CIO Weekly | Eine Geschichte aus zwei Städten

Wir glauben, dass die widerstandsfähige US-Wirtschaft Anleger vor ein Dilemma stellt. Neuberger Berman | 15.12.2022 19:55 Uhr
Joseph V. Amato, President and Chief Investment Officer – Equities, Neuberger Berman / © e-fundresearch.com / Neuberger Berman
Joseph V. Amato, President and Chief Investment Officer – Equities, Neuberger Berman / © e-fundresearch.com / Neuberger Berman
Archiv-Beitrag: Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

„Es waren die besten Zeiten, aber auch die schlechtesten“, schreibt Charles Dickens in seinem Epos über die Französische Revolution, Eine Geschichte aus zwei Städten.

Ähnlich fühlt es sich oft an, wenn die Notenbanken mit Zinserhöhungen beginnen und eine lange Zeit der Marktübertreibungen zu Ende geht.

Besonders deutlich bekam man das dieses Jahr zu spüren. Die expansive Fiskalpolitik und der starke Aufschwung nach den Corona-Lockdowns stützten die Märkte weiter. Aber der Krieg in der Ukraine führte zu einem Inflationsschock und einer äußerst starken Straffung der Geldpolitik.

Die entsprechend widersprüchlichen Konjunkturdaten und die schwankende Anlegerstimmung sorgten für hohe Volatilität. Auf heftige Kursverluste folgten Bärenmarktrallyes. Wir glauben, dass dies auch 2023 noch lange so bleibt.

Verarbeitendes Gewerbe und Dienstleistungen

Zurzeit fühlt es sich ein bisschen so an, als erlebten die Herrsteller von Gütern die „schlechtesten Zeiten“.

Im Mai 2021 war der internationale JPMorgan Einkaufsmanagerindex (PMI) für das Verarbeitende Gewerbe auf ein Rekordhoch deutlich über 55 gestiegen. Werte über 50 stehen für eine Expansion, Werte darunter für eine Kontraktion. Seitdem ist der Index stark gefallen, und im September 2022 rutschte er unter 50. Der S&P Global/BME Index für Deutschland zeigt mit 46,2 sogar sehr deutlich eine Rezession an, und der amerikanische Industrie-PMI des Institute for Supply Management (ISM) fiel im November erstmals seit den schlimmsten Tagen der Pandemie unter 50.

Für den Dienstleistungssektor waren es zwar nicht gerade die „besten Zeiten“, aber er bleib im Gegensatz dazu recht stabil.

Der ISM-Dienstleistungsindex für die USA liegt seit Corona über 54. Nach seinem Zweijahrestief von 54,4 im Oktober ist er im November auf 56,5 gestiegen, deutlich über den Konsenserwartungen.

Das mag auch saisonale Gründe haben, doch unabhängig davon hat sich der Dienstleistungsindex dieses Jahr deutlich besser entwickelt als die seit einem Jahr fallenden Industrie-PMIs. Offensichtlich verlagert sich der Konsum stark von Gütern zu Dienstleistungen. Während des Lockdowns waren viele Güterkäufe vorgezogen worden, aber mit seinem Ende änderte sich das rasch. Bei Reisen, Ferien und Restaurantbesuchen gab es großen Nachholbedarf.

Arbeitsmarkt

Die Industrie- und Dienstleistungskonjunktur ist auch wegen der heutigen amerikanischen Arbeitsmarktstruktur wichtig.

Laut Bureau of Labor Statistics arbeiteten im November 2022 110 Millionen Amerikaner in privaten Dienstleistungsunternehmen, aber nur 21 Millionen in der Güterproduktion (also etwa im Verarbeitenden Gewerbe, auf dem Bau und im Bergbau). Vor 50 Jahren hatte der Dienstleitungssektor nur 40 Millionen Beschäftigte, gegenüber 24 Millionen in der Güterproduktion. Heute stellen in den USA weniger Arbeiter Güter her als am Vorabend aller sieben Rezessionen seit Dezember 1969.

In all diesen Rezessionen baute das Produzierende Gewerbe viel mehr Stellen ab als der Dienstleistungssektor – im Schnitt gingen über 8% der Industriearbeitsplätze verloren. Außer in der internationalen Finanzkrise ging die Zahl der Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor aber um nicht einmal 1% zurück. In manchen Rezessionen wurden hier sogar Stellen geschaffen.

Wenn also das Verarbeitende Gewerbe wie in Rezessionen üblich schrumpft und der Dienstleistungssektor weiter expandiert oder zumindest stabil bleibt, dürfte die Beschäftigung in den USA längst nicht so stark fallen wie früher.

Das hilft zu verstehen, warum in den USA monatlich noch immer über 250.000 neue Stellen geschaffen werden (ohne Landwirtschaft) und die Arbeitslosigkeit mit 3,7% weiterhin nur knapp über ihrem 50-Jahres-Tief liegt. Es erklärt auch, warum das BIP im 3. Quartal mit 2,9% (annualisiert) so stark gewachsen ist und das GDPNow-Modell der Federal Reserve Bank of Atlanta für das 4. Quartal 3,4% prognostiziert. Auch die überraschend starken Einzelhandelsumsätze im Oktober erscheinen auf einmal plausibel.

Allerdings befürchten wir, dass die vorgezogenen Güterkäufe während Corona der Industrie heute schaden und dass wir nach der zurzeit starken Dienstleistungskonjunktur hier bald Ähnliches erleben.

Wird die Rallye weitergehen?

Die jüngste Aktienmarktrallye scheint mehr mit der Hoffnung auf eine Lockerung der US-Geldpolitik zu tun zu haben als mit guten Konjunkturdaten.

Am Dienstag wird die US-Inflation von November veröffentlicht. Seit dem Junihoch ist die Teuerung vier Monate in Folge gefallen. Der PCE-Index (Personal Consumption Expenditure), das bevorzugte Inflationsmaß der Fed, ging im Oktober ebenfalls stark zurück.

Je stabiler Wirtschaft, privater Verbrauch und Arbeitsmarkt sind, desto hartnäckiger dürfte die Inflation sein und desto stärker wird die Fed wohl die Zinsen erhöhen müssen. Vor dem letzten sehr guten US-Arbeitsmarktbericht erwartete man am Markt einen Leitzinsanstieg auf 4,83%. Mittlerweile rechnet man wieder mit mehr als 5% und geht auch davon aus, dass die Zinsen 2023 höher sein werden als bislang erwartet.

Dieser Stimmungswandel hat den Aktienmärkten nach der jüngsten Rallye sehr geschadet.

Zwischen Skylla und Charybdis

Vielleicht geht die Rallye doch weiter und Aktien legen zum Jahresende 2022 stark zu – vor allem, wenn die US-Inflation am Dienstag überraschend niedrig ist.

Schon länger schreiben wir, dass die Investoren irgendwann weniger auf die Zinserhöhungen und mehr auf eine mögliche Konjunkturschwäche und niedrigere Unternehmensgewinne achten werden.

Der krisenfeste US-Verbraucher mit einem scheinbar sicheren Arbeitsplatz im Dienstleistungssektor könnte schon bald der Vergangenheit angehören. Viele Amerikaner mussten wegen der Inflation ihre Ersparnisse aus der Coronazeit angreifen. Die Sparquote der amerikanischen Haushalte ist heute so niedrig wie seit 17 Jahren nicht mehr und liegt nur noch wenig über dem Tiefststand der letzten Jahrzehnte. Auch das könnte, wie der mittlerweile befriedigte Nachholbedarf, die Dienstleistungsnachfrage schon bald dämpfen.

Wirtschaft und Geldpolitik befinden sich in keiner beneidenswerten Lage. Entweder lösen die strafferen Finanzbedingungen und die Inflation einen Abschwung aus – oder eine noch straffere Geldpolitik, mit der die Fed verhindern will, dass die Teuerung aus dem Ruder läuft.

Anleger stellt die stabile Konjunktur daher vor ein Dilemma. Vielleicht erweist sich die Hoffnung auf eine lockerere Geldpolitik als verfrüht, aber vielleicht ist man wegen der starken Konjunktur und der Unternehmensgewinne auch zu sorglos.

In diesen zugleich „besten und schlechtesten Zeiten“ sind wir im Zweifel lieber vorsichtig. Wir rechnen weiter mit Volatilität durch schwankende Konjunkturdaten – und leider auch mit weiteren Verlusten risikobehafteter Wertpapiere.

Joseph V. Amato, President und Chief Investment Officer – Equities, Neuberger Berman

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