Durchbruch der Wasserstofftechnologie
Der ohnehin schon rasante Ausbau der Erneuerbaren Energien infolge des Kohleausstiegs in den meisten europäischen Ländern dürfte sich durch den „European Green Deal“ nochmals beschleunigen. 55 Milliarden Euro sollen allein dafür fließen. Neben dem Ausbau von Solar und Windkraft hat erstmals die kommerzielle Nutzung von Wasserstoff ebenfalls einen hohen Stellenwert. Angesichts des zunehmenden Technologiefortschritts bei der Elektrolyse, also der Zerlegung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff durch elektrischen Strom, scheint ein Durchbruch der Wasserstofftechnologie möglich. Die Produktion von Wasserstoff ist dennoch recht teuer, insbesondere wenn sie als „grüner Wasserstoff“ durch Erneuerbare Energien erzeugt wird. Ungeachtet des noch hohen Preises sollen 40 Gigawatt an Elektrolyseleistung bis 2030 europaweit aufgebaut werden.
Derzeit prüfen alle Versorger, wie sie sich innerhalb der Wertschöpfungskette positionieren können. Für Versorger ist insbesondere die Wasserstoffproduktion sowie der Betrieb von Gaskraftwerken mit Wasserstoff interessant. Sollte der Durchbruch in der Wasserstofftechnologie gelingen, wären Gaskraftwerke mehr als eine „Brückentechnologie“. Sie könnten als zuverlässige Stromerzeugung unabhängig von Sonne und Wind dienen. Falls mal weder Wind weht noch Sonne scheint, könnten wasserstoffbetriebene Gasturbinen verlässlich Strom erzeugen. Dies wäre insbesondere von Nöten, sollte es zu keinen Fortschritten bei Stromspeichertechnologien kommen.
Markt für Spezialanbieter
Siemens Energy mit ihrem immer noch großen Gasturbinengeschäft würde an diesem Trend partizipieren. Zudem bietet das Unternehmen auch Anlagen für die Elektrolyse an. Diese Technologie sollte jedoch eher gegen Ende der Dekade Wachstumspotenzial bieten. Aktuell und in absehbarer Zukunft wird damit kaum Umsatz generiert. Außerdem sollte der Bereich bei großen, diversifizierten Konzernen, wie etwa Siemens Energy, nicht signifikant sein. Spezialanbieter, wie die norwegische Nel ASA, konzentrieren sich dagegen stärker auf den reinen Ausbau der Wasserstofftechnologie. Wasserstoff bleibt eine der wichtigsten Schlüsseltechnologien, um den CO2-Ausstoß signifikant zu reduzieren.
Insbesondere im Verkehrssektor beim Antrieb von Fahrzeugen wie Bussen oder LKW könnte Wasserstoff eine wichtige Rolle spielen. Einen fulminanten Börsengang legte Nikola hin. Bei diesem LKW-Hersteller wurde schnell die Marktkapitalisierung von Ford überholt. Einige Investoren bezweifeln nun, dass der wasserstoffbetriebene LKW-Prototyp überhaupt existiert. Folglich ist Nikola wieder deutlich gefallen, bei einem Börsenwert von immerhin noch knapp zehn Milliarden US-Dollar. Dieses Beispiel verdeutlicht gut, welch enormes Potenzial die Wasserstofftechnologie bietet, wie schwierig es jedoch ist, konkret hier seriös zu investieren.
Die Technologie befindet sich noch in einem frühen Stadium. Klar dürfte aber auch sein, dass das weltweite Oligopol der Gasehersteller eine wichtige Rolle in dieser Industrie spielen wird. Wenn allein fünf Prozent des amerikanischen LKW-Marktes mit Wasserstoff betrieben würde, dann entspräche das mehr als dem aktuellen Umsatz der großen vier Gasehersteller (Linde, Air Liquide, Air Products und Nippon Sanso).
Wind und Solar weltweit gefragt
Wesentlich konkreter sieht es bei dem Ausbau von Wind- und Solarkraft aus. Bis auf die osteuropäischen Länder setzen mittlerweile alle Länder auf den Ausbau von Wind- und Solarparks. Besonders viel Wachstumspotenzial besitzt Frankreich. Aktuell bezieht Frankreich noch über 70 Prozent seines Stroms aus Atomkraft. Der Bau neuer Atomkraftwerke lohnt sich aber wirtschaftlich nicht mehr. Stromerzeugung aus Wind- oder Sonnenenergie ist mittlerweile wesentlich günstiger und zudem mit weniger Risiko behaftet. So sollten sukzessive in die Jahre gekommene Atomkraftwerke durch Erneuerbare Energien ersetzt werden. Mit einem Durchschnittsalter von 35 Jahren sind französische Anlagen sogar älter als die stillzulegenden deutschen Kernkraftwerke mit 33 Jahren. Das Ersetzen der Atomkraft dürfte daher ein Projekt über das Jahr 2030 hinaus sein, da sich Frankreich bislang noch nicht für einen vorzeitigen Ausstieg entschieden hat.
Vor dem Hintergrund könnte der Kauf der Onshore-Projektiersparte von Nordex interessant sein. Für 400 Millonen Euro übernimmt RWE eine Pipeline von 2,7 GW und 70 Mitarbeitern mit Kernmarkt Frankreich. Nach Übernahme der E.ON Erneuerbaren-Sparte besitzt RWE bereits jetzt 8,7 GW an Kapazitäten, primär Offshore-Windparks in Europa (auf hoher See), aber auch Onshore-Windparks in den USA (auf dem Land). RWE ist damit weltweit zweitgrößter Stromerzeuger von Offshore-Windkraft. Bis 2022 wollte man die Kapazitäten auf über 13 GW ausbauen. Mit dem Zukauf der Nordex-Sparte dürften diese Ziele leichter erreicht werden.
Ebenfalls stark vertreten ist Orsted. Der dänische Anbieter fokussiert sich ausschließlich auf Erneuerbare Energien, vor allem Wind, aber zunehmend auch Solar – und will seine Kapazitäten von aktuell 6,8 GW auf knapp 10 GW bis 2022 ausbauen. Beide Unternehmen sind weltweit tätig. Orsted errichtet vor allem in asiatischen Ländern wie Taiwan, Südkorea oder Japan in Zusammenarbeit mit lokalen Partnern Windkraftparks auf hoher See. RWE hat durch den Kauf von E.ON Renewables eine starke Präsenz bei Onshore-Windparks in den USA. Auch wenn unter der Trump-Administration der Ausbau der Erneuerbaren Energien nicht an erster Stelle steht, gibt es aktuell dennoch eine Reihe von Auktionen sogar im Bereich Offshore. Neben General Electric wird der Wind-Markt von wenigen europäischen Anbietern dominiert. Vestas ist Marktführer im Bereich Onshore, SiemensGamesa im Bereich Offshore.
In China spielt wieder die Musik
In Asien sind vor allem China und Indien interessant. China ist derzeit mit über 750 GW an installierter Kapazität schon jetzt der mit Abstand größte Markt, obwohl heute noch über 50 Prozent des Stroms aus Kohle erzeugt wird. Die Zukunft liegt aber auch in China in der nicht fossilen Stromerzeugung. Bis 2050 sollen 80 Prozent aus nicht fossiler Energieerzeugung stammen. Aktuell wird hier der meiste Strom aus Wasserkraft (350 GW Kapazität) erzeugt. Perspektivisch setzt man aber vor allem auf Sonnenenergie. Bis 2030 soll die Solarkapazität von 250 GW auf 800 bis 1.000 GW ausgebaut werden. Die Windkraft-Kapazitäten sollen von 230 GW auf 400 bis 500 GW steigen. Der chinesische Markt ist generell sehr abgeschottet. Marktführer bei Windturbinen ist der chinesische Anbieter Goldwind mit einem Marktanteil von 35 Prozent. Sie betreiben zudem eigene Windparks. Der Markt für Solarpanels ist stark fragmentiert. Ebenfalls interessant, aber sehr abgeschottet, ist der indische Markt. Bis 2030 sollen hier die Erneuerbaren Energien von 128 GW auf über 600 GW ausgebaut werden.
Elektrifizierung steigert Strombedarf
Neben dem Ausbau der Erneuerbaren Energien ist eine zunehmende Elektrifizierung ein wichtiges Thema. Ganz oben auf der Agenda steht die Umstellung vom Verbrennungsmotor auf das E-Auto. So gibt es für den Kauf von Elektroautos weltweit hohe Subventionen, die jetzt erstmals Wirkung zeigen. Hinzu kommt nun ein vielfältiges Angebot, das bislang eher beschränkt war, etwa auf BMW, Renault, Nissan und Tesla. Hier findet ein Umdenkprozess statt. Nicht nur Tesla, sondern auch die herkömmlichen Automobilhersteller setzen auf Elektrofahrzeuge. Dementsprechend hat sich der Markt für Elektroautos in Europa jüngst deutlich besser entwickelt als erwartet.
Zulieferer und Chiphersteller im Fokus
Vor diesem Hintergrund interessant sind vor allem Zulieferer oder Chiphersteller, da der Elektronikanteil deutlich höher ist als bei PKW mit Verbrennungsmotoren. Der Halbleiteranteil im E-Auto beispielsweise verdoppelt sich auf knapp 800 US-Dollar pro Fahrzeug, da für den Elektroantrieb sogenannte IGBT-Leistungsmodule benötigt werden. Hersteller solcher Module sind zum Beispiel Infineon und ST Micro. Valeo und Continental bieten Komplettlösungen für Elektroantriebe an. Zudem muss die Ladeinfrastruktur stark ausgebaut werden. Ladesäulen sollen von aktuell 300.000 europaweit auf 1,3 Millionen in 2025 ausgebaut werden. In Europa ist Alfen einer der größten Anbieter im Bereich Ladeinfrastruktur.
Elektro-Nachfrage in allen Lebenslagen
Ein Schwerpunkt des „Green Deals“ soll auch die energetische Sanierung von Gebäuden sein. Heizungen sollen von Öl und Gas auf klimaschonende, mit Strom betriebene Luft-Wärme-Pumpensysteme umgestellt werden. Rechenzentren benötigen zudem immer mehr Strom. Insgesamt dürfte die zunehmende Elektrifizierung in Form von E-Autos, strombetriebenen Heizungen sowie der Ausbau von Rechenzentren zu einer wieder steigenden Stromnachfrage führen – nachdem sie in der Vergangenheit infolge der zunehmenden Energieeffizienz und Einsparmaßnahmen jahrelang leicht gesunken ist. Das sollte sowohl Netzbetreibern als auch Stromerzeugern in die Karten spielen.
Ausblick: Strom wird erneuerbarer – Wasserstoff gewinnt Wachstumspotenziale
Es bleibt festzuhalten, dass es weltweit zu einer zunehmenden Elektrifizierung kommen wird. Strom wird sukzessive umweltschädliche Energieformen wie Kohle, Öl und Gas ersetzen. Hieran sollten vor allem Stromerzeuger, die stark auf einen Ausbau von Erneuerbaren Energien setzen, partizipieren, aber auch Netzbetreiber, die eine feste Vergütung auf die Investitionen für den Netzausbau bekommen. Dank hoher Subventionen in Verbindung mit einem erstmals breiten Angebot sowie zunehmend guter Ladeinfrastruktur scheint nun endlich auch der Durchbruch bei den E-Autos möglich. Das hilft dem Geschäft vor allem von Zulieferern und Halbleiterunternehmen, da der Elektronikanteil deutlich steigt. Wasserstoff als Antriebsform bzw. Energiequelle scheint dank des technologischen Fortschritts bei der Herstellung eine interessante Alternative – und wird zudem in Europa verstärkt gefördert. Der Solarmarkt dürfte in China langfristiges Wachstum versprechen.
Hagen Ernst, stellvertretender Leiter des Bereichs Research & Portfoliomanagement bei der DJE Kapital AG