Das Hauptaugenmerk vieler Investoren bei der EZB-Sitzung diese Woche wird auf der Aktualisierung der EZB-Wirtschaftsprognosen liegen – und zwar sowohl beim Wirtschaftswachstum, bei dem das Risiko einer Abwärtskorrektur besteht, als auch mit Blick auf die Inflation und der Differenz zwischen kurz- und langfristigem Horizont.
Zusätzliche Zinssenkung im Oktober könnte notwendig werden
Die Erwartung ist, dass die EZB den Leitzins diese Woche um 25 Basispunkte senkt. Mit einer weiteren Senkung rechnet der Markt zudem aktuell im Dezember. Das passt gut zu den jüngsten Äußerungen der Währungshüter. Allerdings sind darüber hinaus weitere Lockerungen gut möglich, insbesondere wenn das Lohnwachstum aufgrund der schwachen Konjunktur weiter zurückgeht. Nachdem viele Preissteigerungen im öffentlichen Sektor bereits in der ersten Jahreshälfte erfolgt sind und preistreibende Faktoren wie die Hauptreisesaison wegfallen, gehen einige Analysten davon aus, dass die Kerninflation ab September auf einen Wert unter 2,5 Prozent sinkt. In diesem Szenario ist es möglich, dass die EZB im Oktober eine weitere zusätzliche Zinssenkung vornimmt.
EZB bleibt bei Lockerungen vorsichtig
In den meisten Ländern der Eurozone haben Lohnverhandlungen mit den Gewerkschaften erst nach dem Anstieg der Inflationsrate mit einiger Verzögerung stattgefunden. Dies ist einer der Gründe, warum die EZB erst im Sommer mit Lockerungen bei der Geldpolitik begonnen hat. Es ist daher auch denkbar, dass die Notenbanker zu lange eine zu aggressive Politik gefahren sind. Infolgedessen muss die EZB möglicherweise ihren Leitzins nun schneller senken, um einen wirkungsneutralen Zinssatz zu erreichen. Dieser dürfte aktuell unter 2,5 Prozent liegen. Was dagegen spricht, ist die mit über 4 Prozent weiterhin hohe Inflation im Euro-Dienstleistungssektor. Die EZB wird daher wahrscheinlich ihren Leitzins weiterhin nur vorsichtig senken – auch wenn diese Politik für Industrie und Haushalte zu restriktiv ist und damit zu geringeren Investitionen führt.
Im aktuellen Szenario ist es durchaus möglich, dass die Inflation mittelfristig unter den Zielwert der EZB rutscht – insbesondere, wenn eine langwierige Rezession in der Industrie zu einem Abbau von Arbeitsplätzen führt. Real gesehen, hat sich die restriktive Haltung der EZB-Politik aufgrund des Rückgangs bei der Gesamtinflation sogar verstärkt. Darüber hinaus wird das Risiko aufgrund des Rückgangs öffentlicher Ausgaben in den meisten Euro-Ländern sowie die globale Konjunkturabschwächung zusätzlich angeheizt.
Von Patrick Barbe, Head of European Investment Grade Fixed Income bei Neuberger Berman