Um einen ganzen Prozentpunkt sind die amerikanischen und europäischen Zweijahresrenditen in nur einer Woche gefallen, und die Tagesschwankungen waren größer als während der internationalen Finanzkrise. Dann benötigte auch noch eine Schweizer Großbank Liquiditätshilfen. Da mag es seltsam klingen, dass sich fundamental nichts geändert hat. Lassen Sie mich erklären.
Im Grunde ist unser Makroausblick seit fast einem Jahr recht stabil. Wir bezeichneten die hohe Inflation als unerwartet hartnäckig, rechneten mit massiven und entschlossenen Zinserhöhungen und schrieben, dass all dies Wirtschaft und Märkten mit Verzögerung schaden werde. 2023 und Anfang 2024 würde man die Folgen zu spüren bekommen.
Wir glauben, dass es jetzt so weit ist.
Der Tag der Wahrheit
In den letzten Wochen schien sich unser Ausblick nicht zu bewahrheiten. Trotz scheinbar immer besserer Konjunkturdaten begann die Inflation zu fallen. Die niedrigeren Erdgaspreise in Europa und der Neustart Chinas stützten die Wirtschaft.
Wie Joe Amato schrieb, rechneten wir aber weiter mit einem Tag der Wahrheit. Wir erwarteten wegen der strafferen Geldpolitik nach wie vor nachlassendes Wachstum. Einige Wochen später fragte ich, ob jetzt plötzlich alles anders sei. Je mehr sich ändere, desto mehr bleibe gleich. Ich verwies auf unseren Langfristausblick und warnte davor, den Optimismus der Märkte überzubewerten. Schließlich reagiere die Geldpolitik mit Verzögerung, und die Zinserhöhungen seien noch nicht vorbei.
Schwachstellen
Damit kommen wir zu einem weiteren Punkt, der vor allem für unser zweites Thema aus Solving for 2023 wichtig ist: „Die Anpassung an die höheren Zinsen macht weiter Probleme“.
2022 war das Jahr des Zinsanstiegs. 2023 würde das Jahr sein, in dem Wirtschaft und Finanzsystem darauf reagieren. „Achten Sie auf Schwachstellen im Finanzsystem, die Probleme machen können“, schrieben wir. „Wenn sich die Finanzbedingungen so schnell ändern, sollte man sie genau im Blick haben“, meinte Niall O’Sullivan – und Joe Amato warnte vor „bösen Überraschungen“.
Bis letzte Woche hatten wir Glück. Abgesehen vom Debakel britischer Pensionsfonds mit LDI-Strategien blieben die enormen Zinserhöhungen bislang recht folgenlos.
Solvenz
Der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank (SVB) hat uns dann aber eindrucksvoll gezeigt, dass derart starke Zinserhöhungen, ein massiver Liquiditätsentzug und eine so klar inverse Zinsstrukturkurve nicht ohne Folgen bleiben.
Da ein großer Teil der SVB-Passiva aus flüchtigen Einlagen von Venture-Capital-Firmen und ein Großteil der Aktiva aus US-Staatsanleihen bestanden, geriet durch steigende Renditen und die Auflösung von Guthaben die Solvenz des Instituts unter Druck. Begonnen hatte das schon letztes Jahr. In der Woche vom 6. März nahm die Entwicklung dann massiv Fahrt auf.
Als eine Kapitalerhöhung scheiterte, brach die SVB zusammen. Wenig später folgte aus ähnlichen Gründen die Signature Bank. Plötzlich fürchtete man Fristeninkongruenzen im gesamten Bankensystem, waren doch in den letzten Jahren viele Einlagen in niedrigverzinsliche US-Staatsanleihen investiert worden. Der KBW NASDAQ Bank Index fiel um über 25%.
Fed, US-Finanzministerium und FDIC, die amerikanische Einlagensicherung, garantierten gemeinsam die nicht abgesicherten Einlagen beider Banken. Außerdem wurde ein Bank Term Funding Program aufgelegt. Die Banken können daraus Kredite mit bis zu einem Jahr Laufzeit erhalten, abgesichert mit US-Staatsanleihen und vergleichbaren Titeln, bewertet zu pari.
In Europa musste Crédit Suisse um Staatshilfe bitten. Die Bank lieh sich bis zu 50 Milliarden Schweizer Franken von der Schweizerischen Nationalbank und gab Rekapitalisierungspläne bekannt. Nach dem Zusammenbruch der SVB war die Aktie der Crédit Suisse um 30% auf ein Allzeittief gefallen.
Was tun die Notenbanken?
Die straffere Geldpolitik wirbelt die Märkte also jetzt durcheinander. Doch was tun die Notenbanken?
Die Europäische Zentralbank gab letzte Woche ein erstes Signal. Sie erhöhte den Leitzins am Donnerstag wie geplant um 50 Basispunkte, verzichtete aber auf den bislang üblichen Hinweis auf „weitere regelmäßige Zinserhöhungen“. Außerdem senkte sie die Inflationsprognose für 2024 um 30 und für 2025 um 20 Basispunkte. Patrick Barbe, unser Head of European Fixed Income, nannte dies den ersten Hinweis auf eine lockerere Geldpolitik seit Langem.
Es ist schwer zu sagen, ob die Fed diese Woche auf eine Zinserhöhung verzichtet oder den Leitzins noch einmal um 25 Basispunkte anhebt. Wir tendieren zum Zweiten. Auch könnte die Fed ähnlich der EZB ihre Rhetorik ändern.
Finanzbedingungen
Sind das nur Notmaßnahmen angesichts der Probleme des Bankensystems? Wir glauben, dass es mehr ist.
Natürlich zeigten die US-Inflationsdaten der letzten Woche, dass die Verbraucherpreise noch immer kräftig steigen, auf immer breiterer Front und in wichtigen Gütergruppen, und dass die Inflation noch hartnäckiger wird. Indikatoren wie die monatliche „Trimmed Mean“-Inflation und der „Sticky CPI“ liegen weiterhin deutlich über dem Gesamtwert.
An der derzeitigen Teuerung können die Notenbanken aber nicht viel ändern. Sie müssen an morgen denken. Die Inflationsentwicklung dürfte vor allem von der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und den Finanzbedingungen abhängen. In den letzten Tagen waren Produzentenpreise, Industrieproduktion und Einzelhandelsumsätze schwächer, und nach dem Bloomberg US Financial Conditions Index sind die Finanzbedingungen jetzt so straff wie zuletzt auf dem Höhepunkt der Pandemie. Viele Finanzinstitute meldeten letzte Woche deutlich höhere Refinanzierungskosten und wesentlich strengere Kreditbedingungen.
Das Ende der Zinserhöhungen?
Viel spricht dafür, dass Wirtschaft und Finanzsystem jetzt auf die Zinserhöhungen der letzten zwölf Monate reagieren und die Probleme der Banken nur ein Teil davon sind. Man kann sie nicht losgelöst von der strafferen Geldpolitik betrachten.
Keine Notenbank will irgendein zuvor ausgerufenes Leitzinsziel um jeden Preis erreichen. Vielmehr geht es darum, die Finanzbedingungen so stark zu straffen, dass Wachstum, Beschäftigungszuwachs und letztlich die Inflation nachlassen. Nach den Entwicklungen der letzten Woche scheint man diesem Ziel sehr viel nähergekommen zu sein.
Wenn aus den Problemen der Banken keine echte Krise wird, könnten EZB und Fed zu dem Schluss kommen, dass sie ihre Ziele erreicht haben oder es zumindest bald so weit ist. Vor allem die Fed, die die Zinsen schon wesentlich stärker erhöht hat als die EZB, könnte eine Zinspause ausrufen. Tatsächlich rechnet man an den Märkten damit, dass die Zinsen schon dieses Jahr wieder sinken.
Solange die Inflation nicht nachhaltig fällt, sind weitere Zinserhöhungen denkbar. Nach dieser Woche könnten sie aber erst einmal für unbestimmte Zeit auf Eis gelegt werden.
Von Brad Tank, Chief Investment Officer – Fixed Income, Neuberger Berman
Am 17. März war Joseph Amato, President und Chief Investment Officer – Equities, Gastgeber eines Live- Webinars mit David Brown, Co-Head of Global Investment Grade Fixed Income, und Kush Goel, Senior Research Analyst für Banken und Broker. Sie sprachen über ihre Einschätzung der aktuellen Probleme im Bankensektor. Hier finden Sie die Aufnahme des Webinars.