Knappes Gut: Wohnimmobilien bleiben gefragt
Trotz gestiegener Risiken, wie Zinsen oder Regulierung, bleiben Wohnimmobilien-Aktien attraktiv – zudem locken hohe Abschläge zum inneren Wert bei Immobilienaktien. Das Bundesverfassungsgericht hat den Berliner Mietendeckel im April für verfassungswidrig erklärt. Die Kompetenz für das Mietpreisrecht läge auf Bundesebene, doch auch hier ist die Verfassungskonformität noch nicht bestätigt. Außerdem hat der Mietendeckel sein Ziel verfehlt, bezahlbaren Wohnraum zu erhalten: Das ohnehin knappe Angebot an Berliner Mietwohnungen war nach Einführung des Mietendeckels um bis zu 50 Prozent eingebrochen. Ebenso war die Mietentlastung in gut betuchten Vierteln wie Prenzlauer Berg oder Berlin Mitte deutlich höher als in sozial schwächeren Vierteln wie Marzahn-Hellersdorf.
Mythos Mietwucher
Sicherlich gibt es in Einzelfällen überzogene Mieten, vor allem im Luxussegment. Statistisch gesehen sind die Mieten in den letzten zehn Jahren bundesweit aber nur um ca. ein Prozent p.a. – und damit parallel zur Inflation – gestiegen. Die Bruttogehälter sind im Schnitt drei bis vier Prozent p.a. gestiegen, außer im Coronajahr 2020. Somit ist Wohnraum für die Mehrzahl sogar bezahlbarer geworden. Vor zehn Jahren belasteten die Mietkosten das verfügbare Einkommen noch mit 28,3 Prozent, 2019 aber nur noch mit 26,1 Prozent. Auch im europäischen Vergleich ist Wohnraum in Deutschland relativ bezahlbar. Das zeigt: Die Mietpreisbremse des Bundes wirkt und Instrumente wie der Mietendeckel sind nicht nötig. Doch im Vorfeld der Bundestagswahlen steht das Thema Mietenregulierung bei einigen Parteien hoch im Kurs – denn halb Deutschland wohnt zur Miete.
Wohnraum fehlt
Nicht die steigenden Mieten, sondern der fehlende Wohnraum ist das Problem – da hilft nur bauen. Laut Statistischem Bundesamt ist die Zahl der Baugenehmigungen im Jahr 2019 um vier Prozent auf 360.600 bzw. für fertiggestellte Wohnungen um zwei Prozent auf 293.000 gestiegen. Mehr hatte es mit 326.600 zuletzt im Jahr 2001 gegeben. Auch kleinere Maßnahmen wie die erschwerte Umwandlung von Miet- in Eigentumsobjekte in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt dürften helfen, das Angebot zu verbessern.
Mehr Neubauten könnten auch die Situation in Ballungszentren wie München, Berlin, Frankfurt oder Stuttgart entspannen. Bereits seit zwei bis drei Jahren steigen die Mieten in den Metropolregionen mit besonders hohen Mieten weniger stark (oder stagnieren wie in München oder Berlin) als in den B-Städten oder auf dem Land, wo Mieten viel günstiger sind. Covid-19 hat den Trend „Raus aufs Land“ weiter verstärkt. Dank Homeoffice ist das stadtnahe Leben auf dem Land besonders für Familien wieder eine echte Alternative zur Großstadt geworden.
Sozialer Wohnungsbau vernachlässigt
Zu wenig wird jedoch auf dem sozialen Wohnungsmarkt getan. Seit 2002 ist das Angebot an Sozialwohnungen um 55 Prozent auf 1,137 Mio. geschrumpft. Derzeit werden nur 25.000 Sozialwohnungen im Jahr gebaut, weit weniger als jährlich aus der Sozialbindung entfallen. Mindestens 80.000 neue Sozialwohnungen jährlich wären nötig, um die akute Wohnungsnot zu bekämpfen. Der Staat kommt seiner Aufgabe, bezahlbaren sozialen Wohnraum zu schaffen, also nicht ausreichend nach. Besonders prekär ist die Lage im Rot-Rot-Grün regierten Berlin. Dort ist allein 2019 der Bestand an Sozialwohnungen um 20.000 auf 95.700 zurückgegangen und würde ohne Gegenmaßnahmen bis Anfang 2028 auf 59.000 fallen.
Schlüssige Konzepte gibt es bislang nicht, stattdessen setzte man nur auf den nun gekippten Mietendeckel. Auch die städtischen Wohnungsgesellschaften halten ihre Ziele meist nicht ein. Bis September 2021 werden wohl nur 21.000 Neubauwohnungen fertiggestellt, versprochen waren 30.000. So dürfte sich die Wohnungsnot in Berlin auf absehbare Zeit nicht entspannen. Laut Immoscout24 kommen auf ein Mietwohnungsinserat 137 Anfragen – in München sind es nur 40, in Hamburg 53 und in Frankfurt 23.
Zugleich wächst aber der Bedarf an Sozialwohnungen: Infolge der Hartz-IV-Reform ist der Anteil des Niedriglohnsektors von 16 Prozent auf in der Spitze 24 Prozent gestiegen und liegt aktuell bei 21,7 Prozent. Deutschland gehört im EU-Vergleich zu den sechs Ländern mit der höchsten Niedriglohnquote. Zudem sind die Löhne anders als in den höheren Gehaltsklassen nur unterdurchschnittlich gestiegen, nämlich um einen Euro auf 9,50 Euro Mindestlohn von 2013 bis 2019. Wohnraum für die unteren Einkommensklassen wurde so nicht bezahlbarer. Angesichts der zunehmenden Digitalisierung ist keine Trendwende erkennbar – Ideen und Konzepte seitens der Politik sind hier gefragt.
Trotz Zinsanstieg und mehr Regulierung: Wohnimmobilien bleiben interessant
Die Risiken für Wohnimmobilien dürften ein möglicher Zinsanstieg und eine stärkere Regulierung sein. Vor allem bei letzterem droht Ungemach, sollte Rot-Rot-Grün bei den Bundestagswahlen gewinnen. Trotz des Zinsanstiegs in den USA sind die Renditen 10-jähriger Bundesanleihen nur leicht gestiegen bzw. sogar weiter negativ. Entscheidend wird sein, dass der aktuelle Inflationsdruck nicht anhält und die Notenbanken an ihrer Niedrigzinspolitik festhalten können. Im zweiten Halbjahr sollten sich die Teuerungsraten wieder verlangsamen. Falls der Gegenwind von der Zins- und Regulierungsseite nicht zunimmt, könnten Immobilienpreise weiter steigen, wenngleich nicht in dem Tempo wie bisher. Insgesamt bleibt Wohnraum knapp. Zudem steigen die Neubaukosten immer stärker, was Bestandsimmobilien entsprechend attraktiver macht. Auch die Risikoprämie zwischen Mietrendite und Zinsen ist bei aktuell über drei Prozent weiter attraktiv.
Das Umfragehoch der Grünen hat zudem zu einer teilweise stärkeren Korrektur geführt, sodass Immobilientitel im Allgemeinen zum Teil mit Abschlägen von über zehn Prozent zum inneren Nettovermögenswert (NAV) notieren. Auch ist die Bewertung der Immobilienportfolios eher konservativ: Bei der DW etwa ist das Portfolio in Berlin mit 2.858 Euro/m2 bewertet. Die Marktpreise für Mehrfamilienhäuser lagen laut CBRE1 Ende des ersten Quartals bei 3.459 Euro/m2 bzw. 5.266 Euro/m2 für Eigentumswohnungen.
Mehr Monopol: Übernahmen schaffen Großkonzerne
Dies hat auch Vonovia erkannt und bietet im Rahmen eines freiwilligen Übernahmeangebots 52 Euro je Deutsche Wohnen-Aktie. Inklusive der Dividende von 1,03 Euro ergibt sich somit ein Übernahmepreis von 53,03 Euro – knapp über dem aktuellen NAV von 52,50 Euro und somit eine Prämie von 18 Prozent gegenüber dem letzten Schlusskurs bzw. von 25 Prozent gegenüber dem gewichteten Durchschnittspreis der letzten 3 Monate. Der Kaufpreis für die DW beträgt ca. 19 Mrd. Euro und soll durch ein Brückendarlehen von 22 Mrd. Euro und eine Kapitalerhöhung von bis zu acht Mrd. Euro (bis zu 30 Prozent der ausstehenden Aktien) finanziert werden. Es entsteht der mit Abstand größte Immobilienkonzern in Europa mit einem Bestand von 550.000 Wohnungen – primär in Deutschland, aber auch in anderen Ländern wie Schweden oder Österreich. Vonovia erwartet Synergieeffekte von jährlich 105 Mio. Euro, die bis 2024 gehoben sein sollen. Wenngleich beide Konzerne bereits sehr effizient aufgestellt sind, dürfte diese Synergie angesichts der Größe und der zunehmenden Digitalisierung erreichbar sein.
Spannend wird sein, ob mindestens die Hälfte der DW-Aktionäre das Angebot annehmen wird. Es sollte keine kartellrechtlichen Bedenken geben, da der Wohnungsmarkt von privaten und öffentlichen Anbietern dominiert wird. Heikel wird es nur in Berlin. Denn: Von den gut 150.000 Wohnungen der DW liegen 113.000 im Großraum Berlin. Bei Vonovia sind es 43.000 von mehr als 400.000. Insofern käme der Konzern in der Hauptstadt mit 156.000 Wohnungen bei einem Gesamtbestand von 1,97 Mio. auf rund sieben Prozent Marktanteil und damit auf eine durchaus kritische Größe. Hinzu kommt der ohnehin schon starke Widerstand von Initiativen wie „Deutsche Wohnen enteignen“. Vonovia versucht dem entgegenzuwirken, indem sie sich verpflichtet, die Mieten bis 2024 nur um ein Prozent p.a. zu erhöhen bzw. bis 2026 nur im Rahmen der Inflation. Zudem will man 20.000 Einheiten bevorzugt an kommunale Wohnungsgesellschaften in Berlin verkaufen.
Der Markt hat die geplante Übernahme der DW wegen der ausstehenden Kapitalerhöhung von bis zu acht Mrd. Euro (knapp 30 Prozent der ausstehenden Aktien) zunächst negativ bewertet. Dennoch sollte sich die Übernahme auch für Vonovia-Aktionäre auszahlen. Schließlich erwirbt man die DW zum konservativ angesetzten NAV von 52,50 Euro. Das Berlinportfolio ist aktuell mit nur 2.853 Euro/m2 bewertet, also rund 20 Prozent niedriger als der aktuelle Marktpreis. Zudem sind der Preisanstieg von rund fünf Prozent seit Jahresanfang in Berlin und die Synergieeffekte noch nicht berücksichtigt. Der Kursabschlag zum NAV ist aktuell bei Vonovia am höchsten – und bietet daher eine gute Gelegenheit, um deutschlandweit und darüber hinaus in Immobilien zu investieren. Neben dem deutlichen Abschlag zum NAV spart man sich im Gegensatz zu Direktinvestitionen in Immobilien die zeitaufwendige Verwaltung. Zudem ist die Aktie liquide und jederzeit veräußerbar.
TAG und LEG als weitere Profiteure
Ein weiterer Profiteur ist die TAG Immobilien AG. Ihr kommen die stärkeren Preis- und Mietsteigerungen in B-Städten und Randlagen und die weitere Aufwertung des noch immer preisgünstigen Ostens Deutschlands zugute. Dieser Trend wird durch Digitalisierung und Homeoffice gestützt. Zudem dürfte die TAG nicht so stark im Fokus möglicher Regulierungsverschärfungen sein, da sie in teuren Ballungszentren wenig vertreten ist. Mit einer Durchschnittsmiete von 5,48 Euro/m2 bietet die TAG eher günstigen Wohnraum an und hat das größte Mietsteigerungspotenzial. Auch die LEG Immobilien AG dürfte als kleinerer Bestandhalter mit klarem NRW-Fokus nicht so hart von einer eventuell stärkeren Regulierung betroffen sein, denn die Regierung in NRW ist eher vermieterfreundlich gestimmt.
Hagen Ernst, stellvertretender Leiter Research & Portfoliomanagement bei der DJE Kapital AG