Nach den Verbraucherpreisschocks 2021 und 2022 schienen die Märkte auf Inflation und Geldpolitik geradezu fixiert. Viele Investoren und Beobachter denken noch immer so. Dennoch glauben wir, dass die BIP-Erwartungen für die Märkte wieder wichtiger geworden sind.
Als letzten Mittwoch überraschend hohe US-Inflationszahlen bekannt wurden, reagierten die Märkte meist gelassen. Das bestätigt unsere Einschätzung, dass Anleger umdenken müssen: Nicht mehr die Inflationserwartungen sind entscheidend, sondern die Wachstumserwartungen.
Neue Dynamik am Anleihenmarkt
Zu Jahresbeginn hat Ashok Bhatia analysiert, was das für den Anleihenmarkt bedeutet.
Drei Jahre lang waren vor allem Kurzläufer volatil, weil sie am stärksten auf Änderungen der Inflations- und Leitzinserwartungen reagieren. Für 2025 erwartet unser Kollege aber volatilere Langläufer, weil die Fiskalpolitik und ihre Auswirkungen auf Zinsen und Wachstumserwartungen wichtiger geworden sind.
Natürlich sind die Inflationserwartungen nicht plötzlich bedeutungslos. Damit die Teuerung die Märkte aber wieder so stark bewegt wie 2022 und 2023, als sie die Leitzinserwartungen bestimmt hat, müsste sie schon deutlich und nachhaltig steigen. Jetzt achtet man mehr darauf, was die Inflation für die langfristigen nominalen Wachstumserwartungen und die langfristigen Realrenditen bedeutet.
Starke Marktkonzentration durch niedrige Wachstumserwartungen im letzten Jahr …
Kommen wir zum Aktienmarkt. Das Wachstum der Unternehmensgewinne hängt maßgeblich vom nominalen BIP-Wachstum ab – und die langfristigen Realrenditen bestimmen, wie stark sie abdiskontiert werden. In den letzten 18 Monaten hat das nominale BIP-Wachstum in den USA nachgelassen, da sowohl die Inflation als auch das reale Wachstum fielen. Heute beträgt das Nominalwachstum etwa 5%. Die zehnjährige Realrendite ist allerdings auf etwa 2,1% gestiegen. Solche Zahlen kennen wir aus der Zeit vor der internationalen Finanzkrise 2008, als das BIP nominal um mindestens 6% wuchs.
Zusammen mit dem KI-Boom erklärt das die extreme Konzentration am US-Aktienmarkt in den letzten 18 Monaten. Die Technologie-Mega-Caps bestimmten die Performance. Der steigende Diskontfaktor und das nachlassende Nominalwachstum haben den meisten Aktien 2024 geschadet. Aber das wurde dadurch überdeckt, dass die gleichen Faktoren enorme Investitionen in die Mega Caps zur Folge hatten. Technologie schien der einzige Sektor mit einem ungebrochenen Gewinnwachstum zu sein.
… und größere Marktbreite durch höhere Wachstumserwartungen heute
Anfang 2025 scheint man für das Wachstum optimistischer zu sein. Jetzt scheinen Anleger davon auszugehen, dass der Abstand zwischen Nominalwachstum und langfristigen Realrenditen wieder größer wird, weil das reale BIP stärker wächst, die Inflation nicht steigt und die Realrenditen fallen.
Der Optimismus stützt sich vor allem auf den Konjunkturausblick für die USA. Hier bleiben die Verbraucher optimistisch, die Arbeitslosigkeit fällt, die Löhne steigen, und der Einkaufsmanagerindex (PMI) für das Verarbeitende Gewerbe überrascht positiv.
Aber auch andere Länder machen Fortschritte. Chinas BIP-Wachstum von 5% im letzten Jahr, nicht zuletzt aufgrund der Erholung von Industrie und Einzelhandelsumsätzen im 4. Quartal, spricht für die Wirksamkeit der Konjunkturprogramme. Auch Europas PMIs waren überraschend gut; sie zeigen ein so hohes Wachstum an wie seit sechs Monaten nicht mehr. In Frankreich ist es endlich gelungen, mit geringen Zugeständnissen ein Haushaltsgesetz zu verabschieden, und in Deutschland ist die Schuldenbremse ein wichtiges Wahlkampfthema. Vielleicht wird die deutsche Fiskalpolitik jetzt expansiver.
Seit Jahresbeginn haben amerikanische Substanzwerte, Industrie- und Finanzaktien, höherwertige US-Mid-Caps und vor allem europäische Aktien ordentlichen Mehrertrag erzielt. Mit einer zunehmenden Marktbreite hatten wir schon in unserem Ausblick Lösungen für 2025 gerechnet. Im Dezember waren wir daher „Optimistisch für Aktien, skeptisch beim S&P 500“.
Wachstums- statt Inflationserwartungen
Wenn all das damit zu tun hat, dass das Wachstum wieder wichtiger wird, könnten nachlassende Wachstumserwartungen allerdings Probleme machen (so wie bisher steigende Inflationserwartungen). Umso genauer sollte man sich mit den Risikofaktoren befassen. Wir haben schon über die zuletzt hartnäckige Lohn- und Kerninflation in den USA geschrieben. Gold ist teuer wie nie. Umfragen zufolge rechnen selbst die Verbraucher langfristig mit über 3% Inflation, und auch die Markterwartungen steigen. Vor allem aber scheint fast jeder zu fürchten, dass Trumps Zölle die Teuerung anheizen.
Und doch hat, von den Zöllen einmal abgesehen, nichts davon die Märkte ernsthaft aus dem Tritt gebracht – und selbst Trumps Zollankündigungen wurden von fallenden Anleihenrenditen begleitet. Das bestätigt – wie Joe Amato letzte Woche schrieb –, dass die Wachstumserwartungen die Kursentwicklung zurzeit sehr viel mehr bestimmen als die Inflationserwartungen. Dazu passen auch die Irritationen um DeepSeek vor drei Wochen. Die neue chinesische KI kann Preismacht und Gewinne schmälern.
Wir glauben, dass aus ähnlichen Gründen auch der Ausverkauf nach den Inflationszahlen vom Mittwoch schnell wieder vorbei war. Anleger wissen, dass die Januar-Inflation saisonbedingt oft überschießt. Aber auch hier bleibt das Wachstum das entscheidende Thema.
Nach den letzten drei Jahren muss man sich vielleicht erst daran gewöhnen, wieder weniger auf die Inflation und mehr auf das Wachstum zu achten. Aber sonst wird man auf die Risiken und Chancen des neuen Jahres nicht angemessen reagieren können.
Von Erik Knutzen, Co-Chief Investment Officer – Multi-Asset Strategies und Jeff Blazek, Co-Chief Investment Officer – Multi-Asset Strategies, Neuberger Berman