Es liegt nahe, dass sich Investoren zurzeit vor allem mit Inflation und Zinsen befassen. Aber anderes ist auch wichtig.
Letzte Woche prognostizierte das Congressional Budget Office (CBO), dass der US-Regierung zwischen Juli und September das Geld ausgeht. Klingt beunruhigend.
Ohne eine höhere Schuldenobergrenze seien die zusätzlichen Mittel, die die Regierung mittels „Sondermaßnahmen“ aufbringen kann, im Sommer verbraucht.
Der Zahlungsausfall wäre dann alternativlos. Auch Anleihen würden nicht mehr bedient. Der weltweite „risikolose“ Zins, die Basis des internationalen Finanzsystems, könnte dann kräftig steigen. Zwar ist eine derart extreme Entwicklung unwahrscheinlich, doch sollte man wissen, wie sie verhindert werden kann.
Notmaßnahmen
Einer höheren Schuldenobergrenze müssen sowohl der Kongress als auch der Präsident zustimmen. Seit dem Zweiten Weltkrieg ist das schon mehr als 100-mal geschehen.
Die aktuelle Obergrenze, 31,38 Billionen US-Dollar, stammt aus dem Dezember 2021. Erreicht wurde sie vor einem Monat, am 19. Januar. Die Regierung griff zu Sondermaßnahmen. Sie begann, Einzahlungen in staatliche Pensionsfonds auszusetzen, und begab zu diesem Zweck auch keine neuen Anleihen mehr.
Finanzministerin Janet Yellen warnte den Sprecher des Repräsentantenhauses Kevin McCarthy schriftlich, dass das Geld dennoch nur bis zum 5. Juni reiche. Sie drängte den Kongress, schnell dafür zu sorgen, dass die USA ein vertrauenswürdiger Schuldner bleiben.
Die Finanzministerin will den Kongress von der Dringlichkeit des Themas überzeugen. Weil die Höhe der Steuereinnahmen im März und April unsicher ist, weiß niemand genau, wann dem Staat das Geld ausgeht. Das CBO glaubt, dass die Regierung dank der Barreserven des Finanzministeriums und einiger anderer kleinerer Sondermaßnahmen auch über Juni/Juli hinaus weiterarbeiten kann.
Dennoch steht fest, dass sich selbst die optimistischste Schätzung nur um wenige Wochen von der des Finanzministeriums unterscheidet. Man sollte das Thema also ernst nehmen.
Herabstufungen
Müssen sich Anleger Sorgen machen? Ja und nein.
Vor der internationalen Finanzkrise war die Erhöhung der Schuldenobergrenze eine Formalität. Danach gab es gelegentlich Streit. Zum einen ist die Politik konfrontativer geworden, zum anderen sorgt man sich wirklich um die Nachhaltigkeit der immer weiter steigenden Staatsverschuldung.
Am dramatischsten war es 2011, als die Republikaner, die im Januar das Repräsentantenhaus übernommen hatten, von Präsident Obama als Gegenleistung ein niedrigeres Defizit forderten.
Am Ende verabschiedete der Kongress ein komplexes Gesetzespaket, den Budget Control Act. Man vereinbarte Ausgabenkürzungen und signalisierte damit eine gewisse Haushaltsdisziplin. Wahrscheinlich hat das aber auch die Erholung von der Finanzkrise verzögert.
Kurzfristig passierte aber noch mehr. Als die USA im August 2011 noch wenige Tage vor einem Zahlungsausfall standen, entzog Standard & Poor’s als erste große Ratingagentur überhaupt den USA am 5. August das AAA. Schon im April hatte sie es mit einem negativen Ausblick versehen.
Die Märkte reagierten. Zwar sorgten in diesen Wochen vor allem die Probleme des Euroraums für Volatilität, doch war das Drama in den USA der Hauptgrund für den 17-prozentigen Verlust des S&P 500 allein im August. Erst sechs Monate später hatte sich der Index wieder erholt. Der Goldpreis stieg im Sommer 2011 um 25%. Wegen der Krise in Europa zogen die Anleger aber ausgerechnet US-Staatsanleiten weiterhin fast allem anderen vor. Die US-Zehnjahresrendite fiel von 3,72% im Februar auf 1,72% im September.
Spaltung
Die Erfahrungen von 2011 waren aber kein heilsamer Schock. 2013 gab es erneut Streit, und seitdem stimmte der Kongress oft nur für eine Aussetzung der Schuldenobergrenze statt für eine Anhebung.
Wir stimmen Fed-Chairman Jerome Powell vollkommen zu, wenn er die Anhebung der Schuldenobergrenze für alternativlos hält. Aber auch dieses Jahr sollte man damit rechnen, dass es knapp wird.
Einmal mehr haben wir es mit einem gespaltenen Kongress zu tun, wie schon 2011. Und die knappe Mehrheit der Republikaner im Repräsentantenhaus macht es nicht besser. Die quälend langsame Wahl von Sprecher Kevin McCarthy im Januar zeigt, wie undiszipliniert die Abgeordneten sein können. Vielleicht kommen die nötigen Stimmen daher nur mit Mühe zusammen. Machtkämpfe spielen dabei ebenso eine Rolle wie Ideologie.
Hinzu kommt, dass die amerikanischen Bundesschulden von 64% des BIP im Jahr 2011 auf 96% des BIP gestiegen sind. Für 2033 prognostiziert das CBO sogar 118%. Auch die Zinsen sind gestiegen: Von 2011 bis 2021 betrug die US-Zehnjahresrendite durchschnittlich 2%, aber heute sind es 3,8%. Laut Strategas Research Partners dürfte sich der Nettoschuldendienst in den nächsten zehn Jahren von heute etwa 8% der Steuereinnahmen auf fast 16% verdoppeln. Das CBO rechnet mit einem steigenden Haushaltsdefizit, von 1,4 Billionen US-Dollar 2023 auf 1,8 Billionen 2028 und 2,7 Billionen 2033.
Es wird immer schwieriger, die Verfechter der Haushaltsdisziplin als Ideologen abzustempeln. Irgendwann, wenn auch nicht sofort, wird der risikolose Zins an den Märkten ein Thema.
Politisches Drama
Nicht vergessen sollte man auch, dass politische Dramen die Finanzmärkte destabilisieren können, vor allem wenn sie deren Funktionsfähigkeit massiv schaden können.
Auch wenn wir keine Zweifel an der Kreditwürdigkeit der USA haben und am Markt zurzeit Inflation, Wachstum, Beschäftigung und Leitzinsen die wichtigsten Themen sind, könnte die Schuldenobergrenze in den nächsten drei bis sechs Monaten für zusätzliche Volatilität sorgen. Aber das hat auch ein Gutes: Kursverluste ohne schlechtere Fundamentaldaten bedeuten interessante Einstiegsmöglichkeiten.
Von Joseph V. Amato, President und Chief Investment Officer – Equities bei Neuberger Berman