Die deutschen und europäischen Autobauer stecken in der Zwickmühle aus hohen Produktionskosten für E-Autos bei gleichzeitig stagnierender E-Auto-Nachfrage, wachsender (subventionierter) Konkurrenz aus China und politischen Zielen, die auf ein Ende ihres zuverlässigen Margenbringers hinauslaufen: des Verbrennermotors.
Der Stoxx Europe Automobil hat seit Jahresbeginn rund 9,6 Prozent verloren und ist dieses Jahr bisher der schwächste Sektor in Europa. Im selben Zeitraum konnte beispielsweise der Euro Stoxx600 über 8,8 Prozent zulegen und der MSCI World sogar um 17,3 Prozent (Stand 28.10.24). Mit Blick auf die deutschen Automobilhersteller (OEMs) erwarten Analysten einen durchschnittlichen Gewinneinbruch im hohen zweistelligen Bereich für das laufende Jahr im Vergleich zu 2023. Nahezu alle europäischen Automobilhersteller mussten ihre Ziele, die sie sich noch am Jahresanfang gesetzt hatten, deutlich nach unten revidieren.
Die deutschen OEMs stecken in der Zwickmühle. Sie verdienen mit ihren Elektroautos kaum Geld, anders als mit ihren Verbrennermodellen – die Marge ist zu gering. Auf der Kostenseite dagegen können sie mit der zum Teil subventionierten chinesischen Konkurrenz nicht ansatzweise mithalten – die Produktion ist zu teuer. Die Branche ist auf der Suche nach einem angemessenen Preisaufschlag für westliche Marken, denn die aktuelle Differenz scheint deutlich zu hoch zu sein. Die Folge sind erhebliche Marktanteilsverluste, wie es deutsche Autobauer in China erleben. Laut dem Verband der Automobilindustrie (VDA) sank der Marktanteil der deutschen OEMs in China im ersten Halbjahr auf 20,3 Prozent, ein Minus von 2,1 Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahreswert und nahezu sechs Prozentpunkte niedriger gegenüber 2019.
Zeitenwende in China
In China wiederum sind die Verbraucher höchst verunsichert aufgrund der angespannten Makrolage. Das wird nicht nur beim Automobilabsatz und dem Pricing deutlich, sondern auch in diversen anderen Sektoren wie beispielsweise im Luxusgütersegment. Die China-Schwäche im Automobilsektor ist allerdings multidimensional und unseres Erachtens nicht nur zyklisch, sondern vor allem auch strukturell.
Das Wort „Zeitenwende“ scheint für Chinas Automobilmarkt angebracht zu sein. Da ist erstens der offensichtliche, disruptive Schritt in Richtung E-Mobilität. Dadurch haben die europäischen OEMs ihren über Jahrzehnte aufgebauten technologischen Vorsprung beim Herzstück des Autos – dem Antriebsstrang – zu großen Teilen verloren. Der größte chinesische Autobauer BYD erkennt den technologischen Vorsprung der europäischen OEMs bei Verbrennermotoren an, hält sie aber bei E-Autos für nicht konkurrenzfähig. Waren bzw. sind chinesische Verbraucher gewillt, einen signifikanten Aufschlag für westliche Verbrennermodelle zu bezahlen – für westliche E-Autos sind sie es nicht.
Zweitens hat sich in den vergangenen Jahren auch die Einstellung chinesischer Konsumenten verändert, was sich in ihrem Kaufverhalten widerspiegelt. Die europäischen OEMs liegen weit abgeschlagen hinter dem aktuellen Branchenprimus BYD und „nur“ auf Augenhöhe mit anderen chinesischen Herstellern wie Xiaomi, Li Auto, Geely oder Aito. Die Chinesen scheinen eine Präferenz für chinesische Autos entwickelt zu haben. Zudem befördert die kommunistische Regierung eine sogenannte „Luxury shame“: Chinesen sollen sich demnach von westlichem Luxus abwenden oder sich schämen, wenn sie ihn zur Schau stellen. Das trifft natürlich die Hersteller von Ober- und Luxusklasse-Modellen. Entsprechend hat Porsche auf die Absatzschwäche reagiert und halbiert die Anzahl der chinesischen Händler – ein klares Zeichen, dass sie nicht von einer zeitnahen Erholung ausgehen. Mercedes unterstützt aktuell seine Händler finanziell, aber auch dort werden Einschnitte in das Händlernetz diskutiert.
Stockende Elektrifizierung
Die globalen Verkaufszahlen von E-Autos (vollelektrisch und hybrid) wuchsen in der ersten Jahreshälfte 2024 immer noch stärker als der Gesamtautomobilmarkt, allerdings haben sie mit einem Plus von nur sieben Prozent stark an Momentum verloren im Vergleich zu den 22 Prozent im Vorjahreszeitraum. Die Situation in Europa (plus ein Prozent) und vor allem Deutschland (minus neun Prozent) ist noch deutlich ausgeprägter. Der Einbruch der deutschen E-Auto-Absatzzahlen lässt sich teilweise mit dem Wegfall von staatlichen Förderungen erklären. Aber nicht nur.
Ein weiteres Thema ist die mangelnde Ladeinfrastruktur – in einer Umfrage (Allensbach, Okt. 2023) gaben 68 Prozent der Befragten an, dass sie das Angebot an Lademöglichkeiten in der eigenen Umgebung als „weniger gut“ oder „gar nicht gut“ betrachten. Die Situation auf den Autobahnen und Landstraßen wird nur als geringfügig besser eingeschätzt (zu 49 Prozent kritisch und nur zu sieben Prozent positiv). Zudem hinkt die Bundesregierung mit dem Ausbau der Ladeinfrastruktur ihrem Ziel, bis 2030 eine Million öffentlich zugängliche Ladesäulen zur Verfügung zu stellen, weit hinterher. Aktuell (per September 2024) gibt es 146.000 Ladepunkte in Deutschland. Um das Ziel zu erreichen, müsste sich die Ausbaugeschwindigkeit mehr als verdoppeln. In Europa ist die Situation von Land zu Land verschieden – hier sind beispielsweise die Niederlande und Norwegen in Sachen Ladeinfrastruktur erheblich weiter. Was auch nicht zu unterschätzen ist, sind die (erwarteten) Fortschritte bei der Batterietechnologie, die sich erheblich auf die Reichweiten und Ladefrequenzen auswirken können. Der Markt rechnet mit dem Blick auf das nächste Jahrzehnt mit erheblichen Fortschritten bei Feststoffbatterien, vor allem von asiatischen und US-amerikanischen Herstellern. Also warten potenzielle E-Auto-Käufer tendenziell erst einmal ab.
EU-Emissionsziele 2025
Kurzfristig kommt der stockende E-Auto Absatz in Europa zur Unzeit, wenn man an die verschärften CO2-Emissionsziele denkt, die ab 2025 EU-weit gelten sollen. Die EU schreibt den Autoherstellern eine weitere Senkung der Flottenemission um 15 Prozent gegenüber den 2021er-Zielen vor. Diese kompliziert die Lage für manche Hersteller zusätzlich. Mercedes beispielsweise liegt im ersten Halbjahr 2024 noch bei durchschnittlich 108g/km und müsste 2025 rund 90g/km erreichen. Die neuen EU-Ziele stehen nicht nur auf dem Papier, sondern sind bei Nichteinhaltung mit Strafen bewehrt, die durchaus beachtlich sind. Ein Rechenbeispiel: Bei ca. 660.000 verkauften Pkw in Europa (2023) und einem unveränderten, oben beschriebenen CO2-Ausstoß wäre eine Strafe von über einer Milliarde Euro fällig. Zur Einhaltung der Ziele wäre es wichtig, mehr E-Fahrzeuge zu verkaufen. Doch der Markt stagniert. Die betroffenen Produzenten werden vermutlich die Incentivierung über Rabatte steuern, was der Marge weiter schaden dürfte. Stellantis, Eigentümer einer breiten Markenpalette, darunter Fiat, Opel, Peugeot und Jeep, hatte zuletzt schon angekündigt, ab 2025 die Verbrenner-Produktion zu drosseln, um die EU-CO2-Flottenziele zu erreichen.
Kostenfaktor Batterie – ein Teufelskreis mit eigener Dynamik
Gegenüber einem Verbrenner hat das E-Auto einen entscheidenden Kostennachteil: Die Batterie macht laut dem Statistik-Büro Statista 2024 noch rund 28 Prozent der Produktionskosten eines durchschnittlichen E-Mobils aus. Diese Kosten entfallen bei Verbrennern ersatzlos. Deutsche und europäische OEMs haben diese Kosten, und damit den Hauptgrund der Margendifferenz, in unseren Unternehmensgesprächen bestätigt. Aktuell fallen die Batteriepreise, was für eine willkommene Kostenentlastung sorgt. Tendenziell sollen die Batteriepreise (gemessen in Euro bzw. US-Dollar pro kWh) auch in den nächsten Jahren weiter stark fallen. So prognostiziert die Investmentbank Goldman Sachs, dass die Kosten pro kWh von 2023 bis 2026 um nahezu 50 Prozent fallen sollten. Diese Entwicklung ist gleichzeitig Fluch und Segen: Einerseits ist es eine gesunde Entwicklung, welche die E-Mobilität erschwinglicher macht. Andererseits bringt dies auch erhebliche Unsicherheit im Jetzt mit sich: Warum sollten sich Verbraucher heute ein E-Auto mit teurer Batterie kaufen, wenn sie es in ein paar Jahren deutlich günstiger bekämen? Also stagniert der Absatz. Das zwingt die Hersteller zu Rabattierungen, was wiederum potenzielle Käufer abschreckt, die sich um den Wiederverkaufswert sorgen.
Hilfreiche und hilflose Maßnahmen
Die europäische Automobilindustrie und Politik suchen händeringend nach Auswegen. Viele Autobauer haben harte Kostenmaßnahmen eingeleitet. Die EU hat Strafzölle auf chinesische Importfahrzeuge angehoben und in einigen Ländern werden auch Fördermaßnahmen wie beispielsweise eine neue Abwrackprämie diskutiert. Für deutsche OEMs ist die Situation allerdings prekär, vor allem weil China weiterhin einer der wichtigsten Absatzmärkte ist. Das macht extrem harte Maßnahmen, wie sie die USA mit 100 Prozent Strafzoll auf chinesische E-Autos seit September 2024 erheben, politisch nahezu unmöglich. Selbst noch restriktivere Strafzölle würden nur bedingt helfen, da beispielsweise BYD aktuell ein großes Werk in Ungarn mit einer Kapazität von potenziell 300.000 Autos pro Jahr aufbaut, was nahezu vier Prozent des Autoabsatzes in der EU entspräche. Andere Beispiele sind Leapmotor (Hongkong), die den Kleinwagen T03 in Polen bauen und natürlich auch Teslas Werk in Grünheide.
Deutsche und europäische Autobauer werden so in die Zange genommen, und die Konkurrenzsituation dürfte sich in Europa aller Voraussicht nach noch weiter verschärfen, da der chinesische Auto-Tsunami aus unserer Sicht erst noch bevorsteht. Auch wenn die Bewertungen der Aktien in der Industrie sehr viel Negatives einpreisen, glauben wir, dass die Talsohle der Aktienkurse bei den europäischen OEMs noch nicht durchschritten ist und bleiben bis auf weiteres vorsichtig.
Von Philipp Stumpfegger, Analyst für den Sektor Automobile bei der DJE Kapital AG