„Wir erwarten, dass die EZB auf ihrer morgigen Juli-Sitzung ihre Leitzinsen unverändert belässt. Viele EZB-Verantwortliche, einschließlich Präsidentin Christine Lagarde, sagten in den vergangenen Wochen, man sei für die künftigen Unsicherheiten gut aufgestellt. Das deutet auf eine Zinspause hin. Über die Sitzung in dieser Woche hinaus sollten die Währungshüter die schwache Wirtschaftslage mit einem Wachstum nahe Null sowie das Risiko einer sinkenden Inflation aufgrund zunehmender asiatischer Exporte in Zusammenhang mit den US-Zöllen und der Stärke des Euro berücksichtigen. Außerdem sehen wir Risiken für die Konjunktur in Frankreich und Italien angesichts der Verringerung des Haushaltsdefizits – lange vor der Wachstumsunterstützung durch höhere Staatsausgaben in Deutschland, die erst ab dem nächsten Jahr zu erwarten sind.
Die Euro-Inflation hat das 2-Prozent-Ziel der EZB fast erreicht. Daher ist sie für die Notenbanker weniger besorgniserregend. Die deutliche Aufwertung des Euro ist eine Überraschung. Sie könnte die Wirtschaftsaussichten für die kommenden Jahre verändern, wenn die Euro-Stärke gegenüber den meisten andere Währungen anhält. Sie dürfte insbesondere zu einem Rückgang der Inflationsrate unter 1,5 Prozent führen und gleichzeitig die Exporte der Eurozone belasten sowie Importe, beispielsweise aus Asien, verbilligen. Auch die Zölle, die die USA der Europäischen Union (EU) auferlegen wollen, sind ein wichtiges Thema: Aus unserer Sicht besteht die Herausforderung für die EZB darin, die disruptive US-Politik für Europa erfolgreich zu analysieren – unter anderem hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Exporte, die Investitionsausgaben und das Risiko von Vergeltungsmaßnahmen.
Die Situation kann sich natürlich sehr schnell ändern. Wir gehen davon aus, dass die EZB ihre nächsten Wirtschaftsprognosen im September abwarten wird, bevor sie den Leitzins erneut senkt.
Die anstehenden personellen Veränderungen im EZB-Rat werden aus meiner Sicht wiederum keine entscheidenden Auswirkungen auf die Geldpolitik der EZB haben. Diese stützt sich auf die Analysen und Prognosen der Wirtschaftsexperten der Notenbank und beruht auf einer Konsensentscheidung der an den EZB-Sitzungen teilnehmenden Mitglieder. Die Entscheidungen werden von einer großen Anzahl von Personen getroffen, was die langfristige Stabilität des Ansatzes gewährleistet – unabhängig von diesen Mitgliedern.“
Von Patrick Barbe, Head of European Investment Grade Fixed Income bei Neuberger Berman