An den Märkten wird heftig darüber spekuliert, wann und wie die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) aus ihrer ultralockeren Geldpolitik aussteigen wird. Derzeit verfolgt die Fed eine Nullzinspolitik gepaart mit einem direkten Anleihekaufprogramm, das einer quantitativen Lockerung gleichkommt. Befeuert wurde die Debatte durch die Antwort von Notenbankchef Ben Bernanke auf eine Frage anlässlich seiner Anhörung vor dem US-Kongress Ende Mai. Dort erklärte er: „Sollte sich die Lage weiter bessern und wir zu der Überzeugung gelangen, dass diese Entwicklung nachhaltig ist, werden wir unser Ankaufprogramm auf unseren nächsten Sitzungen möglicherweise zurückfahren.“
An den Märkten wurde dies sofort als Signal für eine unmittelbar bevorstehende „Drosselung“ der Anleihekäufe im Volumen von 85 Milliarden US-Dollar pro Monat interpretiert. Die Folge war eine Verkaufswelle an den Anleihe- und Aktienmärkten. Inzwischen ist das Echo auf die Äußerungen verhaltener, unterstreicht doch die sorgfältige Wortwahl Bernankes, dass solidere Wirtschaftsdaten erforderlich sind, um die Fed zu einer Kursänderung zu bewegen.
Unserer Ansicht nach sorgen die Marktkommentatoren und Mitglieder der Notenbank mit ihren jeweiligen Einschätzungen für großen Wirbel statt einer unmissverständlichen Klarstellung. Es liegt auf der Hand, dass die Fed den Ankauf von Anleihen eines Tages wird einstellen müssen. Allerdings haben sich die Märkte inzwischen an die zusätzliche Geldflut gewöhnt, und es wäre sträflich, würde die Fed dies ignorieren.
Das erklärt vermutlich auch, weshalb sich die US-Notenbanker in kleinen Schritten vorwagen. Die erste Runde der Lockerung beendete die Fed abrupt. In der zweiten Runde wurden die Anleihekäufe auf null zurückgefahren. Für die jetzige dritte Runde stehen die Zeichen auf einen „schrittweisen“ Ansatz. Interessant hieran ist, dass dieser in beide Richtungen gehen könnte. Bernanke hat darauf erneut hingewiesen, als er bemerkte, die Fed könne „das Tempo der Anleihekäufe in Zukunft entweder erhöhen oder drosseln“.
Ungeachtet aller Diskussionen seit der Anhörung hat die US-Notenbank bislang nichts unternommen und wird dies voraussichtlich auch dann nicht tun, wenn ein Crash an den Märkten zu befürchten ist.
Die aktuellen amerikanischen Wirtschaftsdaten lassen noch keine „Drosselung“ zu
Die Arbeitslosenquote liegt weiter über dem Ziel der Notenbank von 6,5%. Nicht berücksichtigt sind hierbei Personen, die aus dem Arbeitskräftepotential ausscheiden. Janet Yellen, Vizepräsidentin der Fed, hat eine 5-Punkte-Skala zur Bewertung der Stärke des Arbeitsmarktes für die US-Notenbank entwickelt. Dabei betont sie, dass der Anstieg der Arbeitslosenquote und die Zunahme der Beschäftigung zwar weiterhin eine Schlüsselrolle spielen, daneben aber auch andere Faktoren wie die Einstellungs- und Kündigungsquote beachtet werden sollten. Mit 175.000 neu geschaffenen Arbeitsplätzen außerhalb der Landwirtschaft (Non-Farm Payrolls) wurde im Mai bereits ein solides Niveau erreicht, die Marke von 200.000 jedoch verfehlt. Erst ab dieser Marke würde sich der Rückgang der Arbeitslosenquote spürbar beschleunigen. Sollte sich die positive Tendenz am Arbeitsmarkt in den nächsten Monaten in der Größenordnung von 175.000 und mehr neu geschaffenen Arbeitsplätzen fortsetzen, ist ein langsamer Ausstieg ab September 2013 denkbar, aber bei weitem nicht sicher.
Vor allem dürfen die Märkte nicht vergessen, dass die schrittweise Zurückführung lediglich bedeutet, dass sich das Tempo verlangsamt, mit dem sich die Bilanz der Fed aufbläht. Eine quantitative Lockerung ist und bleibt es – und auch eine expansive Geldpolitik. Ferner hat die Fed versichert, den Leitzins nahe null zu belassen, solange die Arbeitslosenquote über 6,5% liegt und die Inflation die Zielmarke von 2,5% nicht überschreitet. Und derzeit sieht es nicht danach aus, als würde eine dieser beiden Hürden dieses Jahr genommen.
Europa ist gegenüber transatlantischen Entscheidungen nicht immun
Die Dynamik dies- und jenseits des Atlantiks ist eine andere und Europa befindet sich in einer anderen Phase der Geldpolitik: Es hinkt den USA deutlich hinterher. Außerdem ist die Duration an den europäischen Anleihemärkten so kurz wie an keinem anderen entwickelten Markt, so dass sie weniger empfindlich auf Zinsänderungen reagieren. Bester Beweis hierfür ist ihre defensivere Tendenz angesichts der Turbulenzen im Mai.
Insgesamt wird es zwar nicht einfach sein, die Stimulusmaßnahmen zu drosseln. Grund zur Panik besteht jedoch nicht. Die Ende Mai und Anfang Juni beobachtete Schwäche an den Anleihemärkten werten wir als Korrektur im Anschluss an die starken Kursgewinne in den Vormonaten. Allenfalls könnten die Kursschwankungen an den Märkten einen günstigen Einstiegspunkt darstellen, vor allem wenn man wie wir davon ausgeht, dass die Wirtschaft nach wie vor schwach und die Beschäftigungslage weiter fragil ist – und die Inflation keine unmittelbare Bedrohung darstellt.