Die heutigen CIO Weekly Perspectives stammen vom Neuberger Berman Gastautor Timothy F. Creedon, CFA.
Die Berichtssaison für das 2. Quartal ist fast vorbei. Mehrere Einzelhandelsunternehmen zeigten letzte Woche, wie stabil der US-Konsum noch immer ist. „Widerstandsfähigkeit“ war das Zauberwort beim S&P 500. Fast 80% aller Unternehmen haben die Erwartungen übertroffen; im Schnitt waren die Zahlen um mehrere Prozentpunkte besser als zu Quartalsbeginn geschätzt. Insgesamt dürften die Gewinne zwar um etwa 5% gefallen sein, doch scheint der Tiefpunkt jetzt erreicht. Konsens ist, dass die Gewinne im 3. Quartal nicht weiter zurückgehen und im 4. um einen hohen einstelligen Wert steigen. Für 2024 ist man noch optimistischer und rechnet mit einem zweistelligen Wachstum.
Diese erstaunliche Stabilität ist ein wichtiger Grund dafür, dass unser Asset Alllocation Committee bei Aktien zwar vorsichtig bleibt, sie seit diesem Sommer aber wieder neutral gewichtet. Dabei haben wir die Wahrscheinlichkeit, dass der Fed eine weiche Landung gelingt, gegen das Risiko neuer Turbulenzen abgewogen.
Immer mehr Beobachter rechnen mit einer weichen Landung, was die Kurse mehr und mehr bestimmt. Inflation und Arbeitsmarkt, so heißt es, könnten – vielleicht auch wegen der Produktivitätsgewinne durch KI – gerade so stark nachgeben, dass die Lohninflation nachlässt, die Zinsen 2024 vielleicht gesenkt werden können und risikoreiche Titel interessant bleiben.
Eine solche weiche Landung scheint auch uns möglich, doch müsste dann schon vieles zusammenkommen. Wir sehen mehrere Hindernisse, die einer genauen Analyse bedürfen. Sie bestätigen uns in unserer Zurückhaltung bei Aktien und unserer neutralen Positionierung.
Personalmangel und möglicher Margendruck
Die Disinflation zeigt sich allmählich in den Daten. Aus unserer Sicht führt sie vor allem zu einem niedrigeren Umsatzwachstum. Die Margen der Unternehmen könnten unter Druck geraten, weil die Reallöhne aufgrund von Personalmangel weiter steigen.
Das sieht man an den jüngsten Tarifverhandlungen bei Fluggesellschaften und dem Paketdienst UPS. Im September droht auch ein Streik der amerikanischen Automobilarbeitergewerkschaft. All das zeigt, dass die Arbeiter entschlossen sind, sich ihren Teil des Kuchens wieder zu sichern. Wenn das Personal knapp und der Lohnanstieg hoch bleiben, werden Unternehmen zu Preiserhöhungen gezwungen sein. Dann bliebe auch die Inflation hoch, und die Fed würde wohl an einer restriktiveren Geldpolitik festhalten. Wenn die Unternehmen die steigenden Kosten nicht weitergäben, gerieten ihre Margen und Gewinne unter Druck. Bei einer steigenden Arbeitslosigkeit nähme der Lohndruck hingegen ab. Dann würde man aber schnell mit weniger Wachstum rechnen – denn nach wie vor fürchten viele, dass die Rezession bislang nur verschoben ist.
Zinsnormalisierung
Viele hat überrascht, wie wenig die Zinserhöhungen Unternehmen und Haushalte beeindruckt haben. Sicher, viele hatten die niedrigen Zinsen für Refinanzierungen genutzt, sodass ihnen steigende Kurzfristzinsen jetzt nur wenig anhaben können. Refinanzierungsrisiken könnte es aber beim Staat geben, dessen Schulden wegen der hohen Ausgaben in der Coronazeit stark gewachsen sind. Dies zeigt sich schon jetzt am US-Staatsanleihenmarkt; die 10-Jahres-Rendite ist gerade erst auf ein 15-Jahres-Hoch gestiegen. Wird sie weiter zulegen, und wird sich die Zinsstrukturkurve weiter normalisieren? Es bleibt abzuwarten, ob steigende Zinsen dann noch immer so wenig Schaden anrichten wie zuletzt bei Unternehmen und Haushalten.
Der Ausblick für China
Zu guter Letzt sind viele Augen auf China gerichtet. Die Erholung hält sich in Grenzen, die Wachstumserwartungen sinken. Man fragt sich, ob sich die Regierung zu größeren Konjunkturprogrammen durchringt, mit denen sie bislang gezögert hatte. Steigende Schulden und Zahlungsausfälle machen Sorgen, Konsum und Geschäftsklima sind schwach, die Spannungen zwischen den USA und China verschärfen sich. Die chinesische Führung bereitet sich gerade auf ihre jährliche Klausurtagung im Sommer vor. Wird sie große Konjunkturprogramme oder Änderungen der Politik beschließen, um das Wachstum zu stärken? Entschlossene Maßnahmen könnten sicher helfen, würden aber wohl auch die Inflation weltweit anheizen. Nicht zu vergessen sind auch die Auswirkungen auf Wechselkurse und Rohstoffe.
Die meisten von uns hoffen auf eine ruhige zweite Augusthälfte. Dennoch gibt es viel zum Nachdenken. Der September verspricht spannend zu werden.