DJE-Experte Breintner: Zu viel Optimismus im Markt

In den USA deuten die Konjunkturdaten auf eine milde Rezession hin, während in Europa derzeit von einer stärker ausfallenden Rezession auszugehen ist. Die Zentralbanken versuchen derweil mit allen Mitteln, die Inflation zu bekämpfen. Noch werden die Märkte von Zuversicht getragen, doch den Optimismus vieler Investoren mit Blick auf die sinkende Inflation und ein frühes Ende der Zinsanhebungen teilen wir nicht. DJE Kapital AG | 16.12.2022 10:12 Uhr
Stefan Breintner, Leiter Research und Portfoliomanagement, DJE Kapital AG / © e-fundresearch / DJE Kapital AG
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Das allmählich auslaufende Jahr ist ohne Zweifel ein schwieriges und herausforderndes Jahr gewesen und von zahlreichen Verwerfungen geprägt. Der Tiefpunkt an den Märkten dürfte aus unserer Sicht allerdings noch nicht ganz erreicht sein. Die kommenden beiden Quartale könnten sich abermals als schwierig erweisen, und die Wahrscheinlichkeit, dass die europäische und die US-amerikanische Wirtschaft in die Rezession rutschen, ist hoch. Europa dürfte dabei eine stärkere Rezession erwarten als die USA. Eine geldpolitische Straffung und weitere Zinserhöhungen von Seiten der Notenbanken könnten daher zu einer weiteren Korrektur an den Märkten führen. Nach dieser erscheint jedoch ein erneuter Aufschwung an den Aktienmärkten möglich. Eine sich abschwächende Wirtschaft ist auch das, was die US-Notenbank Fed erreichen will, da diese die Inflation und den Arbeitsmarkt bremsen möchte.

Das Inflationsproblem dürfte in den USA unserer Meinung nach in rund ein bis zwei Jahren unter Kontrolle sein. Europa wird dagegen deutlich mehr Zeit benötigen, um die Inflations- und Energiethematik in den Griff zu bekommen. Die zukünftigen Inflationserwartungen des Marktes könnten sich daher als zu optimistisch herausstellen. Zu viel Optimismus hinsichtlich schneller Zinssenkungen im kommenden Jahr 2023 scheint deshalb nicht angebracht. Die Fed sowie die Europäische Zentralbank EZB werden wohl zunächst versuchen, die Zinsen auf einem höheren Niveau zu stabilisieren, bevor über mögliche Zinssenkungsschritte nachgedacht wird. Wir bleiben daher vorerst weiter bei unserer insgesamt defensiven Anlagepolitik. Der Euro könnte zunächst von falkenhafteren Aussagen der EZB zu weiteren Zinsschritten profitieren. Mittelfristig gehen wir aber nach wie vor von einer US-Dollar-Stärke aus: Schließlich sind die USA weitgehend energieautark, technologisch in vielen Bereichen führend und haben zudem den stärksten und tiefsten Kapitalmarkt.

Fundamental

• Konjunkturaussichten weltweit trübe, vor allem mit Blick auf Deutschland und Europa
• Erneuerbare Energien und Rohstoffsektor bieten Chancen
• Fokus auf Unternehmen mit hoher Preissetzungsmacht
• China bleibt schwierig einzuschätzen
• Brasilien und Mexiko attraktiver als Russland und China

Die Konjunkturaussichten sind sowohl für die USA als auch Europa und hier insbesondere Deutschland nicht rosig. Europa steht vor einer stärkeren Rezession. In den USA wird die Tiefe der Rezession auch von der Situation am Arbeitsmarkt abhängen. Dieser hat sich durch die Pandemie strukturell verändert. Der Arbeitsmarkt könnte daher angespannter bleiben als zunächst gedacht und die Arbeitslosenquote damit weniger steigen. Aufgrund der aktuell weiter sehr robusten US-Wirtschaft und des engen Arbeitsmarktes ist eine milde Rezession in den USA das derzeitige Basisszenario.

Von den USA ausgehend gibt es allerdings auch ein gewisses Risiko: Aufgrund von Verwerfungen bei Hedge-Fonds und Private-Equity-Firmen könnte es zu periodischen Finanzstabilitätsrisiken kommen unter anderem wegen deren Exposure zu problematischen Immobilienbeständen und einer quasi Verzwanzigfachung der Kreditkosten. Finanzstabilitätsrisiken bergen das größte Abwärtspotenzial für die USA: In solch einem Fall könnte der Euro temporär gegenüber dem US-Dollar aufwerten.

In der europäischen Energiekrise sorgte außerdem der warme Spätherbst zuletzt für eine kurzfristige Entspannung. Auf Sicht von einem Jahr könnte sich die Situation aber verschlechtern, da es im kommenden Jahr durch den Lieferstopp von russischem Gas beispielsweise deutlich schwieriger werden dürfte, die Gasspeicher wieder zu füllen. Der Winter 2023/24 dürfte daher problematischer werden als der Winter 2022/23. Deutliche Verbesserungen bei der Gas- und Stromversorgung sind die nächsten Jahre in Deutschland also vorerst nicht zu erwarten. Wir rechnen damit, dass frühestens in etwa vier Jahren in Deutschland und Europa – etwa durch den Ausbau erneuerbarer Energien und neue Energiepartnerschaften – mehr Energie zur Verfügung stehen könnte. Einige energieintensive Unternehmen könnten Deutschland daher verlassen beziehungsweise verstärkt Arbeitsplätze abbauen.

Die chinesische Regierung hat zuletzt damit begonnen, ihre strenge Null-Covid-Strategie zu lockern. Sollte China 2023 die Wirtschaft stärker öffnen und damit die Null-Covid-Strategie beenden, könnten Wirtschaft und Börse im Reich der Mitte von der Entwicklung profitieren. Darüber hinaus dürfte China auf der Immobilien- und vor allem der Infrastrukturseite weiter stimulieren. So wurde beispielsweise der lange geltende Grundsatz „Housing is for living and not for speculation“ erst jüngst fallengelassen. Außerdem dürfte der weitere Infrastrukturausbau den Rohstoffsektor unterstützen.

Im internationalen Zahlungsgefüge sind Länder wie Brasilien oder Mexiko derzeit allerdings attraktiver als China oder Russland. So haben Brasilien und Mexiko bei der Inflationsbekämpfung durch frühzeitige Zinserhöhungen einen relativ guten Job gemacht und sind derzeit wirtschaftlich ganz gut aufgestellt.

Monetär

• US-Gesamtinflation sollte weiter zurückgehen
• Hoher Druck auf Notenbanken, vor allem auf die EZB
• Deutsche Staatsanleihen bleiben unattraktiv
• Ausgewählte Unternehmensanleihen weiter chancenreich

Die US-Inflation wird wahrscheinlich auch in den kommenden Monaten zurückgehen, wobei die Kerninflation (ohne Nahrungsmittel und Energie) weniger stark fallen dürfte als die Gesamtinflation. Die Kerninflation könnte auch weiter bei über fünf Prozent liegen, was ein weiterhin vorsichtiges bzw. restriktives Vorgehen der US-Notenbank zur Folge haben dürfte. Es ist aktuell noch nicht ausgemacht, dass die Terminal-Rate in den USA bei etwa fünf Prozent liegen wird. Die Wahrscheinlichkeit ist jedoch hoch, dass diese darüber liegt und dann auch eine Weile auf diesem Niveau verharren wird. Die Fed wird daher ihre Geldpolitik nicht so schnell ändern. Dahingehend äußerte sich auch der Fed-Vorsitzende Jerome Powell: „Wir müssen weitermachen, bis der Job erledigt ist.“

Auch der Druck auf die EZB, die Zinsen weiter zu erhöhen und damit zunächst weiter restriktiv vorzugehen, dürfte zunehmen, da die Inflation in Europa in struktureller Hinsicht auf einem höheren Niveau bleiben dürfte als in den USA. Die Inflationserwartungen des Marktes halten wir daher für zu optimistisch. Wir glauben nicht, dass die Inflation so stark zurückgehen wird.

Historisch betrachtet war die Entwicklung der Geldmenge immer der beste Börseneinflussfaktor: Die US-Geldmenge M1 wächst aktuell nicht mehr, und die US-Überschuss-Liquidität ist negativ, das heißt, es ist derzeit zu wenig überschüssiges Geld für Aktieninvestitionen im Wirtschaftskreislauf. Die Anlegerstimmung für Bonds bleibt weiterhin negativ. Bei den festverzinslichen Wertpapieren halten wir deutsche Staatsanleihen nach wie vor für unattraktiv. Dagegen bieten ausgewählte hochwertige Unternehmensanleihen aus unserer Sicht weiterhin Chancen. Attraktiv sind vor allem Emissionen, die aktuell bis zu fünf Prozent Rendite oder mehr bringen.

Markttechnisch

• Weiter positiv
• Zunehmender Optimismus für Aktien

Aus dem markttechnischen Blickwinkel erhalten die Märkte weiter Unterstützung. Nach einem schwierigen Aktienjahr sind die Marktteilnehmer nun zunehmend optimistisch für Aktien.

Währungen/Rohstoffe/Gold

• Euro längerfristig weiter belastet
• Kurzfristige Euro-Erholung möglich
• Neue Hochs beim USD/EUR-Wechselkurs möglich

Kurzfristig könnte der Euro gegenüber dem US-Dollar noch von möglicherweise falkenhaften Aussagen der EZB zu weiteren Zinsschritten profitieren. Längerfristig dürfte der Euro allerdings weiter belastet bleiben. Der Grund dafür sind die Entwicklung in Europa und hier vor allem in Deutschland durch die Energiepreisproblematik und die erwartete schwache Entwicklung der deutschen und europäischen Handelsbilanz. Der längerfristige strukturelle Trend der US-Dollar-Stärke ist dagegen ungebrochen. Mittelfristig sind auch neue Hochs beim USD/EUR-Wechselkurs denkbar, es sei denn, es kommt aufgrund von Verwerfungen zu strukturellen Instabilitäten im US-Finanzsystem.

Von Stefan Breintner, Leiter Research und Portfoliomanagement bei DJE Kapital AG 

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