Staatsanleihen mit der höchsten Kreditqualität werden „risikolos“ genannt, auch wenn sie manchmal heftig schwanken und auf wirtschaftliche Entwicklungen reagieren. Risikolos heißen sie, weil man fast mit Sicherheit alle sechs Monate den gleichen Coupon bekommt und sich bei Endfälligkeit auch auf die Rückzahlung verlassen kann.
Wir meinen, dass sich Anleiheninvestoren jetzt vor allem auf das künftige Zinsniveau konzentrieren sollten und nicht darauf, was bis dahin geschieht. Nicht der Weg ist entscheidend, sondern das Ziel. Dafür gibt es zwei Gründe.
Erstens lassen sich dann bei einer inversen, sich aber allmählich normalisierenden Zinsstrukturkurve Bewertungschancen leichter erkennen. Zweitens fördert es eine strategische Perspektive zu Beginn eines Jahres mit möglicherweise stark schwankenden Zinserwartungen.
Zinsstrukturkurve
In den USA bieten Geldmarktanlagen zurzeit fast 5,5% Rendite, während die Zweijahresrendite nur 4,3% und die Fünfjahresrendite nur 3,9% beträgt. In Europa sind manche Zinsstrukturkurven noch inverser.
Sollte man daher auf Zinsrisiken verzichten und weiter am Geldmarkt investieren? Nicht, wenn man statt der Renditeschwankungen das langfristige Zinsniveau im Blick hat. Ende 2025 wird man für Zweijahresanleihen vermutlich noch immer etwa 4% laufenden Ertrag bekommen. Bleibt man aber am Geldmarkt investiert, verdient man den Terminmärkten zufolge dann nur noch 3,4%.
Wenn die Leitzinssenkungen abgeschlossen sind, wird sich der Geldmarktsatz nur noch wenig von der heutigen Zweijahresrendite unterscheiden. Bei fallenden Kurzfristzinsen erzielt man mit der Zweijahresanleihe aber Kursgewinne, zusätzlich zu den Coupons.
Der Geldmarktzins mag heute zwar deutlich über der Anleihenrendite liegen, doch wird der annualisierte Gesamtertrag einer Zweijahresanleihe, die man bis zur Endfälligkeit hält, wohl deutlich höher sein als der annualisierte Geldmarktertrag – nämlich um fast 1 Prozentpunkt.
Ungleichgewicht
Fast alles spricht also dafür, dass die Kurzfristzinsen ihren Höhepunkt erreicht haben und 2024 und 2025 irgendwann zu fallen beginnen. Das bringt uns zu unserem zweiten Punkt.
Seit der Dezembersitzung des Offenmarktausschusses sind die Zinserwartungen volatil.
Zunächst reagierten die Anleger auf die in Aussicht gestellte Lockerung der Geldpolitik, doch in den letzten Tagen schienen immer mehr Ausschussmitglieder zurückzurudern. Außerdem sind die US-Konjunkturdaten noch immer sehr stark; man denke nur an die überraschend hohen Inflationszahlen vom Donnerstag. Dennoch erwartet der Markt noch immer schnellere Zinssenkungen als die Fed selbst. Er rechnet mit einer Leitzinssenkung im März und erwartet 2024 fast doppelt so viele Zinssenkungen, wie die Notenbank in ihrem Dot Plot in Aussicht stellt.
Dieses Ungleichgewicht könnte zu anhaltender Volatilität führen.
Hinzu kommt, dass die Fed die Zinsen wohl schon vor einer Rückkehr der Inflation auf 2% erstmals senken wird. Wie deuten die Anleger das? Vor drei Jahren hat die Fed ihr Inflationsziel geändert: Das bisherige Punktziel wurde durch den langfristigen Durchschnitt ersetzt, um frühzeitige Zinssenkungen zu rechtfertigen. Dem steht aber das strukturelle Ziel „normalerer“, d.h. leicht positiver Realzinsen gegenüber, wie sie vor der internationalen Finanzkrise üblich waren. Das spricht wiederum gegen frühe Senkungen.
Wenn man dann noch berücksichtigt, wie sehr die Geldpolitik zurzeit auf die Konjunkturdaten reagiert, sind kräftige Schwankungen der Zinserwartungen in diesem Jahr alles andere als unwahrscheinlich.
Positionierung
Auch hier ermutigen wir Investoren, statt auf den Weg auf das Ziel der Geldpolitik zu achten.
Zu frühzeitigen Zinssenkungen äußert sich die Fed zurzeit ebenso vorsichtig wie zum möglichen Leitzins in einem Jahr. Aber alle Offenmarktausschussmitglieder sind sich einig, dass die Straffung der beiden letzten Jahre das gewünschte Ergebnis brachte. Die Fed erwartet für 2024 weniger Wachstum und Inflation – genauso wie die meisten unabhängigen Volkswirte.
Die Ausschussmitglieder mögen nicht mit sechs Zinssenkungen in diesem Jahr rechnen, wohl aber mit drei.
Wenn sich Anleiheninvestoren dies bewusst machen, können sie leichter mit der erwarteten Zinsvolatilität umgehen – vor allem bei Titeln mit bis zu fünf Jahren Laufzeit.
Vor einem Jahr war eine unterdurchschnittliche Duration sinnvoll, die man bei zeitweise zu pessimistischen Inflationserwartungen vorübergehend verlängerte. Heute scheint uns eine überdurchschnittliche Duration angemessener – und eine vorübergehende taktische Verkürzung, wenn der Markt mit zu vielen Zinssenkungen rechnet oder die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen zu positiv einschätzt. Wir meinen, dass das im Dezember der Fall war.
Investoren, die auf den Endpunkt der Zinsentwicklung achten statt auf den Weg dorthin, können unserer Ansicht nach ihren strategischen Kurs- und Renditezielen treu bleiben und bei Bedarf taktische Anpassungen vornehmen. Schwankende Zinserwartungen werden dann vielleicht sogar zu einer Ertragsquelle, statt einfach nur störender Noise zu sein.
Von Ashok Bhatia, Co-Chief Investment Officer – Fixed Income und Brad Tank, Co-Chief Investment Officer – Fixed Income bei Neuberger Berman