Regelmäßige Leser wissen, dass ich immer schon Anfang September den Startschuss für den Jahresendspurt höre. Wenn wir nach dem Sommerurlaub wieder am Schreibtisch sitzen, machen wir uns erste Gedanken über die Jahresperformance. Schnell füllt sich der Kalender mit Terminen, an denen wir das alte Jahr Revue passieren lassen, über Lehren und Erfolge nachdenken und den ersten Ausblick auf das neue Jahr wagen.
Letztes Jahr habe ich diese Endphase einen Hürdenlauf genannt. Dieses Jahr könnte es zumindest in einer Hinsicht einfacher werden. Damals wussten die Anleger nicht so recht, was schwerer wog: die hartnäckige Inflation, das nachlassende Wachstum oder beides gleichermaßen. Diesmal ist das Sorgenkind eindeutig das Wachstum, wie mein Kollege Tokufumi Kato in seiner Analyse von Powells neuer Rhetorik in Jackson Hole schreibt.
So oder so liegen aber noch viele Hindernisse vor uns. Man denke etwa an die so wichtigen US-Wahlen und die erste Zinssenkung der Fed. Das Wachstum ist zwar das wichtigste Thema, aber Konjunkturdaten und Notenbanksitzungen können die Märkte trotz allem erheblich bewegen. Weil die Märkte die Rezessionswahrscheinlichkeit in den USA unserer Ansicht nach überschätzen, könnten Kursschwankungen interessante Einstiegszeitpunkte sein – zumal wir mit einer wachsenden Marktbreite rechnen und glauben, dass man demnächst nicht mehr nur mit den Mega Caps aus dem amerikanischen Technologiesektor etwas verdienen kann.
Schlechte Nachrichten
Die jüngsten Hindernisse haben manche Märkte schon aus dem Tritt gebracht. Die ersten Augusttage schienen sich zu wiederholen, als schwache US-Einkaufsmanagerindizes den S&P 500 und die Staatsanleihenrenditen kräftig fallen ließen. Der uneinheitliche US-Arbeitsmarktbericht vom Freitag könnte das zwar gebremst haben, aber für eine Trendumkehr reichte er nicht.
Vor sechs Monaten hätten ähnliche Daten aus dem Verarbeitenden Gewerbe die Anleger vielleicht noch beruhigt. Sie hätten mit einer niedrigeren Inflation gerechnet, und die Aktienkurse wären gestiegen. Heute sind schlechte Nachrichten aber einfach nur schlecht.
Kommt es also noch schlimmer? Wir rechnen zwar mit nachlassendem Wachstum, aber nicht mit einer schrumpfenden Wirtschaft.
In den letzten gut sechs Monaten schrieben wir, dass unser Ausblick – langsamer Inflationsrückgang, expansivere Geldpolitik und stabiles Nominalwachstum – gut für Aktien sei. Zugegeben – viele Marktsegmente sind jetzt nicht mehr günstig bewertet, und die Weltlage bleibt unsicher. Wegen der bevorstehenden Hindernisse halten wir uns daher mit aktiven Risiken zurück. Es ist gut, dass Anleihen die jüngsten Aktienmarktschocks abgefedert haben. Allerdings wird schon jetzt mit kräftigen Zinssenkungen der Fed gerechnet. Eine zu lange Duration könnte daher teuer werden, wenn die Konjunkturdaten in den nächsten Monaten besser sind, als man am Anleihenmarkt annimmt.
Rezession
Und doch sehen wir noch immer sehr gute Argumente für eine Umschichtung unseres Aktienportfolios, selbst wenn sich an der Aktienquote nichts ändert.
Am Terminmarkt werden für die USA über 200 Basispunkte Zinssenkungen in den nächsten zwölf Monaten erwartet. Wie Kato schreibt, wäre das eigentlich nur bei einer Rezession gerechtfertigt. Aktienanleger, die auch den Anleihenmarkt im Blick haben, macht das nervös. Sie könnten jederzeit verkaufen.
Der Grund für die hohen Verluste des S&P 500 nach den letzten schlechten Nachrichten scheint uns aber nicht ein, für den Fall einer schrumpfenden Wirtschaft, generell zu hohes Bewertungsniveau zu sein. Ursache ist vielmehr, dass der Index mittlerweile von einer Handvoll sehr hochkapitalisierter Technologieaktien dominiert wird. Ihre Kurse sind nur dann gerechtfertigt, wenn wirklich alles perfekt ist.
Nach den Einkaufsmanagerdaten vom letzten Montag ist der S&P 500 um 2,12% gefallen. Überdurchschnittlichen Anteil daran hatte etwa NVIDIA mit fast 10% Minus. Das erklärt auch den deutlich geringeren Rückgang des S&P 500 Equal Weighted Index ( 1,33%) und des Russell 1000 Value Index ( 1,21%). An beiden haben Mega Caps einen deutlich geringeren Anteil.
Balance
Eines unserer Investmentthemen für dieses Jahr war, dass die Nachzügler von 2023 aufholen könnten, wenn die Markbreite zunimmt und sich nicht mehr alles auf die amerikanischen Mega Caps konzentriert. Wie wir gesehen haben, hätte diese Art der Positionierung den jüngsten Ausverkäufen etwas den Stachel genommen und gleichzeitig ein Aufwärtspotenzial geboten.
Wenn Konjunkturdaten oder Präsidentschaftswahlen für weitere Volatilität sorgen, könnten Anleger sie für Neuanlagen in risikoreichere Titel nutzen – in kleinere Unternehmen, Substanzwerte oder attraktiver bewertete, nicht amerikanische Aktien, vielleicht aus Japan. Und bei Erholungen wie in der zweiten Augusthälfte könnte man bei den Technologie-Mega-Caps Gewinne realisieren und das Aktienportfolio weiter diversifizieren.
Der Jahresendspurt hat begonnen. Die wichtigsten Risiken – weniger Wachstum und die Wahlen in den USA – sind heute vielleicht deutlicher zu erkennen als vor einem Jahr. Sie bleiben aber enorme Hürden. Wie so oft kann auch hier eine gute Balance helfen – bei der Asset-Allokation wie bei der Sektor- und Einzelwertauswahl.
Von Erik Knutzen, Chief Investment Officer – Multi-Asset Class, Neuberger Berman