CIO Weekly | Volatile Politik, stabile Märkte

Sind die Märkte wegen und nicht trotz der unberechenbaren Wahlergebnisse so stabil? Neuberger Berman | 17.07.2024 09:27 Uhr
Joseph V. Amato, President and Chief Investment Officer – Equities, Neuberger Berman / © e-fundresearch.com / Neuberger Berman
Joseph V. Amato, President and Chief Investment Officer – Equities, Neuberger Berman / © e-fundresearch.com / Neuberger Berman

Joseph W. Amato schrieb seinen Text am 12. Juli 2024, vor dem Attentat auf Donald Trump. Wir veröffentlichen ihn dennoch, weil Amatos Beobachtungen für Anleger weiterhin relevant sind. Wir werden die Auswirkungen der jüngsten Ereignisse genau beobachten.

Viele Marktbeobachter, auch wir, rechneten Anfang 2024 damit, dass die zahlreichen Wahlen die Märkte dieses Jahr maßgeblich bestimmen würden. Schließlich würde die Hälfe der Weltbevölkerung an die Urnen gerufen.

Nur wenige hatten aber die vielen Überraschungen vorhergesagt. Und noch weniger hatten damit gerechnet, dass die Märkte trotz allem so ruhig bleiben. Was ist der Grund für diese Diskrepanz? Und sollten Anleger jetzt damit rechnen, dass sich das ändert?

Überraschende Ergebnisse – und schlechte Zeiten für Amtsinhaber

Überall auf der Welt haben die Wahlergebnisse dieses Jahr überrascht. Doch abgesehen vom Erdrutschsieg der regierenden mexikanischen Linken lagen die Amtsinhaber meist hinten. Wir glauben, dass das viel mit der hohen Inflation zu tun hat. An den Finanzmärkten sieht man nach vorn und rechnet mit einer nachlassenden Teuerung. Verbraucher erleben aber, dass Lebensmittel heute ein Drittel mehr kosten als noch vor wenigen Jahren.

Und doch waren diese Wahlüberraschungen – abgesehen von Mexiko – für die Märkte meist neutral oder sogar gut.

Narendra Modis und seine BJP haben bei den indischen Parlamentswahlen die Mehrheit verloren, obwohl Umfragen und selbst Nachwahlbefragungen einen großen Sieg prognostiziert hatten. Am guten langfristigen Konjunkturausblick ändert das Ergebnis aber nichts. In Südafrika verlor der Afrikanische Nationalkongress erstmals seit Ende der Apartheid seine Mehrheit. Statt sich mit linken Splitterparteien zusammenzuschließen, ging er aber eine Koalition mit der Demokratischen Allianz ein, einer Partei der Mitte. In Großbritannien erlebten die Konservativen ein beispielloses Fiasko. Die satte Labour-Mehrheit wurde gemeinhin als Rückkehr zu einer solideren Politik der Mitte begrüßt.

Frankreich hielt gleich mehrere Überraschungen bereit. Kaum jemand hatte mit der Niederlage der Rechtspopulisten am letzten Wochenende gerechnet. „Der Erfolg des Rassemblement National bei den Europawahlen garantiert keinen Erfolg bei den französischen Parlamentswahlen, wo sehr viel mehr auf dem Spiel stehen dürfte“, schrieben Patrick Barbe und Ugo Lancioni schon vor einem Monat.

Die Wahlen brachten zwar alles andere als einen überwältigenden Erfolg der Präsidentenpartei, und die unklaren Mehrheitsverhältnisse sind auf Dauer nicht unproblematisch, aber kurzfristig ist nicht mit einer Destabilisierung der französischen Staatsfinanzen zu rechnen. Frankreichs und auch Italiens Anleihenspreads sind zwar noch immer weiter als vor fünf Wochen, und französische Aktien haben ordentlich verloren, aber für andere europäische Märkte blieb das folgenlos.

Für die Wirtschaft steht viel auf dem Spiel

Könnte es in den USA vor November ähnlich sein?

Zur Wahl stehen zwei Parteien und Präsidentschaftskandidaten, deren Programme für Wirtschaft und Märkte unterschiedlicher nicht sein könnten. Das betrifft vier wichtige Bereiche: Steuern, Regulierung, Einwanderung und Außenhandel. Bis November kann sich noch viel ändern. Bei Redaktionsschluss wuchs der Druck auf Präsident Biden, doch noch auszusteigen. Dennoch möchten wir an dieser Stelle beschreiben, wo die aus unserer Sicht zentralen wirtschaftspolitischen Unterschiede liegen.

Beginnen wir mit der Steuerpolitik: Trumps Steuersenkungen von 2017 laufen Ende 2025 aus. Wenn er gewinnt, dürfte er sie verlängern oder die Steuern vielleicht noch stärker senken. Bei einer Wiederwahl Bidens werden die Steuersenkungen für die Reichsten wohl auslaufen, für Menschen mit mittlerem Einkommen (bis 400.000 US-Dollar) aber wohl verlängert. Trumps Steuerpolitik könnte Aktien und der Konjunktur nützen. Für Anleihen wäre sie wegen der Inflationsrisiken aber wohl weniger gut, zumal neue Zweifel an der Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen aufkommen könnten. Es ist schwer vorstellbar, dass das Haushaltsdefizit bei Trumps Steuerplänen nicht massiv steigt, auch weil er außerdem die Verteidigungsausgaben erhöhen will. Daran ändern auch Trumps Pläne zur Kürzung anderer Staatsausgaben nichts (abgesehen von Sozialprogrammen).

In Sachen Regulierung erwarten wir bei einem Sieg Trumps eine Rückkehr zum Laisser-faire seiner ersten Amtszeit, zumal die Behörden nach einer Entscheidung des Supreme Court jetzt weniger Auslegungsspielraum haben. Eine berechenbarere Regulierungspolitik würde dem Geschäftsklima wohl helfen, das unter einigen sprunghaften Entscheidungen der Biden-Administration zuletzt gelitten hatte. Außerdem erwarten wir bei einem Sieg Trumps mehr Fusionen und Übernahmen.

Beim Thema Einwanderung setzen beide Kandidaten mittlerweile auf eine scharfe Rhetorik, doch dürfte Trump dem eher Taten folgen lassen. Der Arbeitskräftemangel könnte sich dann erneut verschärfen – und Lohnanstieg sowie Inflation anheizen.

Bei Außenhandel und Zöllen sehen wir die größten Anzeichen dafür, dass Trump die Politik seiner ersten Amtszeit noch einmal verschärfen könnte. In den letzten 100 Jahren lagen die amerikanischen Importzölle zwischen 0,3% und 0,5% des BIP, mit einem Maximum in den 1930ern und einem leichten Anstieg in Trumps erster Amtszeit. Seine neuen Vorschläge würden den Anteil auf 1% bis 2% des BIP steigen lassen. Wir sind sicher, dass die weltweiten Handelskonflikte dann weiter eskalieren.

Alles in allem würde sich bei einer erneuten Wahl Trumps eine Menge ändern. Bei einer Wiederwahl Bidens wäre die Politik berechenbarer. Viele Maßnahmen aus seiner ersten Amtszeit würden fortgesetzt und abgerundet.

Für die Wirtschaft dürfte also viel auf dem Spiel stehen, mit weltweiten Folgen. Aber warum scheint das den Märkten egal zu sein?

Plötzliche Volatilität?

Vielleicht lassen sich Anleger nicht von Schlagzeilen beeindrucken, sondern analysieren mögliche Entwicklungen. Trumps Zollpläne irritieren auf den ersten Blick, aber vielleicht sind sie nur der Ausgangspunkt für Verhandlungen, mit einem am Ende sehr viel akzeptableren Ergebnis. Wie auch immer: Vor Ende nächsten Jahres dürfte sich in der Praxis nichts ändern.

Und so sehr die Regierung in der Zoll- und Regulierungspolitik eigenständig handeln kann, so sehr braucht sie bei Steuer- und Einwanderungsgesetzen die Zustimmung des Kongresses. Wie werden die Wahlen ausgehen? Wir halten zweierlei für möglich. Entweder gewinnen die Republikaner alles – Präsidentschaft, Repräsentantenhaus und Senat –, oder es kommt zu einer Machtteilung mit einem demokratischen Präsidenten, demokratischem Repräsentantenhaus und republikanischem Senat.

Die Unsicherheit ist also groß. Vielen Investoren könnte es für eine Positionierung daher noch zu früh sein. Wie Erik Knutzen vor einigen Wochen schrieb – und Timothy Creedon und Raheel Siddiqui bestätigten –, nimmt die Aktienmarktvolatilität in Wahljahren meist erst im Oktober zu.

Uns scheint das plausibel. Frankreich hat gerade erst gezeigt, dass in nur einer Woche alles anders sein kann. Als Trump am 30. Mai in 34 Anklagepunkten schuldig gesprochen wurde, schloss Biden in den Meinungsumfragen zu ihm auf. Doch sein Auftritt in der Fernsehdiskussion vier Wochen später stoppte den Aufwärtstrend und weckte sogar Zweifel an seiner erneuten Kandidatur. Bei einem neuen Kandidaten wäre alles anders. Aber selbst so etwas Alltägliches wie ein anhaltender Inflationsrückgang und eine Zinssenkung im September könnten am Ende den Ausschlag geben.

Was ich hier am Freitag geschrieben habe, könnte, wenn Sie es am Montag lesen, schon obsolet sein. Im November gilt das erst recht. Es ist ein Paradoxon und macht vielleicht deshalb etwas Angst. Für uns ist die Marktvolatilität nicht trotz der großen Unsicherheit über den Wahlausgang niedrig, sondern wegen ihr.

Deshalb sollten Anleger aus den zurzeit stabilen Märkten nicht schließen, dass die Wahlen unwichtig sind. Sie sind wichtig. Wenn sich die Marktteilnehmer dann für einen bestimmten Wahlausgang positionieren, könnte die Volatilität auch sehr schnell nach oben schießen.

Von Joseph V. Amato, President and Chief Investment Officer – Equities, Neuberger Berman

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