Die heutigen CIO Weekly Perspectives stammen von unseren Gastautoren Rob Drijkoningen und Gorky Urquieta.
Laut J.P. Morgan waren die Abflüsse aus Emerging-Market-Anleihen nie höher als 2022 – und nie zuvor wurde in zwei aufeinanderfolgenden Jahren mehr Kapital abgezogen als 2022 und 2023 zusammen. 2022 waren es fast 90 Milliarden US-Dollar, 2023 kamen weitere 33 Milliarden hinzu. Auch in den ersten beiden Monaten dieses Jahres summierten sich die Abflüsse schon auf etwa 5 Milliarden US-Dollar.
Wegen der steigenden Industrieländerrenditen und des starken US-Dollars kommt das nicht wirklich überraschend. Dennoch könnte die Entwicklung übertrieben sein und sich deshalb vielleicht umkehren. Weltweit scheinen die Zinsen nicht weiter zu steigen und die Fundamentaldaten der meisten Emerging Markets sind gut: Das Wachstum ist stabil, die Inflation geht deutlich zurück und die Ausfallquoten halten sich in Grenzen.
Wachstum und Inflation
Nach den jüngsten Prognosen des Internationalen Währungsfonds, die sich mit unseren eigenen Erwartungen decken, wird das Wachstum in den Industrieländern leicht auf 1,5% zurückgehen. Für die Emerging Markets werden hingegen noch immer stabile 4,1% erwartet.
In gewisser Weise hat das mit der guten US-Konjunktur zu tun. Aber auch die fallende Emerging-Market-Inflation spielt eine Rolle. Manche Notenbanken haben ihre Zinsen bereits gesenkt, und wegen der nachlassenden Inflation und der weltweit wohl nicht weiter steigenden Zinsen können sie ihre Geldpolitik noch stärker lockern.
Das Ergebnis könnte mehr Wachstum bei niedrigeren Lokalwährungsanleihenrenditen sein. Und wenn in den Industrieländern die Zinsen ebenfalls gesenkt werden, dürften auch die Fremdwährungsanleihenrenditen fallen.
Zahlungsausfälle
In den letzten Jahren häuften sich die Ausfälle von Emerging-Market-Anleihen. Die Pandemie und der russische Einmarsch in die Ukraine traf mehrere Länder hart, die schon vorher Probleme hatten und deren Geld- und Fiskalpolitik nicht optimal war. Für manche Ausfälle gibt es angesichts der weltpolitischen Lage noch immer keine Lösung. In vielen anderen Fällen steht aber eine Einigung mit den Gläubigern kurz bevor.
Hinzu kommen positive Entwicklungen in Ländern, die noch zum Jahreswechsel als problematisch galten. In Argentinien und Ecuador machte die Fiskalpolitik Fortschritte, und andere Staaten bekamen zusätzliches Kapital. Ägypten hat sich mit den Vereinigten Arabischen Emiraten auf ein Investitionsabkommen geeinigt und der Internationale Währungsfonds will seine Kredite für Ägypten aufstocken. Andere Emerging Markets mit hohen Renditen haben auf die schwierige Finanzlage der letzten vier Jahre mit umfangreichen Wirtschafts- und Verwaltungsreformen reagiert. Dadurch erhielten sie zusätzliche Hilfen vom IWF sowie Zugang zu subventionierten Krediten und Mischfinanzierungen.
Wir erwarten daher für dieses Jahr keine weiteren Zahlungsausfälle von Staatsanleihen, was der Assetklasse insgesamt nützen könnte. Dafür spricht auch der Neustart des Marktes für Frontieranleihen.
Gute Liquiditätspuffer bei den Unternehmen
Die stabile Weltkonjunktur und die fallenden Zinsen dürften auch Emerging-Market-Unternehmen helfen. Ihre Kassen sind so gut gefüllt wie seit fast zehn Jahren nicht mehr und ihre Finanzkraft ist nach Jahren des Schuldenabbaus meist gut. Der Emissionsbedarf dürfte sich dieses Jahr deshalb in Grenzen halten.
Alles in allem rechnen wir mit einem Rückgang der Ausfallquoten von Unternehmensanleihen von 7,8% im letzten Jahr auf unter 5% in diesem. Probleme macht in erster Linie der chinesischen Immobiliensektor. Rechnen wir ihn heraus, könnte die Ausfallquote dieses Jahr unter 3,5% fallen – und damit unter den Langfristdurchschnitt.
Bewertungen
Der Wermutstropfen in diesem insgesamt positiven Ausblick sind die hohen Bewertungen, vor allem nach den kräftigen Kursgewinnen Ende 2023. Mit 375 Basispunkten ist der Spread des JPMorgan EMBI Global Diversified Index (EBMI GD) im Vergleich zum ICE BofA Global High Yield Index (350 Basispunkte) und zum US High Yield Index (330 Basispunkte) zurzeit recht eng. Er liegt nur knapp über dem Langfristdurchschnitt von 355 Basispunkten.
Wir glauben aber, dass dieser Durchschnittswert die unterschiedliche Entwicklung von Investmentgrade- und High-Yield-Titeln verdeckt. Von 2020 bis 2023 ist der Spread des Investmentgrade-Teils des EMBI GD um etwa 45 Basispunkte zurückgegangen, während sich die amerikanischen Investmentgrade-Spreads kaum veränderten. Der Spread des High-Yield-Teils des EMBI GD hat sich hingegen um 200 Basispunkte ausgeweitet, obwohl die Spreads amerikanischer High-Yield-Anleihen sogar enger geworden sind.
Daher halten wir zwar auch einige Investmentgrade-Titel weiterhin für interessant, sehen aber vor allem bei hoch verzinslichen Emerging-Market-Anleihen Chancen auf eine weitere Spreadverengung.
Risiken
Und die Risiken?
Wie erwähnt rechnen wir dieses Jahr vor allem in China mit Zahlungsausfällen. Wir glauben, dass die schwache chinesische Binnenkonjunktur und die wohl nur mäßigen Konjunkturmaßnahmen das Wachstum weiter bremsen werden. Probleme sehen wir vor allem im Immobiliensektor. Das dürfte aber vor allem China selbst betreffen; ein massives Übergreifen auf andere Emerging-Market-Anleihen halten wir für unwahrscheinlich.
Ein viel größeres Risiko ist aus unserer Sicht ein erneuter weltweiter Anstieg der Inflation. Die amerikanischen Inflationszahlen der letzten Woche haben uns vor Augen geführt, wie real es ist. Sollte es in den USA zu einem Regierungswechsel kommen, wäre ab nächstem Jahr auch mit neuem Protektionismus zu rechnen.
Da wir aber nach wie vor mit einer Stabilisierung von Wachstum und Inflation rechnen, halten wir eine Umkehr der zuletzt massiven Abflüsse aus Emerging-Market-Anleihen dieses Jahr für möglich.
Von Rob Drijkoningen, Global Co-Head of Emerging Markets Debt und Gorky Urquieta, Global Co-Head of Emerging Markets Debt; NeubergerBerman