Nach der ermüdenden und schier nicht enden wollenden Suche nach dem nächsten US-Präsidenten können wir uns jetzt wieder dem Tagesgeschäft widmen – den Märkten und der Wirtschaft. Der enorme Rückgang der impliziten Volatilität seit den Wahlen zeigt, dass die Anleger jetzt dazu bereit sind.
Wie Jeff Blazek, Erik Knutzen und Shannon Saccocia in den letzten Perspectives schrieben, könnten in den nächsten Wochen wieder die berühmten Animal Spirits die Märkte bestimmen. Aber die Einzelheiten werden immer wichtiger.
Wahlen sind wichtig, Gewinne sind wichtiger
Wie viele Kollegen haben auch wir stundenlang die möglichen politischen Folgen der Wahlen analysiert. Darüber sollte man aber nicht vergessen, dass am Ende die Unternehmensgewinne die Märkte mehr bestimmen als alles andere.
Zwar warten wir noch auf die Zahlen von NVIDIA, doch geht die Berichtssaison für das 3. Quartal allmählich zu Ende. Alles in allem war sie erfreulich. Die anderen Mega Caps haben die Analystenerwarten klar übertroffen. Vor allem aber hat die Marktbreite zugenommen, was sich 2025 wohl fortsetzen dürfte.
Die Drittquartalszahlen bestätigen, dass sich die Wirtschaft weiter von den Zinserhöhungen seit März 2022 erholt. Die Gewinne der meisten Branchen des S&P 500 Index sind im Vorjahresvergleich stärker gestiegen als im 3. Quartal 2023. Noch ist das Gewinnwachstum von Technologie-Mega-Caps über- und das von konjunktursensitiven Unternehmen unterdurchschnittlich, vor allem von Energieunternehmen. Im Median hat sich das Gewinnwachstum in den letzten zwölf Monaten aber dem des kapitalisierungsgewichteten Gesamtindex angenähert. Wir glauben, dass sich diese Lücke im nächsten Jahr weiter schließt. Zykliker erleben ein Comeback, Technologiewerte eine Normalisierung.
Märkte mögen Klarheit
Wegen Trumps politischer Ideen könnten einige seiner Personalentscheidungen die Märkte noch immer bewegen. Der sehr klare Wahlausgang – und letzte Woche auch die Bestätigung, dass die Republikaner ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus behalten – gibt Anlegern aber eine gewisse Sicherheit. Die Drittquartalszahlen der Unternehmen zeigen uns aber, dass der S&P 500 Index letzte Woche nicht nur wegen der Wahlen auf über 6.000 Punkte gestiegen ist.
Viel wurde über das Inflationspotenzial der Trump’schen Einwanderungs-, Außenhandels- und Steuerpolitik geschrieben – und über die Auswirkungen seiner Pläne auf das Haushaltsdefizit. Wir halten die Sorgen aber für übertrieben. Ashok Bhatia schrieb bereits, dass Anleger unserer Ansicht nach wenig Zweifel an der Disinflation und dem Rückgang der Leitzinsen auf 4% haben. Inflation und Geldpolitik sind für sie daher nicht mehr so wichtig, Fiskalpolitik und Wachstum dafür umso mehr.
Aktieninvestoren werden deshalb die Auswirkungen der Politik auf Regionen, Sektoren und Einzelwerte prüfen. Beginnen dürften sie damit Anfang des Jahres: Unser Aktienteam rechnet damit, dass man sich mit vielen Details und branchenspezifischen Dingen befassen muss.
Unterschiedliche Branchenausblicke
Nehmen wir beispielsweise Energie und Elektrizität. Auf den ersten Blick scheint das Wahlergebnis für fossile Energien gut und für erneuerbare Energien sowie den Inflation Reduction Act (IRA) schlecht. Aber der IRA schafft Tausende von Arbeitsplätzen, vor allem in republikanisch dominierten Bundesstaaten, und erneuerbare Energien bleiben die schnellste und billigste Antwort auf die amerikanische Energieknappheit. Der Flüssigerdgassektor dürfte vom Ende des Genehmigungsmoratoriums profitieren, und Ölfelddienstleistern könnte helfen, dass wieder mehr gebohrt werden soll. Öl- und Gasinvestoren legen aber weiter Wert auf rentable Investitionen. Sie fänden es gar nicht gut, wenn die Preise wegen eines höheren Angebots fielen.
Auch andere Sektoren sind alles andere als homogen.
Wir sehen gute Gründe für Mehrerträge von Industriewerten. Sie legen nach einem republikanischen Wahlsieg oft zu, weil dann mit prozyklischer Ausgabenpolitik und Infrastrukturförderung gerechnet wird. Aber auch das bedeutet letztlich, dass Investoren nicht mit dem Ende vieler Maßnahmen des IRA rechnen. In verwandten Sektoren wie Transport, Luftfahrt und Verteidigung oder auch Maschinenbau und Automobile ist das Bild allerdings unübersichtlich.
Hohe Zölle könnten gut für inländische Transportunternehmen sein, etwa für Eisenbahnen und Speditionen. Dem grenzüberschreitenden Transport würden sie aber schaden. Außerdem würden sie die Vorprodukte teurer machen, die Automobil- und Flugzeughersteller im Ausland einkaufen. Ob niedrigere Energiepreise, lockerere Regulierungen und andere wachstumsfördernde Maßnahmen das aufwiegen, ist von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich.
Eine höhere Nachfrage nach Maschinen würde wiederum dem Halbleitersektor nützen. Unklar bleibt aber, ob Trumps „America First“-Politik Auswirkungen auf Fördergelder nach dem CHIPS and Science Act hat. Wenn die strengere Wettbewerbspolitik der Vorgängerregierung wieder gelockert wird, dürfte das dem Technologiesektor insgesamt helfen. Ein großes Chinageschäft ist für viele Unternehmen hingegen ein Risikofaktor. Auch im Einzelhandel und im E-Commerce dürften Zölle und das Chinageschäft den Erfolg eines Unternehmens immer mehr bestimmen.
Im Gesundheitssektor könnte es zu einer zunehmenden Zweiteilung kommen. Viele Gesundheitsdienstleister können von niedrigeren Steuern, Deregulierung und einem günstigeren Umfeld für Fusionen und Übernahmen profitieren, während große Pharmakonzerne unter der Unsicherheit über die künftigen Medikamentenpreise leiden könnten.
Der vielleicht einzige Sektor, dem der Wahlausgang uneingeschränkt nützen könnte, sind Finanzwerte. Eine steilere Zinsstrukturkurve, niedrigere Steuern, ein besseres Umfeld für Fusionen und Übernahmen und eine lockerere Regulierung (einschließlich einer Verwässerung von Basel III) wären für den Sektor gut.
Nullsummenspiel?
Alles in allem sind wir für das Nominalwachstum optimistisch, da wir mit einem gewissen Inflations- und Zinsrückgang und einer insgesamt unternehmensfreundlichen Politik rechnen. Vorbei ist aber die Zeit der Globalisierung, in der der Freihandel weltweit für Wachstum sorgte. Jetzt beginnt eine neue Ära des Merkantilismus und Protektionismus.
Das Ergebnis könnte ein Nullsummenspiel sein, mit eindeutigen Gewinnern und Verlierern auf Länder-, Sektor- und Unternehmensebene. Viele branchen- und unternehmensspezifische Faktoren könnten noch wichtig werden, wenn der gewählte Präsident Trump seine Administration zusammenstellt und erste Teile seines Programms umsetzt. Aktives Investieren und kluges Risikomanagement scheinen dann zwingend nötig.
Nach dem turbulenten Wahljahr wenden sich Anleger wieder dem Tagesgeschäft zu. Aber das könnte jetzt ganz anders sein als in den letzten vier Jahren.
Von Joseph V. Amato, President und Chief Investment Officer – Equities, Neuberger Berman