Als das US-Haushaltsdefizit 1998 die Renditen steigen ließ, meinte Clintons Berater James Carville süffisant, dass er als „Anleihenmarkt wiedergeboren werden“ möchte. Dann könne man „jeden einschüchtern“, so Carville, „selbst die mächtigste Regierung der Welt“.
Zehn Jahre später zeigte uns die große Finanzkrise, wie Anleihenkäufe der Notenbanken und eine expansive Fiskalpolitik Marktturbulenzen und einen massiven Schulden- und Risikoabbau abfedern können. „Don’t fight the Fed“, heißt es an der Wall Street. Mehr als zehn Jahre lang fanden sich Anleiheninvestoren mit fallenden Renditen und steigenden Staatsschulden ab – und hielten die Inflation für endgültig überwunden.
Die Märkte gewöhnten sich an die „neue Normalität“ mit billigem Geld, selbst als Corona diese Politik noch einmal auf die Probe stellte. Nach dem Ausbruch der Pandemie wurden die ohnehin schon aufgeblähten Bilanzsummen der G10-Notenbanken ein weiteres Mal mehr als verdoppelt, auf etwa 30 Billionen US-Dollar. Weltweit waren Anleihen im Wert von über 17 Billionen US-Dollar negativ verzinst. Auch als die Inflation zu steigen begann, rechneten Investoren nicht mit einer Kehrtwende.
Die alte Normalität ist zurück
Letztlich war die neue Normalität aber alles andere als normal, und jetzt bekommen wir die Quittung. Lieferkettenstörungen, internationale Konflikte und die seit Langem viel zu expansive Geld- und Fiskalpolitik sind eine gefährliche Mischung. Aus einem „vorübergehenden“ Inflationsanstieg wurde ein hartnäckiger und immer stärkerer Preisauftrieb, mit allen Konsequenzen. Die alte Normalität ist zurück: Die Märkte fordern wieder faire Renditen und akzeptieren nicht mehr, dass Kapital nichts kostet.
Politik und Notenbanken haben sich aber viel zu sehr an ihre Macht über die Märkte und das nahezu kostenlose Kapital gewöhnt, um leicht darauf verzichten zu können. Die amerikanische Regierung blieb auch dann noch bei ihrer expansiven Fiskalpolitik, als sie nicht mehr nötig war – und hält weiter daran fest. Und die Fed hat uns viel zu lange erzählt, dass die Inflation bald vorüber sei.
Jetzt, wo sie ihre Geldpolitik erkennbar strafft, geht das auch an anderen Ländern nicht spurlos vorüber. Euro, Pfund und Yen werten gegenüber dem US-Dollar massiv ab, was die Inflation weltweit weiter steigen lässt.
Die Europäische Zentralbank verschärft zwar ihre Rhetorik, muss angesichts der steigenden Anleiherenditen aber auch darauf achten, dass die Schulden tragfähig bleiben. Mit dem neuen Antifragmentierungsprogramm hofft sie jetzt erneut, sich gegen die Märkte stellen zu können. Die Bank of Japan hat zugunsten des Yen interveniert, und auch sie kämpft mit der Obergrenze für Staatsanleiherenditen weiter gegen den Markt.
Am stärksten steht aber wohl die Bank of England im Blickpunkt. Ihr machen die ungedeckten Steuersenkungen der neuen Regierung Probleme. Um die Märkte zu stützen, musste sie vor „großen“ Leitzinserhöhungen warnen und zugleich ihr Quantitative Tightening mit Notfallkäufen von Anleihen unterbrechen. Nur so konnte sie verhindern, dass die massive Krise von Pensionsfonds mit LDI-Strategien die Märkte insgesamt destabilisierte.
Lange Zeit sind Geld- und Fiskalpolitik weltweit den Weg des geringsten Widerstandes gegangen, um selbst kleinste Irritationen der Wirtschaft und der Märkte zu vermeiden. Jetzt fällt es schwer, davon abzulassen. Deshalb ist die Lage gerade so schwierig, und deshalb glauben wir, dass die Rückkehr zur Normalität noch mehr Entschlossenheit erfordert.
Disziplin einfordern
Wir glauben, dass Aktieninvestoren bei diesem Kampf zwischen Marktdisziplin und Großzügigkeit der Geld- und Fiskalpolitik zwischen den Fronten stehen. Vom Coronaschock bis Ende 2021 haben sich die Aktienkurse weltweit verdoppelt, und die Realzinsen wurden negativ. Mittlerweile sind die Kurse seit ihrem Höchststand um fast 35% gefallen. Anleiheninvestoren kämpfen um eine Risikoprämie, und viele Wachstumsaktien aus dem Technologiesektor, die besonders stark unter steigenden Zinsen leiden, haben 70% oder mehr verloren.
So schmerzhaft das auch war, so sehr glauben wir, dass Aktieninvestoren noch höhere Verluste drohen könnten. Die Anleihenmärkte haben jetzt das Sagen und können für Disziplin sorgen.
Die Zinsen dürften daher volatil bleiben. Das hätte nicht nur Auswirkungen auf die Bewertungen von Aktien, sondern würde auch zu mehr Unsicherheit und höheren Kapitalkosten der Unternehmen führen. Dennoch wurden die Gewinnprognosen für die S&P-500-Unternehmen im Jahr 2023 im 2. Quartal nur um maßvolle 2% gesenkt. In Europa wurden die Prognosen sogar um 2% angehoben.
Nötig sind unserer Ansicht nach realistischere Gewinnerwartungen. Das ist der wichtigste Grund dafür, dass wir trotz der gefallenen Bewertungen seit Anfang 2022 vorsichtig waren und sich daran bis heute nichts geändert hat.
Ein Lichtblick?
Das Gute daran ist, dass Kapital demnächst wohl wieder fair bewertet wird, Aktien angemessene Risikoprämien bieten und man für Anleihen Renditen erhält, die Investoren für die Risiken entschädigen.
Es ist aber nicht leicht zu erkennen, wann es so weit ist. 2009 und 2020 kam die Erholung schnell, aber die jetzt nötige strukturelle Neubewertung von Risiken braucht vermutlich Zeit. Es wird einiges Auf und Ab geben. Das heißt aber auch, dass Investoren zu günstigen Kursen langsam wieder Risikopositionen aufbauen können.
Wenn die Märkte wieder für eine gewisse Disziplin sorgen, dürften Finanzanlagen nachhaltiger und stabiler sein als in den letzten zehn Jahren – nicht zuletzt, weil die wirtschaftlichen Fundamentaldaten dann wieder wichtiger sind als eine übertrieben expansive Geld- und Fiskalpolitik.
Joseph V. Amato, President und Chief Investment Officer – Equities, Neuberger Berman