Warum dauerhaft höhere Langfristzinsen dem US-Konsum sogar nützen könnten.
Viele US-Konjunkturdaten waren zuletzt nicht gerade hilfreich. Das gilt vor allem für die Kombination aus latenter Inflation, nachlassendem Wirtschaftswachstum und sich verschlechterndem Konsumklima.
Im 1. Quartal lag das BIP-Wachstum mit annualisiert 1,6% fast um einen ganzen Prozentpunkt unter den Erwartungen, und der Konsumklimaindex des Conference Board fiel auf den niedrigsten Wert seit Sommer 2022, als die steigenden Energiepreise den Verbrauchern Angst machten und die Fed mit Zinserhöhungen um 75 Basispunkte die Inflation eindämmen wollte.
Auch jetzt macht die Teuerung der Fed wieder Sorgen. Anleger erwarten für dieses Jahr allenfalls noch eine Zinssenkung. Man ist sich einig, dass das ein wichtiger Grund für den Pessimismus der Verbraucher ist.
Aber kann die Aussicht auf dauerhaft höhere Langfristzinsen nicht auch gut für den Konsum sein? Das klingt zunächst widersinnig – es sei denn, man befasst sich genauer mit dem amerikanischen Wohnimmobilienmarkt.
Sauer Bier
Auf den ersten Blick scheint der Markt zurzeit nicht besonders dynamisch zu sein.
Die Verkäufe von Bestandsimmobilien sind um etwa 25% bis 30% niedriger als vor Corona, schreibt die National Association of Realtors (NAR), und der „Purchase Index“ der Mortgage Bankers Association of America (MBA) ist ähnlich stark zurückgegangen. Er misst die Zahl der Hypothekenanträge, bereinigt um Refinanzierungen und andere Kredite, die nicht dem Immobilienerwerb dienen.
Beide Indikatoren begannen 2022 zu fallen. Der Grund liegt auf der Hand: Weil die Zinsen so stark stiegen, warteten potenzielle Hauskäufer erst einmal ab und hofften auf billigere Hypothekenkredite. Häuser wurden angeboten wie sauer Bier.
Heute liegt der Leitzins noch immer über 5%, und der durchschnittliche 30-jährige Hypothekenzins ist laut MBA im April wieder auf mehr als 7% gestiegen. Erstmals überhaupt ist in allen 50 großen Metropolregionen der USA Mieten billiger als Kaufen: Die Differenz beträgt fast 40%, schreibt Bankrate, eine auf den Vergleich von Finanzprodukten spezialisierte Website.
Warum also sollte irgendjemand mit einer Erholung des Wohnimmobilienmarktes rechnen?
Geduld am Ende
Die Antwort ist: weil sich die Psychologie am Wohnimmobilienmarkt ebenso ändern kann wie am Anleihenmarkt. Hier ist man sich heute sicher, dass die Zinsen so bald nicht fallen. Für uns spricht nichts dagegen, dass potenzielle Hauskäufer ähnlich denken.
Noch vor sechs Monaten rechneten sie vermutlich so: „Wenn ich noch ein weiteres Jahr warte, wird der Hypothekenzins zwar über den 3% von 2021 liegen, aber vielleicht 4% bis 5% betragen.“ Doch aus heutiger Sicht wird es auf absehbare Zeit bei über 6% bleiben. Unterdessen sind die Hauspreise um weitere 3% gestiegen.
Erlebten wir vielleicht im 4. Quartal letzten Jahres die Trendwende, als der Purchase Index der MBA womöglich seinen Tiefpunkt erreicht hatte? Tatsächlich waren die monatlichen Hauskäufe 2023 recht stabil. Wirklich gefallen sind sie 2022, als die Zinsen stiegen.
Wir glauben, dass bald auch die letzten potenziellen Hauskäufer nicht mehr warten wollen.
Die Millennials kommen
Wichtig ist auch, wer diese potenziellen Hauskäufer sind. Viel spricht dafür, dass unter ihnen immer mehr Millennials sein werden.
Lange hatte man geglaubt, dass sich die Millennials nie ein Haus kaufen. Ihre Studierendenkredite waren zu hoch, sie scheuten die langfristigen Finanzrisiken eines Hypothekenkredits, und sie hielten sich mit der Familiengründung zurück.
Doch jetzt zeigt sich, dass der Wunsch nach einem Eigenheim tief in der amerikanischen Kultur verwurzelt ist. Die Millennials machen es wie ihre Vorfahren, nur ein wenig später.
2022 hat die Wohnungssuche-Website RentCafe amerikanische Zensusdaten analysiert. Demnach waren über die Hälfte der Millennials Hausbesitzer, und bei den Übrigen drängt die Zeit. Im Median wurden die Millennials zu Beginn der Pandemie 30. Jetzt denken sie darüber nach, wie ihr Leben wohl mit gut 40 aussehen wird. Ganz sicher werden mehr und mehr von ihnen ein Eigenheim wollen. Laut NAR ließen sie letzten Monat die Babyboomer als größte Alterskohorte unter den US-Hauskäufern hinter sich. 38% der Käufe entfielen auf Millennials, nach nur 28% im letzten Jahr.
Überraschungen
Das könnte große Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft haben.
Vielleicht werden die US-Hauspreise jetzt wieder stärker steigen – was zu Vermögenseffekten und höheren Kommunaleinnahmen führen könnte.
Weil die meisten Millennials zum ersten Mal in ihrem Leben ein Haus kaufen, könnte auch die Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern und anderen Dingen für den Haushalt sowie nach Heimwerkerbedarf steigen. Auch kämen viele neue Verbraucher hinzu, die erstmals in ihrem Leben Kredite mit ihrer Immobilie besichern könnten, zu Zinsen unter den Kreditkartenzinsen.
Die Konsumklimaindizes mögen zurzeit zur Vorsicht mahnen. Dennoch sind die amerikanischen Verbraucher mit den mit dauerhaft höheren Zinsen abfinden, könnten viele zurückgestellte Hauskäufe realisiert werden. Vielleicht erleben wir noch mehr Überraschungen.hohen Zinsen bislang besser zurechtgekommen, als die meisten Volkswirte befürchteten. Wenn sich die Amerikaner jetzt mit dauerhaft höheren Zinsen abfinden, könnten viele zurückgestellte Hauskäufe realisiert werden. Vielleicht erleben wir noch mehr Überraschungen.
Von Shannon Saccocia, Chief Investment Officer – NB Private Wealth, Neuberger Berman
KONJUNKTURDATENRÜCKBLICK
- USA: S&P Case-Shiller Home Price Index: Hauspreisanstieg um 0,9% z.Vm. im Februar und um 7,3% z.Vj. (nicht sb.), +0,6% z.Vm. (sb.)
- USA: Verbrauchervertrauen: -6,1 auf 97,0 im April
- Euroraum: BIP 1. Quartal 2024 (vorläufig): +0,3% z.Vq.
- Euroraum: Verbraucherpreisindex (Flash): +2,4% z.Vj. im April
- USA: Offenmarktausschusssitzung der Fed: keine Zinsänderung
- USA: ISM-Index für das Verarbeitende Gewerbe: -1,1 auf 49,2 im April
- USA: Arbeitsmarktbericht: Anstieg der Beschäftigung (ohne Landwirtschaft) um 175.000; Anstieg der Arbeitslosenquote auf 3,9% im April
- USA: ISM-Index für den Dienstleistungssektor: -2,0 auf 49,4 im April