Als sich das Asset Allocation Committee im März traf, war es optimistisch.
Die Inflation fiel und die Konjunktur war stabil. In den nächsten zwölf bis 18 Monaten schienen Zinssenkungen und ein hohes, stetiges Nominalwachstum denkbar– ein sehr gutes Umfeld für risikobehaftete Wertpapiere.
Gerade erst traf sich das AAC erneut, um über das 3. Quartal zu sprechen. Der jüngste Inflationsrückgang in den USA und die leichte Abkühlung am Arbeitsmarkt schienen unseren Ausblick zu bestätigen. Dennoch bleiben wir bei einer neutralen Markteinschätzung und einer durchweg neutralen Asset-Allokation mit Tendenz zu Qualitätstiteln.
Wir halten unser eher optimistisches Kernszenario zwar noch immer für recht wahrscheinlich, sehen vor allem in den nächsten sechs bis zwölf Monaten aber auch deutlich höhere Extremrisiken. Damit meinen wir nicht nur die oft hohen Bewertungen und die unsichere und konfliktträchtige Weltlage. Wir fürchten auch, dass die Fed mit Zinssenkungen zu lange warten könnte, und sehen große Risiken durch die anstehenden Wahlen. Beides bilden die Kurse bislang vielleicht nur unzureichend ab.
Kurzfristig halten wir die Risikoprämien daher für zu niedrig und die Kurse für zu stabil.
Politische Irritationen
Keineswegs ist die Volatilität völlig verschwunden. Kursschwankungen gibt es noch immer, vor allem ausgelöst durch die Politik.
Anfang Juni fanden drei wichtige Wahlen statt. In Südafrika hat der Afrikanische Nationalkongress (ANC) erstmals seit dem Ende der Apartheid die absolute Mehrheit verloren. In Mexiko wurde Claudia Sheinbaum zur neuen Präsidentin gewählt. Dank eines unerwarteten Erdrutschsiegs kann sie die eher linke Politik der Morena-Partei fortsetzen. Und in Indien verlor Narendra Modis BJP ebenfalls die absolute Mehrheit.
Als klar wurde, dass viele bisherige ANC-Wähler nicht nur Parteien der Mitte, sondern auch Populisten und extreme Linke gewählt hatten, fiel der südafrikanische JSE FTSE All Share Index um 5%. Doch als der ANC dann mit der moderaten Demokratischen Allianz (DA) eine Koalition einging, erholten sich die Kurse kräftig. Der bei Carry-Tradern so beliebte mexikanische Peso gab nach Sheinbaums Sieg um 10% nach. Und der indische Sensex Index schwankte um 3% bis 5% täglich, weil die Wahlergebnisse ganz anders waren als die Nachwahlbefragungen.
Wenige Tage später wurde dann das Europäische Parlament gewählt. Wie Patrick Barbe und Ugo Lancioni letzte Woche schrieben, waren hier nicht die Gewinne der Rechtspopulisten der größte Schock, sondern Emmanuel Macrons Entscheidung, die französische Nationalversammlung vorzeitig neu wählen zu lassen. Jetzt könnte Marine Le Pens Rassemblement National an die Macht kommen.
In nur einer Woche verlor der CAC 40 Index 6%, und die Spreads französischer Zehnjahresanleihen gegenüber deutschen Bundesanleihen weiteten sich um über 25 Basispunkte aus. Auch für Peripherieländeranleihen werden wieder höhere Risikoprämien verlangt. Der italienische Spread stieg um etwa 20 Basispunkte.
Enge und weniger enge Wahlen
Ganz anders sieht es am US-Markt aus, obwohl sich die Amerikaner in weniger als fünf Monaten zwischen zwei Präsidentschaftskandidaten und zwei Parteien mit höchst unterschiedlichen Programmen entscheiden müssen – in einer hart umkämpften Wahl, deren Ausgang völlig offen ist.
Trotzdem steigt der S&P 500 Index von Rekordhoch zu Rekordhoch, und die implizite Volatilität amerikanischer Aktien fiel auf ein 12-Monats-Tief. Goldman Sachs legte eine interessante Analyse dazu vor. Demnach waren nicht-amerikanische Aktien in den letzten Wochen mehr als doppelt so volatil wie US-Titel; ihre Volatilität stieg auf ein neues Fünfjahreshoch. Goldman Sachs schrieb auch, dass die erwartete implizite Volatilität außerhalb der USA 1,5-mal so hoch ist wie am US-Markt. Auch die Credit Spreads veränderten sich außerhalb des Euroraums kaum.
Vielleicht haben sich die Investoren aber einfach noch nicht genug mit den Wahlen im November befasst.
Raheel Siddiqui, leitender Anlagestratege für Aktien und AAC-Mitglied, hat die Entwicklung des S&P 500 Index in amerikanischen Wahljahren seit dem Zweiten Weltkrieg analysiert. Er fand erhebliche Unterschiede zwischen sehr engen Wahlen und Wahlen mit einem klar erwarteten Sieger.
In Jahren mit eindeutigen Erwartungen scheint die Konjunktur die Märkte zu bestimmen. Meist legen die Kurse dann das Jahr über kontinuierlich zu. Bei einem unklaren Wahlausgang war die Entwicklung bis September ähnlich, aber dann brach die Performance kräftig ein und die Volatilität nahm zu.
Sobald das Ergebnis feststand, erholten sich die Märkte dann meist wieder. Im Median waren sie zuvor allerdings um etwa 3% gefallen.
Von lokaler zu globaler Volatilität
Wie viele andere glaubten auch wir Anfang 2024, dass die extrem vielen Wahlen in diesem Jahr starke Kursschwankungen auslösen könnten. Jetzt kommt mit den französischen Parlamentswahlen noch eine weitere wichtige Abstimmung hinzu. Wenn überhaupt, lag die Volatilität dort, wo gewählt wurde, über unseren Erwartungen. Aber die wichtigsten Wahlen stehen noch aus. Wenn sich die Vergangenheit wiederholt, ist die Gefahr groß, dass lokale Kursschwankungen auf die Märkte weltweit übergreifen.
Diese Möglichkeit und andere Extremrisiken sind der Grund für die insgesamt neutralen Einschätzungen des AAC – und für unsere Suche nach passenden Diversifikationsinstrumenten. Mehr dazu lesen Sie im bevorstehenden Outlook für das 3. Quartal. In der ersten Julihälfte erfahren Sie mehr.
Von Erik Knutzen, Chief Investment Officer – Multi-Asset Class, Neuberger Berman