Die EZB-Mitglieder sind weitgehend einig darüber, ihren Leitzins auf 2,5 Prozent zu senken – das entspricht der Obergrenze für ihre Schätzung zum neutralen Zinssatz. Deshalb wird die EZB ihre Leitzinsen höchstwahrscheinlich bereits am kommenden Donnerstag um 25 Basispunkte senken. Mehrere Mitglieder sind in letzter Zeit zuversichtlicher geworden, dass die Euro-Inflation bis zum Sommer auf etwa 2 Prozent sinken wird. Wir glauben, dass der Anstieg der Anleiherenditen am Markt die restriktive Haltung der Geldpolitik verstärkt. Die hohe politische Unsicherheit, ausgelöst durch die politische Lage in Frankreich und den Handelskrieg von Trump, dürfte sich auf die Kapitalausgaben auswirken, insbesondere da die Banken im Euroraum im vierten Quartal 2024 ihre Kreditstandards für Unternehmen seit 2023 verschärft haben.
Deutscher Wahlkampf ohne Einfluss auf EZB-Entscheidung
Wir erwarten nicht, dass die deutschen Wahlen einen Einfluss auf diese EZB-Entscheidung haben werden. Es wird einige Zeit dauern, eine neue Koalition zu bilden und dann ein Programm für die neue Regierung zu entwickeln. Die Verbesserung der globalen Wirtschaftstätigkeit und die Tatsache, dass die Industrie die Talsohle durchschritten hat, machen es weniger dringend, zusätzliche Staatsausgaben zu planen. Wir erwarten Auswirkungen hier eher in der zweiten Jahreshälfte.
Leitzinsdifferenz normalisiert Zinsstrukturkurve
Die Ausweitung der Leitzinsdifferenz zwischen der Fed und der EZB hat zwei Konsequenzen: Erstens hat sie Auswirkungen auf die Euro-Währung gegenüber dem Dollar, da sich die immer niedrigeren Renditen auf dem Euro-Geldmarkt weiter von den historisch hohen nominalen Renditen in USD entfernen. Aus technischer Sicht führt dies zu einer Normalisierung der Form der Zinsstrukturkurve: niedrigere Renditen bei kurzen Laufzeiten und höhere Renditen bei langen Laufzeiten. Tatsächlich stehen Euro-Anleihen immer noch unter dem Einfluss der globalen Anleihemärkte, wobei letztere von US-Staatsanleihen angeführt werden, deren Renditen seit September letzten Jahres gestiegen sind.
Kerninflation in Deutschland Anlass zur Sorge?
Wir erwarten, dass die EZB ihre Zuversicht kundtun wird, dass die Inflation in der Eurozone bis Mitte des Jahres wieder auf 2 Prozent sinken wird. Wir würden gerne die Ansichten der EZB zur unterschiedlichen Kerninflation in Deutschland (stabil bei 4 Prozent im Jahresvergleich im Dienstleistungssektor), Frankreich (im Zielbereich) und Italien (unter dem Ziel) hören und ihre aktuellen Prognosen zum Konsumverhalten der Haushalte erfahren, da diese angesichts der Unsicherheit und der steigenden Arbeitslosigkeit in Nordeuropa einen Großteil ihrer Lohnerhöhungen angespart haben.
Von Patrick Barbe, Head of European Investment Grade Fixed Income bei Neuberger Berman