Die Zukunft der Automobilindustrie ist elektrisch

Die Automobilindustrie steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Das Zeitalter des Verbrennungsmotors scheint nach über 130 Jahren zu enden. Um die hohen Klimaziele erreichen zu können, erscheint ein rascher Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen für Fahrzeuge unumgänglich. Während in Deutschland der Ausstiegstermin für Verbrennungsmotoren noch ein zentrales Thema im Bundestagswahlkampf sein wird, gibt es in anderen Ländern bereits konkrete Pläne. Beispiel Großbritannien und USA: Hier soll bereits ab 2030 ein Verkaufsverbot für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren gelten. DJE Kapital AG | 08.07.2021 10:30 Uhr
René Kerkhoff, Analyst für die Sektoren Technologie, Automotive und Retail sowie Fondsmanager des DJE – Mittelstand & Innovation bei der DJE Kapital AG / © DJE Kapital AG / e-fundresearch
René Kerkhoff, Analyst für die Sektoren Technologie, Automotive und Retail sowie Fondsmanager des DJE – Mittelstand & Innovation bei der DJE Kapital AG / © DJE Kapital AG / e-fundresearch
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Die Automobilindustrie hat sich dieser Herausforderung gestellt und bietet mittlerweile verschiedene Arten von elektrifizierten Fahrzeugen – wie Plug-in-Hybride, ausschließlich batteriebetriebene E-Autos und Brennstoffzellenfahrzeuge – an. Zurzeit überbieten sich die Wettbewerber bei ihren Prognosen bzgl. der geplanten Quoten von elektrifizierten Fahrzeugen am Gesamtabsatzvolumen. Die neue Strategie der Automobilkonzerne mit dem Fokus auf elektrifizierten Fahrzeugen wird inzwischen zunehmend von den Kunden angenommen. Knapp 400.000 neuzugelassene Fahrzeuge waren 2020 elektrifiziert – das ist ein Plus von ca. 300.000 Fahrzeugen im Vergleich zum Vorjahr und entspricht einem Marktanteil von 13,5 Prozent.

Ein Grund für die Entwicklung sind die finanziellen Anreize der Politik. Mit der Innovationsprämie fördert die Bundesregierung zusammen mit den Autoherstellern die Anschaffung elektrifizierter Fahrzeuge bis 2025. Bei der Anschaffung batteriebetriebener Elektroautos erhalten Kunden eine Förderung von bis zu 9.000 Euro, bei Plug-In-Hybriden bis zu 6.750 Euro. Mit diesen finanziellen Anreizen will die Bundesregierung das Ziel von 10 Millionen elektrifizierten Fahrzeugen bis zum Jahr 2030 erreichen. Das entspräche einem jährlichen Wachstum von 33 Prozent über die nächsten 10 Jahre.

Ladeinfrastruktur entscheidend für Erfolg der Elektromobilität

Trotz der bemerkenswerten Absatzsteigerung elektrifizierter Fahrzeuge in den vergangenen Monaten gibt es noch bei vielen potentiellen Kunden eine gewisse Kaufzurückhaltung. Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach, die zwischen Dezember 2020 und Februar 2021 in Niedersachsen durchgeführt wurde, ist neben dem Kaufpreis und der Reichweite vor allem die Ladeinfrastruktur ein Grund, warum sich Kunden aktuell noch kein elektrifiziertes Fahrzeug kaufen (wollen).

Der Ausbau der Ladeinfrastruktur geht deutlich langsamer voran als geplant. Laut Bundesnetzagentur gibt es aktuell 41.751 öffentlich zugängliche Ladepunkte – davon sind 35.845 Normal- (AC) und 5.906 Schnellladepunkte (DC). Das ist deutlich weniger als die zunächst angepeilten 100.000 Ladepunkte, die bis zum Jahr 2020 installiert werden sollten. Die Anzahl der Elektroautos je Ladepunkt liegt mit aktuell 17 deutlich über dem EU-Ziel von zehn Elektroautos je Ladepunkt. Dementsprechend fordert der Verband der Automobilindustrie deutlich mehr Investitionen – statt der 1.000 neuen Ladepunkte, die aktuell pro Monat errichtet werden, wären 2.000 neue pro Woche erforderlich.

Mit umfangreichen Förderprogrammen ans Ziel

Die Bundesregierung hat erkannt, dass mehr Investitionen notwendig sind. Laut dem „Masterplan Ladeinfrastruktur der Bundesregierung – Ziele und Maßnahmen für den Ladeinfrastrukturaufbau bis 2030“ sei die ausreichende Verfügbarkeit von Ladeinfrastruktur entscheidend für die Kaufentscheidung und für den Hochlauf der Elektromobilität. Das neue Ziel lautet nun „eine Million öffentliche Ladepunkte bis zum Jahr 2030“. Dazu gibt es verschiedene Förderprogramme, u.a. zur Bezuschussung öffentlich zugänglicher AC- und DC-Ladesäulen und AC-Ladesäulen auf Kundenparkplätzen sowie des Aufbaus von Ladepunkten für geförderte Fahrzeuge, d.h. für kommunale und gewerbliche Flotten wie zum Beispiel Taxis, Sharingdienste und Handwerksbetriebe.

Ein weiteres Förderprogramm für nicht öffentlich zugängliche Ladeinfrastruktur soll im Sommer 2021 kommen. Hierbei sollen Ladepunkte für Mitarbeiterparkplätze und Fahrzeugflotten gefördert werden. Darüber hinaus will die Bundesregierung den Aufbau und den Betrieb von 1.000 neuen Schnellladehubs finanzieren. Das Gesamtvolumen für dieses Fördervorhaben alleine beträgt ca. zwei Milliarden Euro. Ziel der Nationalen Leitstelle Infrastruktur ist, dass in Zukunft die nächste Schnellladestation innerhalb von 10 Minuten erreichbar sein soll. Um dieses Ziel zu erreichen, wären laut der Nationalen Leitstelle für Infrastruktur Schnellladestationen ca. alle 15-30 Kilometer entlang der Autobahn nötig – aktuell sind es in 80 Prozent der Fälle weniger als 30 Kilometer. Um die bestehende Tankstelleninfrastruktur auch für die zukünftige Ladeinfrastruktur zu nutzen, hat der Autogipfel im November 2020 beschlossen, dass drei Viertel der Tankstellen bis Ende 2026 mit Schnellladern mit mindestens 150 kW ausgestattet werden sollen.

Zügige Netzabdeckung durch AC-Standard

Der Masterplan Ladeinfrastruktur der Bundesregierung geht davon aus, dass der überwiegende Anteil (zwischen 60 und 85 Prozent) der Ladevorgänge im privaten Umfeld, d.h. am Wohnort oder am Arbeitsort, stattfindet. Hierzu werden in der Regel AC-Ladesäulen verwendet. Die Ladeleistung ist abhängig von den Phasen, der Spannung und der Stromstärke und beträgt in der Regel zwischen 3,7 kW und 22 kW. Die genaue Ladedauer eines elektrifizierten Fahrzeugs ist abhängig vom aktuellen Ladestand, der Größe und Leistungsfähigkeit der Batterie sowie vom On-Board-Ladegerät. Letzteres wandelt beim AC-Laden den Wechselstrom im Auto in Gleichstrom um. Zudem ist die Ladegeschwindigkeit auch vom Stecker-Typen der Ladesäule abhängig. In Europa ist der Typ2-Stecker, auch als Mennekes-Stecker bekannt, der Standard für AC-Ladesäulen. Über den Stecker kommunizieren Ladesäule und Fahrzeug und tauschen Informationen aus. Die Kosten für eine AC-Ladesäule inklusive Infrastruktur betragen in der Regel zwischen 2.000 und 5.000 Euro.

Eine spezielle Art von AC-Ladesäule für zuhause ist die sogenannte Wallbox, die im Gegensatz zu einer normalen AC-Ladesäule kompakter ist. Die Wallbox ist schnell und einfach montiert und kann im Innen-, wie zum Beispiel in einer Garage, sowie im Außenbereich, zum Beispiel an einem Carport, betrieben werden. Die Ladeleistung liegt wie bei einer normalen AC-Ladesäule zwischen 3,7kW und 22 kW. Die Kosten für eine Wallbox inklusive Installation betragen in der Regel zwischen 1.000 und 2.500 Euro und sind auch abhängig von den gewünschten Zusatzfunktionen. Einige Wallboxen bieten als Zusatzfunktion zum Beispiel Zugangsbeschränkungen oder eine Einbindung in ein Smart-Home-System an. Darüber hinaus ist es möglich, intelligente Ladestationen in Lastenmanagement-Systeme oder in Abrechnungssysteme zu integrieren. Auch die Anschaffung von Wallboxen fördert die Bundesregierung mit einem Pauschalbeitrag von 900 Euro für die Ladestation inklusive Installation.

Alleskönner DC-Schnellladesäule?

Schnellladesäulen definieren sich nach der EU-Richtlinie für den „Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe" als Ladesäulen mit einer maximalen Ladeleistung von über 22 kW. Im Gegensatz zu AC-Ladesäulen wandeln DC-Ladesäulen den Strom mit Hilfe eines Gleichrichters bereits in der Ladestation in Gleichstrom um. Aktuelle Spitzenmodelle erreichen eine Ladeleistung von bis zu 350 kW und ermöglichen damit eine deutlich schnellere Ladung des Fahrzeugs. Deshalb werden Schnellladesäulen vor allem an Ladestationen/Lade-Hubs auf Autobahnen oder Bundesstraßen installiert.

Im Vergleich zu einer AC-Ladesäule ist die Kommunikation zwischen einer DC-Ladesäule und einem Fahrzeug deutlich komplexer. Die Ladesäule muss den genauen Aufbau des Akkus, den Ladzustand sowie die benötigte Spannung und Stromstärke kennen. Diese Kommunikation erfolgt über den Ladestecker. Dabei gibt es mehrere Steckersysteme. Neben dem CHAdeMO-Stecker, der hauptsächlich in Asien angewendet wird, gibt es das Combined Charging System (CCS) und den Tesla Supercharger, die beide in Europa eingesetzt werden. Der CCS-Stecker wurde von der deutschen und amerikanischen Autoindustrie entwickelt und ergänzt den Typ2-Stecker um zwei Gleichstrom-Kontakte. Dadurch können Autos mit CCS-Stecker auch weiterhin normale Ladesäulen mit Typ2-Stecker nutzen. Der Tesla Supercharger hingegen ist ein modifizierter Typ2-Stecker, der nur von Tesla-Modellen verwendet werden kann.

Die Ladegeschwindigkeit einer DC-Ladesäule nimmt mit steigender Temperatur der Batterie zu, bis die maximale Ladehöchstgeschwindigkeit des Fahrzeugs erreicht ist. Ab 80 Prozent Ladestatus oder bei Überschreitung der optimalen Batterietemperatur verlangsamt sich – zum Schutz der Batterie – die Ladegeschwindigkeit wieder. Der größte Vorteil der DC-Ladesäulen ist die deutlich höhere Ladegeschwindigkeit. Der Porsche Taycan Turbo hat eine DC-Ladeleistung von bis zu 270 kW – eine der höchsten auf dem Markt. Bei diesem Fahrzeug kann in 22,5 Minuten die Ladekapazität von fünf auf 80 Prozent erhöht werden. Im Vergleich dazu würde eine Vollladung mit einer AC-Ladesäule neun Stunden dauern. Aufgrund der deutlich höheren Komplexität sind DC-Ladesäulen teurer und weisen eine weitaus größere Preisspanne auf.

Wiederkehrende Umsätze mit Service und Software

Neben dem Verkauf und Betrieb von Ladesäulen können Unternehmen auch Serviceumsätze generieren. Häufig verkaufen diese Unternehmen Ladesäulen inklusive Servicevertrag. Hierbei kontrollieren und warten die Unternehmen die installierten Ladesäulen. Durch die stetig steigende Anzahl an installierten Ladesäulen steigen auch die Serviceverträge. Da diese über längere Zeiträume abgeschlossen werden, erzielen Unternehmen daraus wiederkehrende Umsätze und verringern damit ihre Umsatzvolatilität. Unternehmen können auch über Softwareapplikationen wiederkehrende Umsätze erzielen, wie z.B. Office-Applikationen für die Abrechnung und Steuerung der Ladesäulen. Dieser Bereich wird durch die zunehmende Digitalisierung und Vernetzung noch wichtiger werden.

Vom Megatrend Elektrifizierung profitieren

Der Megatrend Elektrifizierung hat jetzt auch den Automobilsektor erreicht. Um den Wandel voranzutreiben, wird u.a. viel in die wichtige Ladeinfrastruktur investiert. Das Ziel der Bundesregierung „eine Million öffentliche Ladesäulen“ bis 2030, erfordert jährliche Wachstumsraten der öffentlich verfügbaren Ladesäulen von 46 Prozent. Zulieferer für diesen strukturellen Wachstumstrend sind neben den reinen Ladesäulenherstellern, wie Compleo und Zaptec, auch Komplettlösungsanbieter wie Alfen, die neben AC-Ladesäulen auch intelligente Stromnetzanschlüsse und Energiespeicherlösungen anbieten. Daneben sind aber auch große Konzerne wie Schneider Electric, Siemens und ABB in diesem Sektor tätig – deren Fokus liegt vor allem auf dem DC-Ladesäulengeschäft, da diese Projekte technisch komplexer sind und höhere Volumina haben.

Neben den positiven strukturellen Wachstumsaussichten gilt es aber auch, auf regulatorische Veränderungen zu achten, wie z.B. die erst kürzlich angepasste Ladesäulenverordnung. Diese fordert, dass ab Juli 2023 die Betreiber von Ladesäulen ihren Kunden mindestens einen kontaktlosen Zahlungsvorgang mittels gängiger Kredit- und Debitkarte anbieten müssen. Diese Neuregelung ist damit vor allem positiv für Ladesäulenproduzenten, die bereits jetzt eine solche Zahlung ermöglichen. Auch die Stromversorger und Netzbetreiber sollten vom Megatrend Elektrifizierung stark profitieren.

René Kerkhoff, Analyst für die Sektoren Technologie, Automotive und Retail sowie Fondsmanager des DJE – Mittelstand & Innovation bei der DJE Kapital AG

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