CIO Weekly | „Anpassung“ der Geldpolitik: Die Fed geht auf Nummer sicher

Niedrigere Leitzinsen sind meist gut für risikoreiche Anlagen. Da kam die kräftige Zinssenkung der Fed gerade recht. Neuberger Berman | 25.09.2024 15:51 Uhr
Joseph V. Amato, President und Chief Investment Officer – Equities, Neuberger Berman / © e-fundresearch.com /  Neuberger Berman
Joseph V. Amato, President und Chief Investment Officer – Equities, Neuberger Berman / © e-fundresearch.com / Neuberger Berman

Die Zinssenkung in der letzten Woche war nicht nur die erste von vielen, sondern auch die mit der größten Spannung erwartete der letzten 15 Jahre.

Meist sind sich die Märkte sehr sicher, wie stark die Zinsen gesenkt werden, und meistens liegen sie damit auch richtig. Doch diesmal hielt man bis zur letzten Minute 25 und 50 Basispunkte für gleich wahrscheinlich. Auch die sonst so gut informierten Journalisten wagten keine Prognose.

Die Spannung war also groß. Viel wurde darüber diskutiert, was das Ausmaß der Zinssenkung über den Zustand der Wirtschaft aussagt. Am wichtigsten scheint uns aber, dass mit den Zinssenkungen jetzt endlich begonnen wurde. Für langfristige Investoren war es einer der bedeutendsten und erfreulichsten Wendepunkte seit Langem.

Kleinere Unternehmen unter Druck

Auch bei Neuberger Berman waren wir uns uneins.

Viele Kollegen unseres Anleihenteams hielten 25 Basispunkte zwar für ausreichend, rechneten aber doch eher mit 50 – um den Verzicht auf eine Zinssenkung im Juli auszugleichen und es der Fed zu ermöglichen, allmählich zu den anderen Notenbanken aufzuschließen. Letztlich ging die Fed dann mit dem Zinsschritt auf Nummer sicher, damit die Konjunktur nicht zu sehr nachlässt.

Ich selbst halte 50 Basispunkte für angemessen – nicht, weil eine Rezession droht, sondern weil die US-Wirtschaft vielleicht doch nicht so stark ist, wie die Konjunkturdaten glauben machen. Ganz sicher ist sie nicht stark genug, um einen restriktiven Realzins von 2,5% zu rechtfertigen, also einen Leitzins 250 Basispunkte über der Inflationsrate.

Wie Shannon Saccocia letzte Woche schrieb, gibt es trotz mindestens 2% Wirtschaftswachstum, stabiler Beschäftigung und immer neuer Höchststände des S&P 500 Index gute Gründe für die schlechte Stimmung von Verbrauchern und kleinen Unternehmen.

Der S&P 500 Index bildet nämlich nicht die amerikanische Gesamtwirtschaft ab. Die 500 größten US-Unternehmen finanzieren ihr Wachstum nicht mit Krediten von Regionalbanken. Sie erwirtschaften freien Cashflow, und wenn das nicht reicht, begeben sie Investmentgrade-Anleihen mit sehr engen Spreads. Kleine Unternehmen haben es ungleich schwerer und müssen mit wesentlich strafferen Finanzbedingungen leben. Im letzten Jahr wurde es zwar etwas besser, aber noch werden die Kreditbedingungen per saldo gestrafft. Das zeigen die jüngsten Umfragen der Fed.

Aber die meisten Amerikaner arbeiten für diese kleinen Unternehmen, für die die Zeiten nicht einfach sind. Nach den meisten Schätzungen entfallen nur etwa 25% bis 30% der amerikanischen Arbeitsplätze auf den S&P 500. Außerdem können die Beschäftigungsdaten die Stabilität des Arbeitsmarktes überzeichnen, entfallen doch viele Stellen auf den Staatsdienst oder private Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen. Nach den jüngsten ADP-Arbeitsmarktberichten schafft die Privatwirtschaft zurzeit so wenige Stellen wie seit Januar 2021 nicht mehr. Eine solche Arbeitsmarktschwäche ist meist der Vorbote eines Abschwungs.

Fuß von der Bremse

Über die Zweiteilung der US-Wirtschaft schreiben wir schon seit einem Jahr. Groß sind aber nicht nur die Unterschiede zwischen großen und kleinen Unternehmen, sondern auch zwischen reicheren Verbrauchern, denen der Lebenshaltungskosten- und Zinsschock wenig anhaben kann, und ärmeren, die noch immer stark unter Druck stehen.

Die Zinssenkung der letzten Woche spricht dafür, dass sich die Fed der Unterschiede zwischen der Gesamtwirtschaft und der Handvoll Marktführer bewusst ist.

Senken kann sie die Zinsen aber nur bei einem hinreichenden „Vertrauen“, wie Notenbankchef Powell es nennt, dass die Inflation stark genug gefallen ist – ausreichend stark für vorausschauende Maßnahmen, die weniger finanzkräftigen Verbrauchern und Unternehmen helfen. Selbst eine Zinssenkung um 50 Basispunkte bedeutet unserer Ansicht nach nur, dass die Fed den Fuß von der Bremse nimmt – und nicht, dass sie Vollgas gibt.

In seiner Pressekonferenz machte Powell das deutlich. Mehrfach nannte er die Zinssenkung „Anpassung“ (recalibration). Sein neues Lieblingswort dürfte ebenso in die Geschichte der Fed eingehen wie „vorübergehend“ (transistory) und Alan Greenspans „irrationale Übertreibungen“ (irrational exuberance). Außerdem wandte er sich gegen Spekulationen, dass 50 Basispunkte jetzt zur Regel würden. Am Markt will man das aber noch nicht so recht glauben und rechnet weiterhin mit kräftigeren Senkungen, als die Fed in Aussicht stellt. Wenn die Anleger tatsächlich glauben, dass die Fed zu lange gewartet hat, rechnen sie in den nächsten Monaten vielleicht mit stärkeren Zinssenkungen und weniger Wachstum. Das könnte anstrengend werden.

Die erste Reaktion – eine steilere Zinsstrukturkurve und etwas Mehrertrag von Small Caps – spricht aber für einen eher optimistischeren Langfristausblick. Zu Beginn von Zinssenkungszyklen brauchten die Märkte oft Zeit, um sich umzugewöhnen. Für langfristige Aktieninvestoren waren niedrigere Zinsen aber fast immer gut.

Inflations- und Zinsentwicklung könnten vom Bremsklotz zum Motor des nächsten Aufschwungs werden.

Von Joseph V. Amato, President und Chief Investment Officer – Equities, Neuberger Berman

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