Der Hauptantrieb für die starke Kursentwicklung bei den Hyperscalern wie Microsoft und Amazon war das Thema Künstliche Intelligenz (AI bzw. KI). Die Hyperscaler investieren massiv in KI: die geschätzten Direkteinkäufe bei NVIDIA liegen 2023 bei 33 Mrd. US-Dollar, 2024 bei 57 Mrd. US-Dollar und 2025 bei 71 Mrd. US-Dollar. Darüber hinaus konnten sie erste Milliardenumsätze generieren und eine Plattform für quasi alle Unternehmen weltweit bereitstellen, auf denen die Unternehmen mit KI experimentieren können.
Goldman Sachs geht in einer aktuellen Studie davon aus, dass in den nächsten Jahren mehr als eine Billion US-Dollar in die KI-Infrastruktur (Server, Chips, Datacenter, Energieversorgung) fließen werden. Dies setzt allerdings voraus, dass generative KI-Unternehmen in Zukunft ganze Industriezweige und die Gesellschaft als solche verändern werden. Der CIO-Survey von Morgan Stanley wie auch andere kommen zu dem Ergebnis, dass KI das technologische Top-Thema in der Unternehmenswelt geworden ist. Dort fließen die meisten Investitionen hinein. Man ist sich aber durchaus bewusst, dass nicht alle KI-Projekte zum Erfolg führen werden. Eine erste Ernüchterung zeichnet sich jedoch ab. Marktbeobachter rechnen erst nach 2025 damit, dass erste KI-Erfolge in Produktion gehen werden. Man hat erkannt, dass KI oftmals nicht ganz trivial geliefert wird und dann sofort einsatzfähig ist, sondern es sich hier um sehr anspruchsvolle IT-Entwicklungsarbeit handelt. KI-Fachkräfte sind zudem äußerst rar.
NVIDIA steht im Zentrum
Ohne Frage steht das Chipunternehmen NVIDIA im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und der KI-Entwicklungen. NVIDIA hat derzeit einen Marktanteil von mehr als 90% an den für KI eingesetzten Chips (GPUs). Das Unternehmen hat bereits vor 2010 und damit zwölf Jahre vor der Konkurrenz angefangen, eine Programmierplattform mit dem Namen CUDA zu entwickeln, damit Kunden ihre Grafikprozessor-(GPU)-Chips möglichst optimal ansteuern und einsetzen können. Basierend auf dieser Plattform, hat NVIDIA auch eine über die Jahre stark angewachsene Bibliothek erstellt, um für möglichst viele Anwendungsfälle die Entwicklung zu erleichtern. Dies vergrößert den ohnehin beträchtlichen Abstand gegenüber der Konkurrenz und erlaubt NVIDIA, seine GPUs noch weiter im Markt zu etablieren. Nicht nur dass NVIDIA mit hoher Frequenz neue, verbesserte Chiparchitekturen auf den Markt bringt, sondern diese sind auch von den Entwicklern aller Branchen sehr gut ansteuerbar. Über fünf Millionen Entwickler nutzen CUDA zur KI-Programmierung. Ein Umstieg auf andere Chips bedarf einer Änderung der Programmierung, was erheblichen Migrationsaufwand verursacht. NVIDIA treibt KI-Entwicklungen nicht nur im Large Language Model (LLM) voran, sondern u.a. auch zum Beispiel in der Medizin und Genetik bei der Erforschung neuer Medikamente, bei selbstfahrenden Autos, in der Wettervorhersage, bei persönlichen digitalen Assistenten, Verkaufsberatern, in der Robotik zur industriellen Fertigung und bei humanoiden Robotern (auch hier hoher Marktanteil).
Beim Thema KI geht gefühlt alles, jedoch ist es nahezu unmöglich vorherzusagen, wann auf welchem Feld Durchbrüche erzielt werden. Auf dem Anwendungsfeld Sprache gelang OpenAI zu Beginn 2023 ein Durchbruch. NVIDIA wird durch seine enorme Größe, seinen Forschungsvorsprung und die wachsenden Burggräben weiterhin eine Führungsrolle in der weltweiten KI-Entwicklung einnehmen. Bei der Bewertung des Unternehmens muss man jedoch genau hinschauen, wann Einstiegszeitpunkte sind und wann man besser Vorsicht walten lassen sollte.
Wie weit kann die KI-Rallye noch gehen?
Die KI-Rallye korrigierte seit dem vergangenen Jahr bisher zwei Mal: im Herbst 2023 um -8,7% und im Frühjahr 2024 um -13,7%. Beide Korrekturen erwiesen sich im Nachhinein als gute Einstiegsgelegenheit für Investments in Unternehmen mit größerem KI-Umsatzanteil. Nach den recht hochgelaufenen Kursen und Bewertungen ist eine weitere Korrektur vorstellbar. Sollte es dazu kommen, dürften sich bei verschiedenen Werten wieder Einstiegsgelegenheiten ergeben.
KI-Infrastruktur – der Boom im Boom
Während des KI-Booms profitierte auch die eher im Hintergrund agierende Infrastruktur des Segments. Dazu zählen Chip Designer wie Broadcom, KI-Serverlieferanten, Komponententests, Platinenhersteller, Speicherchip-Hersteller und Spezialisten für Chip Packaging. Aber auch Halbleiterausrüster wie ASML, der Bereich Vernetzung und natürlich die Chipfirmen, die mit KI größere Umsätze erzielen (NVIDIA, TSMC). Zuletzt erweiterte sich der Boom auf Unternehmen, die sich des Themas Energie und der Kühlung von Rechenzentren annehmen, da aufgrund der starken Zunahme von KI-Servern immer größere Rechenzentren mit steigendem Energiebedarf gebaut werden. Zwar werden die Chips immer energieeffizienter, sie benötigen jedoch eine immer stärkere Kühlung.
KI-Anwendungen noch mit schwachen Umsätzen
Bescheidener sieht es auf der Seite der Firmen aus, die KI nutzen, um den Endkunden einen echten Mehrwert zu bieten. Noch konnten Software-Lösungen wie KI-Copiloten, KI-Assistenten für Steuersoftware oder Programme zur Prozessoptimierung keine größeren Umsatzsteigerungen berichten. Es gibt natürlich auch zahlreiche Startups, die sich mit dem Thema KI beschäftigen. Erfahrungsgemäß müssen jedoch die meisten Startups irgendwann ihr Geschäft wieder aufgeben, nur wenige schaffen es. Selbst die Hyperscaler, die in Summe über 100 Milliarden US-Dollar in den Jahren 2023 und 2024 in KI gesteckt haben, können bislang kaum mehr als einen prozentual einstelligen Anteil ihres Umsatzes aus dem KI-Geschäft erwirtschaften.
Noch befinden sich die Hyperscaler im Wettlauf um das beste KI-Angebot, das beste KI-Datenmodell, die besten vortrainierten Modelle und den am besten funktionierenden KI-Chat bzw. -Assistenten. Dies ist ein sehr kostspieliger Wettbewerb. Es steht die Frage im Raum, ob die Hyperscaler über kurz oder lang vielleicht gezwungen sein werden, ihre Investitionen zu kürzen, weil sich die Einnahmen noch nicht so einstellen wie erwartet. Genauso ist es möglich, dass das Rennen hin zur „künstlichen allgemeinen Intelligenz“ (artificial general intelligence AGI) alles überlagern wird und die immensen Investitionen rechtfertigt. Unter der AGI versteht man eine Intelligenz, die der des Menschen gleichkommt. Die Größe der Large Language Models verdoppelt sich derzeit in etwa alle sechs Monate (derzeit etwa zwei Billionen Parameter). Diese Entwicklung verbessert die Genauigkeit der Ergebnisse. Allerdings: Bis zu einer Struktur, die der des menschlichen Gehirns mit 100 Billionen Synapsen, also Verbindungen zwischen den Nervenzellen, ähnlich ist, dürfte laut Bank of America jedoch noch ein erheblicher Weg zu gehen sein.
Vorsicht bei zu hohen Bewertungen
Insgesamt lässt sich derzeit festhalten, dass sich auf der Entwicklungs- und Infrastrukturseite der KI viel tut und enorm viel investiert wird. Auf der anderen Seite ist davon in Richtung Kunden und Endnutzer bislang unverhältnismäßig wenig davon angekommen. Dies ist bei so gut wie allen größeren strukturverändernden Entwicklungen anfangs der Fall gewesen, sei es der Aufbau des Eisenbahnnetzes oder des Internets. Aus Anlegersicht sollte man immer wieder überprüfen, wie weit fortgeschritten die KI-Entwicklung ist, wer wovon profitiert und wie lange dies ohne genügend Einnahmen auf der Kundenseite gut gehen kann. Es ist nicht auszuschließen, dass der KI-Boom zu überhöhten Bewertungen und zu einer Blase geführt hat. Platzt sie, dürfte es primär die einstigen KI-Highflyer treffen. Das Feld der Möglichkeiten, die die KI eröffnet werden, erscheint jedoch zu überwältigend, als dass man es ignorieren könnte. Eine vorsichtige Partizipation nach ordentlicher Prüfung der Investitionen ist hier ratsam, auch in Verbindung mit Teilausstiegen und Gewinnmitnahmen. Wir stehen höchstwahrscheinlich am Anfang einer neuen Technologiedekade. Die Investitionen in die KI gingen schneller vonstatten als bei früheren strukturverändernden Technologien. Was sich jedoch nicht geändert hat: Einige Werte dürften inzwischen zu heiß gelaufen sein, da sie eine Entwicklung zu schnell vorweggenommen haben, die von der Realität noch nicht gerechtfertigt wird.
Von Mike Glöckner, Analyst im Researchteam der DJE Kapital AG
1 Quelle: Bloomberg, JP Morgan