Im November haben wir Ihnen unsere „Zehn Themen für 2024“ vorgestellt. Ganz vorne standen „Wachsende Herausforderungen für den Konsum“.
Die US-Wirtschaft, schrieben wir, war 2023 vor allem wegen der niedrigen Arbeitslosigkeit und der in der Coronazeit aufgebauten hohen Ersparnisse so stabil. Viele Volkswirte meinten, dass diese Ersparnisse im Winter verbraucht sein würden. Weil außerdem die Preise weiter kräftig stiegen und die Zinsen hoch blieben, rechneten wir mit weniger Wachstum durch weniger Konsum.
Aber dazu ist es noch nicht gekommen. Jetzt glauben viele Volkswirte, dass die Ersparnisse noch bis Ende 2024 reichen könnten. Konsumklimaindikatoren und Einzelhandelsumsätze waren hervorragend, und das US- Wirtschaftswachstum liegt noch immer deutlich über den Konsensprognosen.
Doch jetzt könnten die überraschend hohen Inflationszahlen der letzten Woche und ihre möglichen Folgen für die Geldpolitik den Konsens erstmals erschüttern. Werden sich die amerikanischen Verbraucher letztlich zurückhalten, wenn die Inflation weiter über dem Zielwert liegt und die Zinsen nicht so bald gesenkt werden?
Zahlungsrückstände
Um es vorwegzunehmen: Wir sehen schon jetzt erste Anzeichen für Probleme.
Im neuen Vierteljahresbericht zu Haushaltsschulden und -krediten der New York Fed, erschienen vor zwei Wochen, ist von wachsenden Zahlungsrückständen bei Verbraucherkrediten die Rede. Bei Hypothekenkrediten hielten sich die Rückstände im 4. Quartal 2023 in Grenzen, bei Kreditkartenkrediten mit einer Rückstandsquote von etwa 8,5% und Automobilkrediten mit 7,7% aber nicht.
Die unterschiedliche Entwicklung von Hypotheken- und Kreditkartenkrediten hat einen Grund: Hypothekenkredite werden meist an Haushalte mit mittlerem und höherem Einkommen vergeben, Kreditkartenkredite an einkommensschwächere Haushalte.
Eine ähnliche Diskrepanz sehen wir bei Konsumklimaumfragen. Insgesamt hat sich die Stimmung in den letzten anderthalb Jahren verbessert. Die University of Michigan weist aber auch Zahlen für unterschiedliche Einkommensklassen aus. Demnach hat die Kauflaune der Haushalte aus dem oberen und mittleren Einkommensdrittel seit Mitte 2023 weiter zugenommen, während sie im unteren Drittel unverändert blieb. Dazu passen auch die anhaltend hohen Umsätze mit Konsumgebrauchsgütern sowie anderen hochwertigen Gütern und Dienstleistungen sowie die schwächeren Zahlen im Basiskonsumsektor.
Vielleicht sind die hohen Ersparnisse wirklich noch nicht verbraucht – aber nur bei Haushalten mit mittlerem und höherem Einkommen.
Ein Warnsignal
Könnten die schwache Kaufkraft und die schlechte Stimmung einkommensschwächerer Haushalte auch den Mittelstand erfassen? Und könnte das zu einem Problem für die Gesamtwirtschaft werden?
Wenn die Inflation wieder steigt oder hoch bleibt, schließen wir das nicht aus. Deshalb sollte man die letzte Woche veröffentlichten Januarzahlen nicht einfach vom Tisch wischen.
Die Gesamtinflation war enttäuschend hoch und lag über den Konsensprognosen. Viel wurde über den überraschend starken Anstieg der Wohnkosten geschrieben, und vor allem über die „Supercore-Inflation“, also den Kern-Dienstleistungspreisindex ohne Wohnkosten. Er hatte im Januar so stark zugelegt wie seit fast zwei Jahren nicht mehr.
Ist das eine Warnung für Haushalte mit mittlerem Einkommen?
Das scheint uns nicht leicht zu beantworten. Dieses Jahr haben sich die Inflations- und Zinserwartungen am Markt in Richtung unserer Prognosen entwickelt. Wir rechneten mit einer unerwartet hartnäckigen Teuerung und hielten sechs Zinssenkungen in diesem Jahr für unwahrscheinlich. Aber noch sind wir nicht davon überzeugt, dass Haushalte mit mittlerem Einkommen zwangsläufig unter der höheren Teuerung leiden werden und das dann zu dem von uns für möglich gehaltenen Abschwung führt.
Saisoneffekte
Allerdings sollte man sich hüten, aus den Januarzahlen zu viel herauszulesen.
Wie nicht saisonbereinigte Zahlen recht klar zeigen, steigt der Preisindex zu Jahresbeginn meist stärker. Ein Grund dafür ist unserer Ansicht nach, dass viele Menschen dann ihre Versicherungsverträge verlängern. Die höheren Prämien für Auto- und Krankenversicherungen hatten entscheidenden Anteil an der hohen Supercore-Inflation im Januar. Aber das könnte ein vorübergehender Effekt sein.
Hinzu kommt eine andere Entwicklung, die die offiziellen Wohnkostenzahlen eher verdecken. Die Äquivalenzmieten der Hausbesitzer sind im Januar zwar kräftig gestiegen, die tatsächlichen Mieten für Erstwohnungen aber weiter gefallen.
Die Äquivalenzmieten sind aber nur Umfragedaten. Hausbesitzer werden gefragt, wie hoch sie die Miete für ihr Haus schätzen. Niemand zahlt sie also wirklich. Wenn überhaupt, ist die Äquivalenzmiete ein Indikator für den gefühlten Vermögenseffekt mittelständischer Hausbesitzer. Wenn die Inflation insgesamt steigt, folgen diese recht subjektiven Umfragedaten erst mit Verzögerung – und wenn sie fällt, könnte es ähnlich sein.
Das Hauptrisiko bleibt – aber wird erst später wichtig
Fassen wir zusammen: Die Inflation bei Konsumverbrauchsgütern – die sich Haushalte mit mittlerem Einkommen ohnehin besser leisten können – ist vielleicht nicht so hartnäckig, wie die Januarzahlen glauben machen. Wenn sich das im Jahresverlauf bestätigt, dürfte sich an der Nachfrage dieser Haushalte nichts ändern. Aber genau da liegt das wichtigste Risiko – ein Risiko, das wir bereits in unseren „Zehn Themen für 2024“ benannt haben. Es wird allerdings wohl erst später relevant. Viel hängt davon ab, ob die Inflation wieder nachhaltig steigt oder noch länger auf dem derzeitigen Niveau verharrt – und ob es Anzeichen für eine geringere Nachfrage nach höherwertigen Konsumverbrauchsgütern oder für wachsende Probleme bei Hypothekenkrediten gibt. Das könnten erste Warnzeichen sein, dass die Hoffnungen auf eine unveränderte Konjunktur zu optimistisch sind. Die erhoffte weiche Landung könnte dann doch härter ausfallen.
Von Shannon Saccocia, Chief Investment Officer – NB Private Wealth