Am 16. Dezember 1773 drangen amerikanische Bürger in den Bostoner Hafen ein und warfen drei Ladungen Tee der britischen East India Company von den vor Anker liegenden Schiffen ins Hafenbecken. Die Aktion war ein Protest der Kolonialisten in Amerika gegen Zölle, Steuern und andere Maßnahmen, die von der Kolonialmacht Großbritannien eingeführt wurden. Der Konflikt trug maßgeblich zum amerikanischen Unabhängigkeitskrieg bei und legte somit auch den Grundstein für den Aufstieg der USA als globale Wirtschaftsmacht. Zölle und wirtschaftspolitische Maßnahmen haben auch heute noch einen großen Einfluss auf die Weltwirtschaft und Kapitalmärkte.
Spätestens seit Donald Trumps “America First”-Politik und dem darauffolgenden Handelskonflikt zwischen den beiden Großmächten USA und China gibt es wieder Aufwind für Protektionismus rund um den Globus. So schützen beispielsweise hohe Zölle auf günstige chinesische E-Autos den amerikanischen Automobilsektor. Außerdem haben die USA Exportbeschränkungen für Spezialchips, die im Bereich künstliche Intelligenz verwendet werden, eingeführt. Offiziell geschah dies aufgrund von Sicherheitsbedenken, aber wohl erhofft man sich China den Zugang zu fortschrittlichen Technologien zu erschweren. Auch die EU erwägt mögliche Anti-Dumping-Zölle für chinesische Elektroautos und drängt westliche Unternehmen auf den Einsatz von Komponenten chinesischer Hersteller wie Huawei zu verzichten.
Umgekehrt hat auch China einige Restriktionen auf den Export von Rohstoffen wie Gallium und Germanium, die für die Herstellung von Mikrochips wichtig sind, eingeführt. Das ist problematisch für viele Hersteller, denn China hat bei vielen seltenen Erden und anderen kritischen Rohstoffen ein Quasi-Monopol. Erst vor kurzem hat China zudem den Export von Graphit, einem wichtigen Rohstoff für die Herstellung von Batterien, eingeschränkt.
Subventionen erfreuen sich ebenfalls großer Beliebtheit, um die nationale Produktion zu fördern. Regierungen rund um den Globus versprechen sich Wettbewerbsvorteile und Arbeitsplätze, indem sie gezielt Branchen wie Landwirtschaft, erneuerbare Energien, Elektromobilität und künstliche Intelligenz subventionieren. Es handelt sich dabei um nicht unbeträchtliche Summen: Seit 2020 haben Regierungen alleine 1,34 Billionen US-Dollar für Investments in “saubere” Energien versprochen (Quelle: IEA, Stand Juni 2023). Diese Maßnahmen beeinflussen daher auch die Kapitalmärkte entsprechend.
Zwei der einflussreichsten politischen Maßnahmen sind wohl der Inflation Reduction Act (IRA) und der CHIPS Act von Joe Biden. Der IRA subventioniert unter anderem grüne Technologien in Amerika mit 400 Milliarden bis 1 Billion US-Dollar über zehn Jahre. Daher ist es wenig überraschend, dass Aktienkurse von Unternehmen, die wahrscheinlich davon profitieren, deutlich positiv reagiert haben. Außerdem wird erwartet, dass der IRA die Preisgestaltung von Medikamenten in den USA beeinflussen wird. Die USA ist der wichtigste Markt für die globale Pharmaindustrie.
Die Beweggründe der Politik sind klar: Man erhofft sich, dass durch Subventionen langfristig wichtige Wirtschaftszweige geschaffen werden. In der Vergangenheit hat das auch in manchen Ländern gut funktioniert. So hat beispielsweise Taiwan jahrelang die Halbleiterindustrie politisch unterstützt und somit einen wichtigen Produktionsstandort für diese Technologie im eigenen Land geschaffen. Auch China hat jahrelang die Elektroautoindustrie vor Ort subventioniert – mit Erfolg. Das Land ist 2023 zum weltgrößten Autoexporteur aufgestiegen. Für das Jahr 2023 rechnet man mit einer Marktdurchdringung von Elektrofahrzeugen in China von 30 Prozent und bis 2025 soll diese dann auf 50 Prozent ansteigen. Chinesische Marken gewinnen aktuell massiv Marktanteile – auch im Ausland.
Wirtschaftspolitische Spannungen, aber auch andere geopolitische Ereignisse wie der Ukraine-Krieg und der Nahostkonflikt wirken sich zudem auf die Lieferketten aus. Outsourcing in ferne Länder ist für viele Firmen schon während der Covid-Pandemie weniger attraktiv geworden. Auch in der Energieversorgung versucht man weniger abhängig von Importen aus dem Ausland zu werden. Manche Regionen wie beispielsweise Japan profitieren von politischen Spannungen – als ein dem Westen freundlich gesinntes Land ist es ein attraktiver Produktionsstandort für internationale Konzerne.
Die Boston Tea Party ist in dem einen oder anderen Lehrplan als Auftakt zum amerikanischen Unabhängigkeitskrieg verankert. Auch wenn es viele Anläufe und Abkommen zum Freihandel gab und gibt, ist das Thema Protektionismus weiterhin aktuell. Für Anleger bedeutet dies: Es lohnt sich, politische Einschränkungen im Handel sowie Subventionen im Blick zu behalten, denn sie können sich kurz- und langfristig auf die Aktienkurse der betroffenen Unternehmen und Branchen auswirken – sei es positiv oder negativ.
Von Oleg Schantorenko, Client Portfolio Manager & ESG-Specialist, Institutional Clients bei DJE Kapital AG