Die großen Notenbanken bekennen sich zu einer „datenorientierten“ Geldpolitik. Und wenn wir Fed-Chef Jerome Powell beim Wort nehmen, kommt es vor allem auf die Arbeitsmarktzahlen an. Das jedenfalls sagte er auf dem EZB-Notenbankforum letzte Woche.
Auch wir glauben, dass der Arbeitsmarkt die Konjunktur bestimmt. Doch was vor ein, zwei oder drei Monaten geschah, dürfte Investoren in Zukunft kaum helfen. In ungewöhnlichen Konjunkturphasen oder an Wendepunkten mag Empirie nützlich sein – aber genau dann sind die Zahlen oft auch verzerrt und werden bisweilen stark revidiert.
Wie also sollten sich Anleger vorbereiten?
An konjunkturellen Wendepunkten brauchen Makroeinschätzungen eine Mikrofundierung. Davon sind wir überzeugt – Bottom-up plus Top-down. Wenn der Arbeitsmarkt in drei Monaten schwächelt, dann doch wohl, weil die Unternehmen drei Monate früher, also jetzt, mit einer nachlassenden Nachfrage rechnen und deshalb Stellen kürzen. Daher glauben wir, dass die ab dieser Woche veröffentlichten Zweitquartalsergebnisse der Unternehmen eine Menge aussagen.
Passende Zahlen findet man immer
An den jüngsten Arbeitsmarktdaten kann man gut zeigen, wie schwierig „datenorientierte“ Entscheidungen sind.
Nach den Zahlen von Freitag ist die amerikanische Beschäftigung (ohne Landwirtschaft) im Juni um 206.000 gestiegen. Das lag zwar etwas über den Erwartungen, aber unter dem Maiwert. Die Daten des Bureau of Labor Statistics waren zuletzt aber nicht nur sehr volatil, sondern auch sehr gut – ganz im Gegensatz zu den Ergebnissen der ebenfalls vom BLS durchgeführten Haushaltsumfragen. Ihnen zufolge steigt die Arbeitslosigkeit nämlich. Niemand scheint wirklich zu wissen, was näher an der Wahrheit liegt.
Außerdem sind in den USA die Folgeanträge auf Arbeitslosengeld stärker gestiegen als erwartet, auf ein 2½-Jahres-Hoch. Die Erstanträge legten im Mai ebenso zu wie im Juni, und der 4-Wochen-Durchschnitt ist jetzt so hoch wie seit einem Jahr nicht mehr.
Der Job Openings and Labor Turnover Survey (JOLTS) spricht wiederum für Arbeitskräftemangel. Im Mai legte die Zahl der Vakanzen und der Neueinstellungen überraschend zu, und unverändert viele Mitarbeiter kündigten ihre Stelle. Um auch nur das geringste Schwächezeichen zu finden, musste man intensiv suchen: Die Entlassungen in der Privatwirtschaft stiegen um 0,1 Prozentpunkte auf 1,2% der Beschäftigten.
Ähnlich uneinheitlich und verwirrend sind die Einkaufsmanagerindizes (PMIs).
Letzte Woche wurde bekannt, dass die US-Indizes von S&P Global im Juni weiter gestiegen sind – der Industrieindex und vor allem der Dienstleistungsindex, zumal die Unternehmen hier laut S&P zusätzliche Mitarbeiter einstellen. Das Institute for Supply Management (ISM) schien allerdings in einer anderen Welt zu leben. Seinen Zahlen zufolge schrumpfte die Industrieaktivität weiter, und der zuvor solide Dienstleistungsindex fiel unter 50. Und in beiden Sektoren wurden laut ISM Stellen abgebaut.
Glauben Sie, was Sie wollen. Die passenden Daten für Ihr Konjunkturbild werden Sie schon finden.
Klarheit durch Mikroanalysen
Wenn Ihnen eine plausible Geschichte nicht reicht, sollten Sie vielleicht darauf achten, was Sie in den nächsten acht Wochen von den Unternehmen hören. Und Sie sollten sich auch nicht so viele Gedanken über die ständigen Vergleiche der Gewinne mit den Analystenerwartungen machen. Entscheidend ist, was wichtige Unternehmen aus allen Sektoren über den Nachfrage- und Beschäftigungsausblick für die nächsten zwölf Monate sagen.
Wenn die meisten Unternehmen mit einer steigenden Nachfrage rechnen, sollte man sich vielleicht Sorgen über eine mögliche Rückkehr der Inflation machen. Wir erwarten aber eher einen deutlichen Abschwung mit Stellenabbau – oder zumindest einen leichten, bei dem die Unternehmen zwar ihre Produktion kürzen, aber nur wenige Mitarbeiter entlassen. Das wäre die von vielen erwartete weiche Landung.
Für die kurzfristige Marktstimmung scheinen uns die Nachrichten aus der Softwarebranche am wichtigsten. Wird die KI-bedingte Nachfrage fallen? Eher nein. Die Kassen der Unternehmen, die in KI investieren, sind extrem gut gefüllt. Aber könnten die wachsenden KI-Ausgaben nicht die Nachfrage nach anderer Software und Technologie verdrängen? Natürlich, und das muss man im Blick behalten.
Durchaus vorstellen könnten wir uns einen besseren Ausblick für die Industrie, weil die Unternehmen im Vorgriff auf den neuen Protektionismus mehr investieren und sich intensiv auf Nearshoring und Reshoring vorbereiten. Im Finanzsektor wurden bereits Stellen abgebaut; wenn die Zinsen fallen und mehr Fusionen und Übernahmen stattfinden, würden die Zeiten auch wegen der jetzt effizienteren Organisation aber wieder besser. Vielleicht werden dann auch wieder Mitarbeiter eingestellt.
Größere Sorgen machen uns konsumnahe Sektoren. Hier könnte die Konjunktur weiter nachlassen, vor allem, wenn die Nachfrage nach Großgeräten fällt, die oft auf Kredit gekauft werden.
Der Technologiesektor mag für die Schlagzeilen sorgen, doch scheint uns die Stimmung in den anderen Sektoren wesentlich mehr über die Konjunktur in den nächsten zwölf Monaten auszusagen.
Bei Neuberger Berman kennen wir unsere Stärken. Wir haben große Analystenteams für Credits und Aktien und viel Know-how in der Datenanalyse. Wir glauben, dass Einzelwerteinschätzungen stets einen wichtigen Beitrag zum Konjunkturbild leisten. Gerade jetzt, nach drei Jahren mit einer sehr außergewöhnlichen Wirtschafts-, Markt- und Leitzinsentwicklung, meinen wir, dass nur die Mikrosicht für Klarheit sorgen kann.
Von Shannon Saccocia, Chief Investment Officer – NB Private Wealth, Neuberger Berman