CIO Weekly | Die Rückkehr der Industriepolitik

Wenn die Regierungen wieder mehr in die Wirtschaft eingreifen, werden Inflation, Standortwahl und Besteuerung für Investoren wichtiger. Neuberger Berman | 16.11.2023 08:11 Uhr
Niall O’Sullivan, Chief Investment Officer – Multi-Asset Class, EMEA / © e-fundresearch.com / Neuberger Berman
Niall O’Sullivan, Chief Investment Officer – Multi-Asset Class, EMEA / © e-fundresearch.com / Neuberger Berman

Letzte Woche haben wir unseren Ausblick Solving für 2024 veröffentlicht. Vielleicht sind Ihnen darin einige Gemeinsamkeiten der Makrothemen für das neue Jahr aufgefallen. Eine davon ist, dass es oft um die Rückkehr der Industriepolitik geht. 

  • Wir rechnen mit einem schwächeren US-Konsum, weil sich die Fiskalpolitik jetzt mehr auf Hilfen für die Industrie konzentriert und die Ersparnisse aus der Coronazeit allmählich schwinden. 
  • Auch wegen der neuen Fiskalpolitik rechnen wir mit einer hartnäckigeren Inflation. 
  • Wir gehen davon aus, dass sich die Fiskalpolitik von Land zu Land unterscheiden und die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen wichtiger wird. Länder, die sich eine Industriepolitik leisten können, werden sich anders entwickeln. Aber auch manche Länder, die sie sich eigentlich nicht leisten können, werden dafür Geld ausgeben. 
  • Politische Entscheidungen werden mit Klima- und Umweltschutz, aber auch mit der unsicheren Weltlage begründet. Typische Beispiele sind der Inflation Reduction Act (IRA) und der CHIPS Act in den USA.

Die große Präsenz industriepolitischer Themen zeigt, wie wichtig sie geworden sind. Aber was ist eigentlich Industriepolitik? Ist sie gut oder schlecht, und wie könnten Investoren auf sie reagieren?

Was meinen wir mit Industriepolitik?

Für den Volkswirt Ruchir Agarwal besteht Industriepolitik aus Subventionen, Steueranreizen, Gesetzen, Regulierungen und anderen „staatlichen Maßnahmen zur Formung der Wirtschaft durch die gezielte Einflussnahme auf bestimmte Branchen, Unternehmen und Aktivitäten“.

Immer mehr qualitative wie quantitative Belege sprächen dafür, dass „die Industriepolitik in vielen Ländern ausgebaut wird“, in Emerging Markets wie in Industrieländern. Auslöser seien oft populistische Forderungen, auf die der Staat dann reagiere.

Ist das gut oder schlecht?

In einem einzigen Artikel werden wir kaum eine der größten Kontroversen der Volkswirtschaftstheorie lösen können. Ob Industriepolitik der Wirtschaft nützt oder schadet, hängt aber letztlich davon ab, ob sie vernünftig ist und Vermögen mehrt – oder ob sie Vermögen zerstört.

Industriepolitik kann nötig sein, um etwas zu erreichen, was der Markt nur bedingt leistet (wie die Begrenzung der Erderwärmung oder den Schutz der nationalen Sicherheit). Sie kann produktivitätssteigernde Investitionen zur Folge haben, sodass die Wirtschaft stärker wächst als die Zinslast des Staates, der sie finanziert. Sie kann wichtige soziale Güter ermöglichen, etwa das Internet, COVID-19-Impfstoffe oder Investitionen in den Klimaschutz.

Industriepolitik kann aber auch schaden, Vermögen zerstören und am Ende zum Nullsummenspiel werden.

Manches gelingt dem Markt nicht gut. Das heißt aber nicht, dass es der Staat besser kann – und schon gar nicht, dass er effizient ist. Die Politik (und in Demokratien auch kurzfristiges Denken und Entscheidungen, die allein bestimmten Wahlkreisen nützen) kann wirtschaftliche Ziele überlagern. Die klassischen „nationalen Champions“, die kurzfristige politische Ziele erfüllen oder Arbeitsplätze schaffen, sind auf Dauer oft teuer und ineffizient. Noch schlimmer ist die Gefahr von Vetternwirtschaft und Korruption. Alles in allem ist Industriepolitik inflationstreibend. Die Preise steigen durch die Internalisierung von Externalitäten oder weil kostengünstigere Marktlösungen verhindert werden.

Und selbst nationale Maßnahmen, die auf den ersten Blick vernünftig und wohlstandssteigernd erscheinen, können bei weltweiter Anwendung zu Null- oder Negativsummenspielen werden.

Wenn man die Beschäftigung in strategischen Branchen subventioniert oder schützt, werden Arbeitsplätze aus anderen Ländern abgezogen, ohne dass echter Wettbewerb stattfindet. „Friendshoring“ mag angesichts des Wunsches nach sicheren Lieferketten nachvollziehbar sein. Das Konzept verfolgt aber auch politische Ziele, nimmt Einfluss auf die Beziehungen zwischen Ländern und ist selten wirtschaftlich optimal, schon gar nicht langfristig. Die europäischen Sorgen wegen des amerikanischen Inflation Reduction Act zeigen, dass solche Maßnahmen Verbündete wie Gegner umso stärker irritieren, je mehr sie die Autarkie fördern.

Gewinner und Verlierer

Wo sowohl Vermögen zerstört als auch geschaffen wird, und wo Null- und Negativsummenspiele gespielt werden, gibt es Gewinner und Verlierer. Investoren wollen natürlich wissen, wer wer ist.

Weil Industriepolitik Geld kostet und die Preise antreibt, kann sie in hoch verschuldeten Ländern mit weitgehender Vollbeschäftigung zur Überhitzung führen – und zu Zweifeln an der Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen. Irgendwann wird die Rechnung präsentiert. Wir glauben, dass Investoren nicht nur auf die industriepolitischen Entscheidungen selbst achten sollten, sondern auch auf Inflation und Staatsschulden.

Wenn eine Investition nicht rentabel ist, wird die Nachhaltigkeit der Schulden zum Thema. Eine wirklich gute Lösung gibt es nicht. Zahlungsausfälle und kräftige Steuererhöhungen (die das Wachstum am Ende noch stärker bremsen) sind sicher schlechter, als wenn man sich seiner Schulden durch Inflation entledigt oder zur Finanzrepression greift, damit die Kapitalkosten nicht aus dem Ruder laufen.

Diese „besseren“ Lösungen erfordern aber eine Koordination von Geld-, Fiskal- und Regulierungspolitik. Schwache Regierungen sind daher ein Warnsignal für Investoren. Die LDI-Krise in Großbritannien und die Mini-Bankenkrise in den USA haben gezeigt, dass die Notenbank im Zweifel eingreifen kann, selbst wenn sie die Geldpolitik eigentlich strafft. Das geht aber nur in Ländern mit klaren institutionellen Zuständigkeiten. Im Euroraum hingegen verschwimmen die Grenzen. Wegen der Schwierigkeiten der Inflationssteuerung bei einer gemeinsamen Geldpolitik mit nationaler Zuständigkeit für die Fiskalpolitik, wurde das Transmissionsschutzinstrument eingeführt.

Inflation, Standort und Besteuerung

Bei Unternehmen sollten Investoren unserer Ansicht nach auf Inflation, Standort und Besteuerung achten.

Wir rechnen damit, dass mehr Industriepolitik letztlich das reale Wachstum bremst. Andererseits darf man nicht vergessen, dass eine höhere Inflation ein höheres nominales Wachstum zur Folge hat. Für finanzstabile Unternehmen mit nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen und Preismacht muss das nicht schlecht sein.

Ob ein Unternehmen von Staatsausgaben profitiert, hängt letztlich von seinem Sitz ab. Wenn es so klug war, dass es Aktivitäten in ein Land mit ausreichenden Mitteln für teure Industriepolitik verlagert hat, kann ihm das nützen. Wer hingegen in seinen Lieferketten gefangen ist, könnte Probleme bekommen, während andere neue Netzwerke nutzen. Für Investoren könnte daher der Unternehmensstandort wichtiger werden. Anbieten könnten sich Investitionen in Unternehmen mit Aktivitäten in bestimmten Ländern, aber auch in Sektoren und Branchen, die der Staat voraussichtlich fördert.

Am Ende geht es aber darum, wie die Regierungen das alles bezahlen wollen.

Investoren könnten versucht sein, einfach nur nach den „nationalen Champions“ Ausschau zu halten. Aber oft zapft der Staat deren Gewinne an: Es ist nur fair, dass Regierungen, die Unternehmen unterstützen, auch bei der Gewinnverwendung ein Wort mitreden wollen. Interessanter könnten daher Firmen sein, die von der Industriepolitik profitieren, ohne dass es so offensichtlich ist. Sie könnten echten Mehrwert schaffen statt nur von Umverteilung durch Industriepolitik zu profitieren.

Alles in allem steht aber fest, dass die Industriepolitik zurück ist. Das hat zahlreiche Auswirkungen, die wir schon jetzt zu spüren bekommen – auf Weltwirtschaft, Regionen und Länder, auf Sektoren und Unternehmen. Investoren, die das ignorieren, übersehen vielleicht einen der wichtigsten neuen Risikofaktoren in ihrem Portfolio.

Von Niall O’Sullivan, Chief Investment Officer – Multi-Asset Class, EMEA und Robert Dishner, Senior Portfolio Manager – Fixed Income

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