Steigende Rohstoffpreise?
Der gewaltige Einbruch der Weltwirtschaft in den letzten Monaten hat die Rohstoffpreise weiter verfallen lassen. Seit der Finanzkrise hat die säkulare Stagnation in den Industrieländern und das zumindest in seiner Dynamik nachlassende Wachstum in China bereits den Anstieg der Rohstoffpreise gedämpft.
Trotz der Ankurbelungsmaßnahmen der Regierungen und Notenbanken weltweit wird es dennoch Jahre dauern, bis die Weltwirtschaft wieder das Niveau von 2019 erreichen wird. Dies spricht gegen massiv steigende Rohstoffpreise. Öl als wichtigster Rohstoff leidet zudem unter einem strukturellen Überangebot, ausgelöst durch das Aufkommen der Fracking-Technologie in den USA und der Uneinigkeit der OPEC. Lediglich die Edelmetallpreise sind zwischenzeitlich in einen fast vertikalen Anstiegswinkel übergegangen. Wesentlicher Einflussfaktor auf die Preise von Edelmetallen wie insbesondere Gold sind jedoch die Realzinsen. Es ist nicht die Erwartung massiv steigender Inflation, sondern die Überzeugung, dass wegen Null- oder gar Negativzinsen der Realzins lange negativ bleiben wird.
Steigende Lohnstückkosten?
Jahrzehntelang besaß die „Phillips-Kurve“ Gültigkeit. Sie besagt, dass mit sinkender Arbeitslosigkeit die Löhne unweigerlich steigen müssen und eine Lohn-Preisspirale in Gang kommt. Seit den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts gilt diese Theorie nicht mehr. Durch die Globalisierung gelang es, massiv steigende Löhne zu verhindern. Gleichzeitig ließ der technische Fortschritt die Arbeitsproduktivität stark zunehmen. Selbst das infolge der demographischen Entwicklung sinkende Angebot an qualifizierten Arbeitskräften hat bisher zu keinen kräftigen Lohnanstiegen geführt. Als hauptverantwortlich für diese Entwicklung gilt die voranschreitende Digitalisierung.
Die Corona-Pandemie scheint jedoch den bereits durch den Handelskrieg in Gang gekommenen Trend zur De-Globalisierung zu verstärken. Man wird künftig zunehmend auf die Diversifikation von Lieferketten achten und wichtige Güter wie Medikamente nicht mehr nur aus einer Region beziehen. Auch die stärkere Konzentration Chinas auf die Binnenwirtschaft wird den Trend zu einer Reduktion des Welthandels noch verstärken, ohne jedoch der Globalisierung komplett den Garaus zu machen. Mehr als ein leichtes Zurückdrängen der Globalisierung ist also nicht zu erwarten, dafür sind deren positive Wachstumseffekte zu groß. Dennoch könnte bei einem Weniger an Globalisierung die Arbeitsproduktivität sinken und der Inflation etwas Raum lassen. Als weiterer Inflationstreiber wird die wegen der anhaltend niedrigen Zinsen zunehmende „Zombifizierung“ der Wirtschaft genannt. Man geht davon aus, dass in Europa und den USA zwischen 10 und 15 % der Unternehmen nur dank rekordniedrigerer Zinsen und der Corona-Hilfen der Regierungen überleben und damit die Produktivität der Volkswirtschaften belasten. Normalerweise würden diese Unternehmen dem Wettbewerbsdruck zum Opfer fallen und damit preisdämpfend wirken.
Führt die explodierende Geldmenge zu Inflation?
Die ultralockere Geldpolitik der wichtigsten Notenbanken der Industrieländer lässt die Geldmengen, ob als M1, M2 oder M3 gemessen, aktuell mit Raten von über 20 % ansteigen. Entsprechend der auf Milton Friedman zurückgehenden monetaristischen Theorie muss eine rapide steigende Geldmenge unweigerlich zu Inflation führen. Diese Überzeugung beruht auf der sog. Quantitätsgleichung: M x V = p x Q. Diese Theorie besagt, dass das Geldangebot M unter der Voraussetzung, dass der Output Q (Bruttoinlandsprodukt) vorgegeben und die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes V mehr oder weniger konstant ist, das Preisniveau p bestimmt. Bei schwachem bzw. negativem Wachstum wie zurzeit müsste also die Inflation massiv ansteigen. Dummerweise befindet sich die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes seit zwanzig Jahren in einem dramatischen Sinkflug. Der Grund liegt darin, dass die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes vom Zins bestimmt wird und der sinkt seit Jahren massiv. Die Ursache für diese Korrelation liegt darin, dass der Zins die Kosten der Geldhaltung widerspiegelt. Je höher die Zinsen, desto teurer ist es, Cash zu refinanzieren und umso schneller muss das Geld umgeschlagen werden. Kostet Geld nichts bzw. keine Zinsen wie aktuell sinkt die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes.
Quelle: Datastream per Q1 2020
Heute gewinnt dagegen die gar nicht so neue „Modern Monetary Theory“ an Bedeutung. Diese Theorie besagt, dass monetär souveräne Staaten als Geldmonopolisten nicht Bankrott gehen können. Voraussetzungen sind, dass sich ein Land nur in seiner eigenen Währung verschuldet und flexible Wechselkurse akzeptiert. Gemäß dieser Theorie sind hohe Staatsdefizite kein Hindernis für eine massive Ausweitung der Staatsausgaben, solange es keine Inflation gibt. Und in der Tat gibt es in den meisten Ländern seit Jahren keine inflationären Tendenzen mehr. Im Gegenteil, seit der Finanzkrise überwiegen deflationäre Entwicklungen. Verantwortlich hierfür ist ein Überschuss an privaten Ersparnissen gegenüber den privaten Investitionen.
Seit der Finanzkrise gibt es in Europa und den USA sowie in Japan, hier bereits seit 30 Jahren, einen Überschuss an Ersparnissen der privaten Haushalte und Unternehmen gegenüber den privaten Investitionen. Die Modern Monetary Theorie erlaubt den Staaten hohe Budgetdefizite, zur Finanzierung öffentlicher Investitionen, um diese Nachfragelücke zu füllen, ohne steigende Inflationsraten und Zinsen zu riskieren, erlaubt den Staaten hohe Budgetdefizite zur Finanzierung öffentlicher Investitionen, um diese Nachfragelücke zu füllen, ohne steigende Inflationsraten und Zinsen zu riskieren. Die Notenbanken können diese Defizite problemlos über den Ankauf von Staatsanleihen refinanzieren und die Schulden des Staates entweder unendlich prolongieren oder gar wertlos ausbuchen. Den USA und Europa ist diese Politik infolge der Nachfrageschwäche („säkulare Stagnation“) seit der Finanzkrise und der demographischen Entwicklung möglich, die zu steigenden Sparquoten führt. Seit der Corona-Krise sind die Sparquoten der privaten Haushalte in Deutschland und den USA auf sehr hohe 23 % gestiegen. Gemäß der keynesianischen Lehre muss der Staat diese Ersparnisse für Investitionen verwenden, um keine Rezession zu riskieren.
Risiken der Geldschwemme
Leider gibt es jedoch keine Garantie dafür, dass der private Sektor stets Überschussersparnisse generiert. Während der 60er und 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts litt die westliche Welt unter dramatisch steigenden Inflationsraten. Mächtige Gewerkschaften drückten massive Lohnsteigerungen durch, die die Arbeitsproduktivität sinken ließen. Ausufernde Sozialprogramme und hohe Rüstungsausgaben führten zu einem Nachfrageüberschuss. Erst durch radikale Zinserhöhungen der Notenbanken und die neue Angebotspolitik der Ära Reagan in den USA und Thatcher in Großbritannien gelang es, den Inflationstrend zu brechen und der Arbeitsproduktivität einen enormen Schub zu verpassen. Heute stehen wir vielleicht wieder an einer Wegscheide. In den USA könnte die Unfähigkeit Trumps zu einer demokratischen Revolution führen, bei der die Demokraten in beiden Häusern und im Weißen Haus die Macht erobern. In diesem Fall besteht die Gefahr, dass eine weitere Erhöhung der Staatsdefizite für reine Umverteilungsmaßnahmen verwendet wird.
Eine sinkende Arbeitsproduktivität und steigende Inflationsraten könnten die Folge sein. Auch in Deutschland muss man sich Sorgen machen, wenn man sieht mit welcher Lockerheit die Politiker die Staatsdefizite in kürzester Zeit nach oben treiben. Gemäß der modernen Geldtheorie stellt eine steigende Inflation das einzige Limit für ausufernde Staatsausgaben dar. In diesem Fall schreibt sie eine restriktive Fiskalpolitik zur Inflationsbekämpfung vor. Der Glaube, dass Politiker in einer Demokratie zur Inflationsbekämpfung die Staatsausgaben dramatisch reduzieren und damit unweigerlich einen schweren Wirtschaftseinbruch mit hoher Arbeitslosigkeit riskieren, ist freilich so naiv wie die Annahme, dass ein Hund einen Fleischvorrat anlegt. Wir wissen, dass Notenbanken die Möglichkeit haben, dank Anleihekäufen Zinsanstiege zu limitieren. Dennoch würden freie Kapitalmärkte dafür sorgen, dass steigende Inflationsraten auch zu steigenden Zinsen führen. Dann würde das Schlaraffenland abbrennen, das uns die gewaltigen Staatsdefizite aktuell ermöglichen.
Fazit
Auf Sicht der nächsten Jahre werden wir den seit der Finanzkrise vorherrschenden deflationären Tendenzen entwachsen und in einer Ära der Preisstabilität mit Inflationsraten zwischen 2 und 3 % landen. Langfristig droht jedoch durchaus die Gefahr, dass aus den überbordenden Staatsdefiziten große inflationäre Gefahren erwachsen. Bis dahin können wir als Investoren die anhaltende Inflation der Vermögenspreise (Aktien und Immobilien) genießen, aber immer im Bewusstsein, dass auch diese Zeit irgendwann einmal zu Ende gehen wird.
Dr. Manfred Schlumberger, Leiter Portfoliomanagement bei StarCapital