Der Wahlkampf war lang und ereignisreich, aber jetzt ist es so weit: Heute wählen die Amerikaner den 47. Präsidenten und den 119. Kongress.
Wie sollten sich Anleger darauf vorbereiten, und was sollten sie jetzt tun?
In den Wochen vor der Wahl hatten wir es bereits geschrieben: Wir halten es für sehr riskant, auf den Sieg eines der beiden Kandidaten zu setzen und die Portfolios danach auszurichten – vor allem, wenn die Umfragen so knapp sind wie jetzt. Nach der Wahl bieten sich vielleicht taktische Chancen, doch sollten Anleger unserer Ansicht nach trotz allem weiter auf die Langfristentwicklung setzen. Wer auch immer gewinnt – die US-Wirtschaft wird stark bleiben, aber die Staatsfinanzen werden sich weiter verschlechtern.
Fehlermarge
Wir können den Wahlsieger nicht vorhersagen, und den meisten Anlegern dürfte es ähnlich gehen.
Nach den Durchschnittswerten der Meinungsumfragen und bei den Buchmachern lag in den letzten Wochen eher Trump vorn. Auch an den Finanzmärkten scheint man einen Präsidenten Trump für wahrscheinlicher zu halten und schließt nicht einmal aus, dass die Republikaner außerdem beide Kongresskammern gewinnen. Sonst würden Staatsanleihenrenditen, der US-Dollar, Kryptowährungen und Aktien aus dem Finanzsektor nicht zulegen.
Es ist aber riskant, sein Portfolio auf einen Sieg Trumps auszurichten. Zunächst einmal lassen sich die Überlegungen von 2016 nur bedingt auf 2024 übertragen. Politik und Wirtschaft sind heute völlig anders. Ein Sieg von Trump wäre weniger überraschend, und heute weiß man wesentlich besser als vor acht Jahren, mit wem man es zu tun bekommt.
Zweitens liegen die meisten Umfragen – landesweit wie in den Swing States – innerhalb der statistischen Fehlermarge. Eine Machtteilung ist sehr wahrscheinlich. Dann könnte der Präsident, wer auch immer es sein wird, kaum etwas grundlegend ändern.
Da man an den Märkten einen Sieg Trumps für recht wahrscheinlich hält, kann man nicht mehr viel gewinnen, wenn es wirklich dazu kommt. Diese Trump-Trades könnten durchaus noch scheitern, vor allem bei geteilten Mehrheiten im Kongress.
Bei einem Sieg von Harris könnte es hingegen zu einer starken Gegenbewegung kommen. Da ihr Sieg für die Märkte eine Überraschung wäre, könnte es einige Zeit dauern, bis die Kursreaktion abgeschlossen ist.
Volatilitätsgipfel erreicht
Bei derart knappen Umfragen werden wir vielleicht – oder wahrscheinlich? – erst nach einigen Tagen, wenn nicht Wochen wissen, wer Präsident wird. Die Unsicherheit über die Mehrheitsverhältnisse im Kongress, vor allem im Repräsentantenhaus, kann sogar noch länger anhalten. Und wenn die Wahlergebnisse angefochten werden, könnten die Märkte auch danach noch viele Tage oder Wochen kräftig schwanken.
Bis zum Wahltag hatten wir mit steigender Volatilität gerechnet. Vermutlich wird sie diese Woche ihren Höhepunkt erreichen und erst wieder fallen, wenn das Ergebnis endgültig feststeht. Deswegen haben wir von großen aktiven Positionen abgeraten, vor allem, wenn man mit ihnen auf einen bestimmten Wahlausgang setzt. Einzige Ausnahme wären Anlagen, mit denen man Portfolios diversifizieren oder ihre Volatilität dämpfen kann, etwa Gold oder andere Rohstoffe.
Und nach den Wahlen?
Mit moderaten aktiven Positionen könnten Anleger die Volatilität und Unsicherheit der nächsten Tage aussitzen und auf die altbekannten langfristigen Positiv- und Negativfaktoren setzen.
Wie Ashok Bhatia und Brad Tank letzte Woche schrieben, dürften vor allem Anleihen unter Druck geraten. Die Credit Spreads sind sehr eng. Die Zinssenkungen der Fed, deren Beginn noch nicht einmal sieben Wochen zurückliegt, gingen mit einem drastischen, laufzeitübergreifenden Anstieg der Staatsanleihenrenditen einher. Man rechnet jetzt mit einem höheren neutralen Zins und wegen der Zweifel an den Staatsfinanzen auch mit höheren Laufzeitprämien.
In den letzten zwei Monaten haben Wachstum und Inflation in den USA wieder zugelegt, letzte Woche bestätigt von BIP-Zahlen und Haushaltsausgaben. Der schwache Arbeitsmarktbericht vom Freitag war durch Streiks und Hurrikans verzerrt und stand auch im Widerspruch zum deutlich stärkeren Beschäftigungszuwachs in der Privatwirtschaft, den ADP am Mittwoch veröffentlichte. Alles in allem glauben wir, dass die Fed die Zinssenkungen wegen der guten Konjunktur Anfang 2025 erst einmal unterbrechen könnte.
Diese Entwicklungen dürften anhalten, egal, wer das Weiße Haus gewinnt. Wie Joe Amato vor zwei Wochen schrieb, könnten Trumps Pläne zu Zöllen, Einwanderung und Fiskalpolitik Inflation und Haushaltsdefizit steigen lassen. Aber auch Harris ist keine echte Beführworterin des Freihandels und Einwanderungsfreundin, und auch ihr scheinen niedrigere Staatsschulden und Staatsausgaben nicht besonders wichtig.
Was Anleihen schadet, könnte einzelnen Aktienmarktsegmenten aber nutzen. Doch wenn das Wahlergebnis irgendwann feststeht, ändert das nichts an der Fiskalpolitik und der Risikobereitschaft, die Konjunktur und Aktien getrieben haben. Bei mehr politischer Sicherheit könnte man am Markt wieder auf die Fundamentaldaten achten. Dann könnte der US-Markt endlich an Breite gewinnen, über die Technologie-Mega-Caps hinaus. Damit rechneten wir schon kurz nach Jahresbeginn, und im 3. Quartal war es dann tatsächlich der Fall.
Das ist unser Leitfaden für diese Woche und eine mögliche Zeit der Unsicherheit danach. Wir glauben, dass sich Anleger auf Volatilität vorbereiten sollten, statt sich an Vorhersagen des Wahlausgangs zu versuchen. Wenn das Ergebnis feststeht, sehen wir einige taktische Chancen. Aber man sollte nicht vergessen, was in den Kursen schon enthalten ist. Auf jeden Fall halten wir es für sinnvoll, weiter auf die langfristigen Entwicklungen zu achten, an denen eine unsichere politische Lage nichts ändert.
Von Erik Knutzen, Co-Chief Investment Officer – Multi-Asset Strategies und Jeff Blazek, Co-Chief Investment Officer – Multi-Asset Strategies, Neuberger Berman