Zum Handeln gezwungen

An den Märkten hatte es kaum Zweifel gegeben, dass die Europäische Zentralbank auf ihrer Juni-Sitzung neue Maßnahmen verkünden würde. Es herrschte weitgehend Einigkeit darüber, dass die EZB erneut an der Zinsschraube drehen würde. Bei den Zinsen erfüllte die Notenbank die Erwartungen denn auch gebührend, doch darüber hinaus enthüllte sie ein ganzes Bündel weiterer Maßnahmen. Janus Henderson Investors | 07.06.2014 11:58 Uhr
Tim Stevenson, Henderson Global Investors
Tim Stevenson, Henderson Global Investors
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Tim Stevenson, Fondsmanager des Henderson Horizon Pan European Fund:

Vorab hatte es aus der EZB bereits geheißen, man sei besorgt über das schleppende Wachstum in der Eurozone. Auch der starke Euro, der als Exportbremse wirke, und die niedrige Inflationsrate, die Deflationsängste schüre, seien wenig hilfreich.

Das jetzt präsentierte Paket hat es durchaus in sich und sollte der Konjunktur in der Eurozone einen spürbaren Schubs geben. Die Leitzinssenkung um 10 Basispunkte auf 0,15 % dürfte allerdings wenig Wirkung zeigen. Anders ist es mit den auf -0,10 % gesenkten, nun also erstmals negativen Einlagenzinsen. Diese Maßnahme ist von größerer Überzeugungskraft und dürfte die Banken ermuntern, mehr Geld zu verleihen.

Noch interessanter ist die massive Geldspritze, die von der EZB auf den Namen „TLTRO“ (Targeted Longer-Term Refinancing Operation) getauft wurde. Sie soll der Realwirtschaft zugute kommen, also Unternehmen und nicht etwa dem Immobilienmarkt oder den Staatskassen. Zur Erhöhung des Geldumlaufs wird auch die Aussetzung der wöchentlichen Liquiditätsabschöpfung aus ehemaligen Wertpapierkäufen beitragen. Allein durch diese Entscheidung dürften rund 165 Mrd. Euro zusätzlich ins System gepumpt werden. Weitere Schritte sind unter anderem die Verlängerung der Vollzuteilung im Geschäft mit den Banken und Fortschritte auf dem Weg zu einem Aufkaufprogramm für forderungsbesicherte Wertpapiere.

Das ganze Bündel von Maßnahmen ist unternehmensfreundlich. Weniger gut dürften die Zinssenkungen indessen bei den deutschen Privathaushalten ankommen. Sie haben bekanntlich einen großen Teil ihres Vermögens auf Sparkonten angelegt und werden demnächst fast gar keine Zinsen mehr kassieren. Zur Beschwichtigung der Deutschen heißt es, ein billigerer Euro – im Vorfeld der erwarteten EZB-Entscheidung stand die Einheitswährung zuletzt bereits unter Druck – bedeute Rückenwind für die deutsche Exportwirtschaft. Etwas Trost wird Deutschland wohl auch spenden, dass Draghi die Notwendigkeit weiterer Strukturreformen hervorgehoben und darauf hingewiesen hat, dass bisher noch keineswegs genug erreicht sei. Die Geldpolitik kann das Wachstum nicht im Alleingang anschieben.

Das eigentliche Risiko sehe ich unterdessen darin, dass die Konjunktur wegen der demographischen Situation und der allgemein vorsichtigen Haltung von Unternehmen und Verbrauchern weiter auf Sparflamme läuft. In dem Fall würden die Steuereinnahmen zwar wieder steigen, aber nicht so kräftig, dass mit der Tilgung ausstehender Schulden in nennenswertem Umfang begonnen werden könnte. Der Aufwand für die Finanzierung der Schulden ist jetzt allerdings in allen Ländern wesentlich geringer, und die Leitzinssenkung sollte dazu beitragen, dass Anleiherenditen und Finanzierungskosten dauerhaft niedrig bleiben.

Die Maßnahmen der EZB sind hilfreich, aber wie ein Sprichwort sagt: „Man kann die Pferde zwar zur Tränke führen. Man kann sie aber nicht zwingen, das Wasser zu saufen.“ Es bleibt abzuwarten, ob die Politik von Zuckerbrot und Peitsche die Kreditvergabe tatsächlich ankurbeln und das Tempo der wirtschaftlichen Erholung in der Eurozone beschleunigen wird.  Fest steht, dass Notenbankchef Mario Draghi keine Sekunde zögern würde, nötigenfalls weitere Schritte zu unternehmen. Nach seinen Worten ist die EZB mit ihren Möglichkeiten „noch nicht am Ende“, sollte die Wirtschaft in der Eurozone auf das jüngste Maßnahmenbündel nicht wie gewünscht reagieren.

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