Die Finanzpresse berichtete in letzter Zeit viel über Schwierigkeiten von Investoren, die sich nur für Ertrag und Volatilität interessieren, aber die Marktliquidität ignorieren. Problematisch war das vor allem bei oft illiquiden nicht börsennotierten Anlagen.
Deren mangelnde Liquidität kann leicht zu einer bösen Überraschung werden, obwohl sich das durchaus verhindern ließe. Aber warum? Und wie kann man Liquiditätsrisiken in Anlagestrategien berücksichtigen?
Modelle
In den 1880ern schrieb ein englischer Lehrer namens Edwin Abbott eine etwas exzentrische, satirische Erzählung mit dem Titel Flatland.
In Flatland – oder Flächenland – hat jeder nur zwei Dimensionen. Das gilt auch für den Erzähler, das Quadrat. In einem Traum verschlägt es das Quadrat in das eindimensionale Lineland – Linienland –, wo jeder eine Linie ist. Das Quadrat kann die Bewohner nicht davon überzeugen, dass es mehr ist als vier Striche.
Aber auch das Quadrat hat eine beschränkte Sicht. Als die Kugel aus dem dreidimensionalen Spaceland – Raumland – zu Gast ist, hält das Quadrat sie für eine Scheibe. Eine dritte Dimension kann sich das Quadrat einfach nicht vorstellen.
Nicht viel anders dürfte es vielen Investoren ergehen. Wenn sie es gewohnt sind, an liquiden Märkten zu investieren, erfassen sie illiquide Anlagen nicht immer vollständig.
In ihrer Welt ist Risiko gleichbedeutend mit der annualisierten Volatilität des Marktwerts. Auch bei nicht börsennotierten Titeln – von denen man sich meist erst nach mehreren Jahren wieder trennt und die einmal im Quartal bewertet werden, allerdings nicht vom Markt – wollen sie eine annualisierte Volatilität bestimmen, damit sie ins Schema passen.
Meist ermitteln sie dann eine höhere Volatilität als bei vergleichbaren liquiden Papieren. Dadurch kommen nicht börsennotierte Anlagen in der Asset-Allokation mitunter zu kurz, zum Nachteil der Investoren.
Illiquidität
Wir halten die Volatilität daher auch nicht für den passenden Indikator für illiquide Titel. Viel wichtiger scheinen uns die vierteljährliche Bewertung und vor allem der erwartete Verkaufserlös.
Außerdem lenkt der Versuch, eine rechnerische Volatilität zu bestimmen, oft von den wahren Risiken ab. Die wichtigsten Risiken nicht börsennotierter Titel sind das Liquiditäts- und das Rückzahlungsrisiko – die Schwierigkeit eines Verkaufs, wenn man sein Geld braucht, und die Unsicherheit über den Rückfluss beim planmäßigen Ende des Investitionszeitraums.
So wie das Quadrat das Wesen der Kugel nicht erfasst, verkennt ein klassischer Risiko-Ertrags-Optimierer das Wesen einer nicht börsennotierten Anlage.
Dennoch sehen wir Lösungsmöglichkeiten. Dazu muss die Asset-Allokation die Liquidität und das Verbindlichkeitenprofil des Anlegers berücksichtigen. So lässt sich das Risiko berechnen, dass die Barmittel am Ende nicht reichen – sei es, weil die Anlage zwar werthaltig, aber illiquide ist, oder weil sie liquide ist, aber zu wenig zurückgezahlt wird.
Die dritte Dimension
Nehmen wir an, Sie legen heute 100 Euro beiseite und brauchen in zehn Jahren 200 Euro. Sinnvoll könnte dann ein Investment mit mehr als 10% Jahresertrag bei einer durchschnittlichen Volatilität von jährlich 6% sein. Und doch halten wir eine solche zweidimensionale Sicht für unvollständig.
Ergänzen wir zunächst die zweite Dimension, Volatilität, um Extremrisiken, also um das Risiko hoher Verluste. Bei einem ungewöhnlich starken Verlust könnte der jährliche Durchschnittsertrag unter 10% fallen, sodass Sie am Ende weniger als 200 Euro haben. Mit welcher Wahrscheinlichkeit dafür könnten Sie leben?
Nehmen wir dann noch eine dritte Dimension hinzu, die Liquidität. Durch Diversifikation lässt sich das Verlustrisiko zwar auf ein akzeptables Niveau senken, allerdings mitunter zulasten der Ertragserwartungen. Mit illiquiden Anlagen kann man den erwarteten Ertrag zwar wieder auf das gewünschte Niveau steigern, und das ohne zusätzliche Volatilitäts- und Extremrisiken. Man muss aber das Liquiditätsrisiko beachten. Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie Ihr Geld vor Ablauf der zehn Jahre brauchen?
Der Abschied aus dem zweidimensionalen Flatland fällt schwer, aber die Mühe lohnt sich. Sonst ergeht es Ihnen wie dem Quadrat, das der Besuch der Kugel ratlos zurücklässt. Wenn ein Fonds seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen kann, erfüllt er auch sein Anlageziel nicht. Umso wichtiger ist eine vollständige Analyse aller Risiken.
Peter von Lehe, Head of Investment Solutions and Strategy & Stephen Smith, Head of Insurance Analytics - Equities, Neuberger Berman
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