Ambitionierte Bewertung
Für dieses Jahr muss von einem Gewinnrückgang von 20% gegenüber dem Vorjahr in den USA und 35% in Europa ausgegangen werden. Dies hebt die Kurs-Gewinn-Verhältnisse weltweit über die historischen Durchschnitte. Ein Phänomen, dass allerdings typisch für Rezessionen ist. Drastische Gewinneinbrüche hatten jedoch nicht alle Unternehmen zu verzeichnen. Viele Titel aus dem Technologie- und Gesundheitssektor profitierten sogar vom Corona-Virus. So konnten allein fünf große US-Technologieaktien – Alphabet, Amazon, Apple, Facebook und Microsoft – gleichgewichtet an die 50% an Wert seit Jahresbeginn zulegen. Deshalb verwundert es nicht, dass diese „Fantastischen Fünf“ zwischenzeitlich einen Anteil von 25% am S&P 500 und 50% am NASDAQ 100 ausmachen. 94% der US-Aktien haben es aber nicht geschafft, neue historische Höchststände zu erreichen.
Unter der Annahme, dass die Gewinnprognosen der Analysten für 2021 stimmen, würde der NASDAQ 100 ein KGV von 33 aufweisen. Das ist hoch, aber verglichen mit März 2000 relativ niedrig! Damals lag das KGV bei 165 und viele Tech-Unternehmen verdienten kein Geld. Ist 2000 die Hausse wegen der zu hohen Bewertung zu Ende gegangen? Nein, die US-Notenbank war mit Zinserhöhungen der Auslöser für das Platzen der Tech-Blase! In der Baisse sorgten dann allerdings hohe Bewertungen für heftige Kurseinbrüche.
Der Aktienmarkt geht davon aus, dass es nicht zu erneuten weitreichenden Lockdown-Maßnahmen der Regierungen zur Bekämpfung des Corona-Virus kommt. Darüber hinaus wird der Markt von der Erwartung getragen, dass in absehbarer Zeit (Jahresanfang 2021) einer oder mehrere Impfstoffe zur Verfügung stehen. Werden diese Hoffnungen enttäuscht, ist ein heftiger Aktieneinbruch unausweichlich. Verstärken sich die Anzeichen, dass in Kürze ein Impfstoff zur Verfügung steht, wird der Aktienmarkt schnell an Breite gewinnen. In diesem Fall würden die nach wie vor niedrig bewerteten Zykliker, also konjunktursensitive Value-Werte, massiv Fahrt aufnehmen. Die Aktienmarkt-Hausse könnte sich dann nochmal dramatisch beschleunigen. In diesem Szenario würden vor allem auch die immer noch schwachen europäischen Aktienmärkte stark outperformen. Insbesondere der DAX mit seinen vielen zyklischen Titeln würde in neue Dimensionen vorstoßen.
Monetär weiter Vollgas
Die US-Notenbank hat kürzlich ihr Inflationsziel überarbeitet. Sie strebt jetzt nur noch im längerfristigen Durchschnitt eine Inflationsrate von 2% an. Da sie seit Jahren das 2%-Ziel verfehlt, bedeutet das mit anderen Worten, dass sie auch Inflationsraten von 3 bis 4% akzeptieren wird, ohne die Leitzinsen zu erhöhen. Das war keine gute Nachricht für die Rentenmärkte, aber durchaus für Sachwerte wie Aktien, Immobilien und Edelmetalle. Die Geldflutung der Notenbanken wird also weiter die Vermögenspreise nach oben treiben. Den Zinsanstieg am langen Ende der Rentenmärkte werden aber die Notenbanken mit ihren Anleihekäufen limitieren. Darüber hinaus bleibt die Fiskalpolitik weltweit im Schuldenrausch. Man muss von einem Anstieg der Staatsverschuldung bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 25% ausgehen. Selbst ehemalige Musterknaben wie Deutschland sind konvertiert und katapultieren die Staatsverschuldung binnen eines Jahres von unter 60% auf über 80% des BIP: Das hilft der Konjunktur und den Kapitalmärkten! Die Absicht der FED, höhere Inflationsraten zuzulassen, könnte den Euro gegenüber dem US-Dollar dauerhaft über die Marke von 1,20 heben. Auch dies würde Aktieninvestments im Euroraum noch attraktiver machen.
Fazit
Kurskorrekturen bis zu 10 Prozent sind angesichts verschlechterter Markttechnik und der eher positiven Stimmung an den Aktienmärkten jederzeit möglich. Solange die Börsen von einem wirksamen Impfstoff auf Sicht der nächsten sechs Monate ausgehen und diese Hoffnung nicht begraben müssen, ist ein Ende der im April begonnenen Hausse nicht zu erwarten.
Dr. Manfred Schlumberger, Leiter Portfoliomanagement bei StarCapital