„EZB hätte europäische Wirtschaftsschwäche bereits früher stärker berücksichtigen müssen!“

Am Donnerstag steht der nächste Zinsschritt der Europäischen Zentralbank an –wahrscheinlich werden die Währungshüter ihre Leitzinsen um weitere 25 Basispunkte senken. Ein Schritt, der kaum ausreichen dürfte, meint Patrick Barbe Head of European Investment Grade Fixed Income bei dem US-amerikanischen Vermögensverwalter Neuberger Berman. Warum ein schnelleres Handeln der EZB sinnvoll wäre, inwiefern er von einer andauernden Wirtschaftsschwäche in Europa ausgeht – und wie sich die politische Unsicherheit in Frankreich auf die Entscheidung der europäischen Zentralbanker diese Woche auswirken dürfte, erklärt Patrick Barbe in seinem Marktkommentar. Neuberger Berman | 11.12.2024 10:40 Uhr
Patrick Barbe, Head of European Investment Grade Fixed Income bei Neuberger Berman / © e-fundresearch.com / Neuberger Berman
Patrick Barbe, Head of European Investment Grade Fixed Income bei Neuberger Berman / © e-fundresearch.com / Neuberger Berman

Die EZB wird ihre Leitzinsen am Donnerstag höchstwahrscheinlich um weitere 25 Basispunkte senken. Gestützt wird diese Entscheidung von den eigenen Wirtschaftsprognosen, die seit mehreren Quartalen einen zu langsamen Rückgang der Inflationsrate und parallel dazu auf eine Erholung der Wirtschaft hindeuten. Da das Mandat der EZB klar der Kampf gegen die Inflation und nicht die Reduzierung des Rezessionsrisikos ist, sehen die Währungshüter bisher keine Dringlichkeit, um ihre Zinssenkungen zu beschleunigen. Insbesondere vor dem Hintergrund hoher Unsicherheiten wie einem Handelszollkrieg von Trump, der im nächsten Jahr anstehen könnte, wird die EZB ihren Kurs fortsetzen und ihre restriktive Geldpolitik nur schrittweise und vorsichtig aufheben.

Unserer Meinung nach hätte die EZB die Schwäche des Industriemodells in Europa bereits früher stärker berücksichtigen müssen und einen schnelleren Kurs hin zu einem neutralen Zinssatz einschlagen müssen. Die Wirtschaft wird voraussichtlich noch über einen längeren Zeitraum schwach bleiben und sich einer Rezession nähern, was sicherlich zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit und geringeren Lohnerhöhungen führen wird. Die Aktualisierung der Wirtschaftsprognosen der EZB dürfte neue Erkenntnisse liefern. Wenn die EZB darüber hinaus den mittlerweile berühmten Satz „Die Zinssätze werden so lange wie nötig ausreichend restriktiv gehalten“ aus ihrer Erklärung streicht, ist dies ein starkes Indiz dafür, dass die EZB einen neuen Weg einschlägt und ihre Leitzinsen schnell auf neutrales Niveau senken könnte.

Aussicht auf Stabilität in Frankreich beruhigt – aber nur teilweise

Die politischen Unsicherheiten in Frankreich dürften hingegen nur einen geringen Einfluss auf die Entscheidung der Währungshüter haben. Zwar waren die Spreads der französischen Staatsanleihen gegenüber den deutschen Bundesanleihen kurz vor dem Sturz der Regierung Barnier auf 88 Basispunkte angestiegen. Zum Vergleich: Ende Oktober waren es noch 74 Basispunkte. Seit Macron Forderungen nach seinem Rücktritt zurückgewiesen hat, eine Erneuerung des Haushalts von 2024 angekündigt hat sowie verkündete, dass er zeitnah einen neuen Premierminister ernennen wird, sind die Spreads wieder auf ihr ursprüngliches Niveau zurückgegangen. Zudem haben die Sozialisten die Tür für Verhandlungen über einen Beitritt zur derzeitigen Regierungskoalition geöffnet. Eine solche erweiterte Koalition würde über eine absolute Mehrheit verfügen. Dies schafft Stabilität und wird vom Markt positiv auffasst.

Für die EZB-Sitzung diese Woche bedeutet das, dass die Währungshüter die politischen Unsicherheiten in Frankreich diesmal kaum berücksichtigen dürften. Klar ist jedoch auch, dass es dieser breiten Koalition schwerfallen wird, sich auf wichtige Reformen zu einigen, und die öffentlichen Ausgaben zu senken. Dies dürfte zu einem Rückgang des Vertrauens der Unternehmen in die Politik führen und die Wirtschaftsaktivitäten reduzieren. Dies erklärt auch die Underperformance am französischen Aktienmarkt sowie die Kreditspreads französischer Banken.

Von Patrick Barbe, Head of European Investment Grade Fixed Income bei Neuberger Berman

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