Die globalen Wirtschaftsaussichten sind nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) getrübt. Dies gilt für die USA, noch mehr aber für Europa und hier insbesondere für Deutschland. Eine Verschärfung der Energiekrise in Europa würde das Wachstum stark belasten und die Inflation in die Höhe treiben. Ein stärkerer Konjunktureinbruch in den kommenden Monaten bzw. im kommenden Jahr ist sehr wahrscheinlich.
Trotz der jüngsten Erholung an den Märkten, vor allem im Zuge der niedriger ausgefallenen US-Inflationsdaten, ist großer Optimismus nur schwer zu rechtfertigen. Positiv zu beurteilen ist, dass US-Unternehmen nun verstärkt auf die Kosten achten, was Chancen für einige US-Titel bieten könnte. Beim Thema Kosteneinsparungen hinkt Europa dagegen hinterher und wird mittel- bis längerfristig stärker durch die Energiekrise belastet. Daher lassen wir insbesondere bei Unternehmen des produzierenden Sektors in Deutschland und Europa, die stark energiepreisabhängig und wenig internationalisiert sind, Vorsicht walten.
Obwohl die US-Inflation sich auch in den kommenden Monaten weiter rückläufig entwickeln könnte, dürfte der Druck auf die Notenbanken, die Zinsen weiter zu erhöhen, hoch bleiben. Nach unserem FMM-Modell bleibt damit die fundamentale und monetäre Lage vorerst weiter negativ, während wir die Markttechnik hingegen als positiv einschätzen.
Fundamental
• Konjunkturaussichten weltweit getrübt, vor allem für Deutschland und Europa
• Erneuerbare Energien bieten Chancen
• Fokus auf Unternehmen mit hoher Preissetzungsmacht
• China ist nach wie vor schwierig einzuschätzen
• Chancen im Rohstoffsektor
Die Konjunkturaussichten fallen weder für die USA noch für Europa und hier vor allem für Deutschland besonders gut aus. Ein stärkerer Konjunktureinbruch in den kommenden Monaten ist zum aktuellen Zeitpunkt sehr wahrscheinlich. Den US-Markt halten wir weiter für attraktiver, weil er aus unserer Sicht das bessere Chance-Risiko-Verhältnis bietet. US-Unternehmen beginnen mittlerweile verstärkt auf die Kosten zu achten, indem sie beispielsweise Personal abbauen, was wiederum Chancen für einige Titel eröffnen könnte. Unternehmen in Europa hinken dagegen beim Thema Kosteneinsparungen hinterher, weshalb wir dem deutschen und europäischen Aktienmarkt gegenüber weiterhin vorsichtig eingestellt sind.
Mit Blick auf die europäische Energiekrise sorgte der warme Spätherbst zuletzt für eine kurzfristige Entspannung. Auf Sicht von einem Jahr könnte sich die Situation aber verschlechtern, da es im kommenden Jahr deutlich schwieriger werden dürfte, die Gasspeicher zu füllen. Der Winter 2023/24 dürfte sich daher für die Energieversorgung als problematischer erweisen als der Winter 2022/23. Großartige Verbesserungen bei der Gas- und Stromversorgung sind für die nächsten Jahre in Deutschland nicht zu erwarten. Wir rechnen damit, dass frühestens in etwa vier Jahren in Deutschland und Europa – etwa durch den Ausbau erneuerbarer Energien und neue Energiepartnerschaften – mehr Energie zur Verfügung stehen könnte. Einige energieintensive Unternehmen könnten Deutschland bis dahin aber bereits verlassen bzw. verstärkt Arbeitsplätze abgebaut haben. Die Arbeitslosigkeit wird in Europa, aber auch in den USA zunehmen – die großen Tech-Konzerne haben bereits mit Entlassungen und Einstellungsstopps begonnen.
Auf Sektorenebene bieten Unternehmen aus dem Segment erneuerbare Energien aus unserer Sicht perspektivisch Chancen. Denn die Anzahl an Genehmigungen für Projekte zum Ausbau erneuerbarer Energien dürfte bald stark steigen. Auf der Aktienseite halten wir einen Fokus auf qualitativ hochwertige Unternehmen mit hoher Preissetzungsmacht unverändert für sinnvoll, da diese auch in einem wachstumsschwachen Umfeld solide Gewinne erwirtschaften können und somit langfristig voraussichtlich die beste Anlagealternative bieten.
Die Anlageregion China ist hingegen weiterhin schwierig einzuschätzen. Allerdings hat sich die Zinsdifferenz zu den USA verschoben, weshalb China mit einem gewissen Zeitverzug von den niedrigeren Zinsen profitieren dürfte. Sollte China im kommenden Jahr seine Wirtschaft wieder stärker öffnen und auf seine bisher strenge Zero-Covid-Strategie verzichten, könnten Wirtschaft und Börse im Reich der Mitte überraschen. Darüber hinaus dürfte China auf der Immobilien- und vor allem der Infrastrukturseite weiter stimulieren, wobei sich der Ausbau der Infrastruktur für den Rohstoffsektor als förderlich erweisen dürfte.
Monetär
• US-Inflationsdaten zuletzt überraschend positiv
• Druck auf Notenbanken bleibt hoch
• Deutsche Staatsanleihen weiterhin unattraktiv
• Ausgewählte Unternehmensanleihen chancenreich
Die jüngsten Inflationsdaten aus den USA haben positiv überrascht. Obwohl die US-Inflation sich wahrscheinlich auch in den kommenden Monaten weiter rückläufig entwickeln wird, dürfte der Druck auf die Notenbanken, die Zinsen weiter zu erhöhen, hoch bleiben. Viele Notenbanker scheinen Angst zu haben, ihre Reputation zu verlieren, wenn sie zu wenig unternehmen, also die Zinsen nicht rechtzeitig anheben. Dieser Druck, mehr tun zu müssen, wird vermutlich auch bei der Europäischen Zentralbank zunehmen, denn strukturell dürfte die Inflation in Europa auf einem höheren Niveau bleiben als in den USA.
Die Anlegerstimmung für Bonds bleibt weiterhin sehr negativ. Bei den festverzinslichen Wertpapieren halten wir deutsche Staatsanleihen nach wie vor für unattraktiv. Dagegen bieten ausgewählte hochwertige Unternehmensanleihen aus unserer Sicht weiterhin Chancen. Attraktiv sind vor allem Emissionen, die aktuell bis zu fünf Prozent Rendite oder mehr bringen.
Markttechnisch
• Weiter positiv
• Liquidität hoch
• Hoher Pessimismus an den Märkten
Aus dem markttechnischen Blickwinkel erhalten die Märkte weiter Unterstützung. Der Pessimismus an den Finanzmärkten bleibt hoch, und die Kassenbestände der Fondsmanager sind auf einem sehr hohen Niveau.
Währungen/Rohstoffe/Gold
• Euro längerfristig weiter belastet
• Kurzfristige Euro-Erholung möglich
• Gold könnte sich erholen
Kurzfristig ist eine Erholung des Euro weiter möglich. Längerfristig dürfte die europäische Leitwährung allerdings durch die Entwicklung auf dem Kontinent und hier vor allem in Deutschland durch die Energiepreisproblematik und die erwartete schwache Entwicklung der deutschen und europäischen Handelsbilanz weiter belastet bleiben. Sollten sich die Ukraine und Russland allerdings an den Verhandlungstisch setzen, würde der nachlassende geopolitische Druck den Euro stützen. Und falls die EZB die Zinsen stärker als erwartet anheben sollte, würde sich das ebenfalls positiv auf den Euro auswirken. Das Anlegersentiment und die markttechnischen Daten sprechen für eine gewisse Erholung bei Gold.
Von Stefan Breintner, Leiter Research und Portfoliomanagement, DJE Kapital AG