teuerung dann um 0,2 Prozentpunkte über der Konsensprognose lag, verzeichnete der Index den größten Tagesverlust seit Juni 2020.
Inflationswende
Den Zahlen zufolge wird der Preisauftrieb umfassender und hartnäckiger, und vor allem ist er zunehmend die Folge von Engpässen am Güter- und Arbeitsmarkt. Regelmäßige Leser unserer Perspectives dürfte das nicht überraschen: Seit einem Jahr schreiben wir schon, dass der aktuelle Preisauftrieb nur der Beginn einer strukturell höheren Inflation ist.
Schon im Februar schrieben wir über vier wichtige Entwicklungen, die aus unserer Sicht für mehr Preisauftrieb sorgen: Deglobalisierung, Neuausrichtung Chinas, expansivere Fiskalpolitik und Dekarbonisierung. Eine solche Inflationswende blieb uns 20 Jahre lang erspart. Umso wichtiger sind ihre möglichen Auswirkungen auf Portfolios und die Korrelation der Assetklassen.
Sinnvoll kann es sein, die Zinssensitivität der Portfolios zu senken und auf kürzer laufende Anleihen zu setzen. Man sollte aber auch weniger in spekulative Wachstumsaktien investieren. Zugleich können Investoren versuchen, von der Inflation zu profitieren – durch eine höhere Gewichtung von Sachwerten, die bis Anfang 2022 lange Zeit nicht gefragt waren.
Vor allem aber sollte man die Portfoliodiversifikation überdenken. Staatsanleihen dürften Ausverkäufe am Aktienmarkt in Zukunft weniger gut abfedern. Investoren sollten daher auf alternative Diversifikationsquellen setzen, vor allem, wenn diese von der Inflation profitieren.
Wir werden unser Drehbuch schon bald ergänzen und die wirtschaftlichen, sozialen und weltpolitischen Entwicklungen dieser neuen Inflationsphase berücksichtigen – seien Sie gespannt.
Angst
Viele Investoren finden das Langfristszenario zwar plausibel und irritierend, scheinen es aber verdrängen zu wollen. Weil ihnen eine massive Straffung der Geldpolitik Angst macht, reagieren sie umso erleichterter auf jedes Anzeichen für eine niedrigere Inflation. Auf Rückschläge reagieren sie dann aber nicht minder sensibel.
Letzte Woche sah man das sehr gut. Die Julizahlen, denen zufolge die US-Inflation ihren Höhepunkt überschritten hatte und schnell fiel, sorgten für eine verfrühte Siegesfeier. Am Montag ging es so weiter, weil die Dreijahres-Inflationserwartungen laut New York Fed unter 3% fielen. Doch mit der etwas höheren Inflation am Dienstag war das abrupt beendet. Aber auch der Ausverkauf war schnell vorbei, denn am Mittwoch war die amerikanische Produzentenpreisinflation niedriger als erwartet, und auch der Inflationserwartungsindex der University of Michigan am Freitag war eher schwach.
Auf und ab
Was bedeutet all das aber für die nächsten sechs bis zwölf Monate?
Solange die Inflationserwartungen den Markt bestimmen und das Auf und Ab der Daten weitergeht, dürfte vor allem die Inflation für Marktvolatilität sorgen. Vor unserem Asset Allocation Committee Outlook im Oktober möchten wir aber schon jetzt vor stärkeren Kursausschlägen in beide Richtungen warnen – weil sich die Investoren an die strukturellen Inflationstreiber der nächsten Jahre erst noch gewöhnen müssen.
Letzten Dienstag ist der S&P 500 Index um mehr als 4% gefallen, und der FANG+ Index für Technologieaktien gab sogar um über 6,5% nach. Zinssensitive Aktien stehen offensichtlich unter Druck. Da sich aber die nominale US-Zehnjahresrendite 3,5% nähert, die Zweijahresrendite noch höher ist und die zehnjährige Realrendite wieder 1% beträgt, kann man mit Staatsanleihen wieder etwas verdienen. Allerdings hat uns die letzte Woche auch gezeigt, dass eine überraschend hohe Teuerung auch bei Anleihen zu massiven Verlusten führen kann – die noch dazu eng mit der Aktienmarktentwicklung korreliert sind. Daran ändern auch die derzeitigen Bewertungen nichts.
Wir warnen deshalb weiter davor, bei fallenden Aktienkursen zu viel zu investieren. „Kaufen nach Verlusten“ muss nicht immer sinnvoll sein. Stattdessen bevorzugen wir Qualitätsaktien mit niedrigerem Beta. Bei lang laufenden Anleihen bleiben wir vorsichtig, sehen aber Chancen auf niedrigere Investmentgrade-Spreads. Nach wie vor meinen wir, dass man sein Portfolio auch mit anderen Assetklassen diversifizieren sollte. Trotz der aktuellen Volatilität halten wir Rohstoffe und andere Sachwerte weiter für interessant.
Von Erik Knutzen, Chief Investment Officer – Multi-Asset Class, Neuberger Berman