e-fundresearch.com: Wie wirkt sich die Unsicherheit im Vorfeld des EU-Referendums derzeit auf die Immobilienmärkte des Landes aus?
Guy Barnard: Am Direktimmobilienmarkt ist eine deutliche Abkühlung der Anlagetätigkeit zu beobachten. Dem Gewerbeimmobilien-Makler Lambert Smith Hampton zufolge ist das Gesamtvolumen der Immobilientransaktionen in Grossbritannien im ersten Quartal 2016 um 27% auf 11,7 Mrd. Pfund gesunken. Für den Büroimmobilienmarkt in Central London werden die möglichen Folgen eines Ausscheidens Grossbritanniens aus der EU („Brexit“) am negativsten eingeschätzt. Dementsprechend hat sich das Transaktionsvolumen in diesem Sektor binnen eines Jahres von 4,6 Mrd. Pfund auf 2,2 Mrd. Pfund mehr als halbiert. Die Auswirkungen eines Brexits lassen sich jedoch nur schwer von der allgemeinen Verunsicherungam Kapitalmarkt im ersten Quartal trennen, da am Markt ohnehin mit einer Verlangsamung gegenüber den Höhenflügen der letzten Jahre gerechnet worden war. Aber ganz offensichtlich werden Anlageentscheidungen aufgeschoben, und wir gehen davon aus, dass dieser Schwebezustand im Vorfeld des Entscheids anhält.
Mit Blick auf den Mietmarkt meldete der Immobilienspezialist CBRE, dass die seit Jahresbeginn vermieteten Büroflächen in Central London bei 3,1 Mio. Quadratfuss lagen, gegenüber einem Zehnjahresdurchschnitt von 3,2 Mio. Quadratfuss. Zudem sind im 2. Quartal 2016 zusätzliche 3 Mio. Quadratfuss im Angebot. Diese Zahlen beziehen sich zwar auf die Vergangenheit. Dennoch legen sie nahe, dass die Unternehmen ungeachtet der Ungewissheit nach wie vor Immobilienentscheidungen treffen.
Am Markt für börsennotierte Immobilienunternehmen hinken britische Immobilienaktien seit Jahresanfang britischen Aktien insgesamt und globalen Immobilienaktien hinterher. In Grossbritannien halten auf London fokussierte Immobilienaktien nicht Schritt. Folglich werden viele Unternehmen zu Bewertungen gehandelt, die so niedrig sind wie seit der Finanzkrise nicht mehr, da etliche Investoren dem Markt den Rücken gekehrt haben.
e-fundresearch.com: Welche wesentlichen Risiken würde ein „Nein“ der Briten für europäische Immobilienaktien mit sich bringen?
Guy Barnard: Unseres Erachtens besteht das grösste Risiko darin, dass das Anlegervertrauen weiter schwindet und folglich Unternehmens- und Anlageentscheidungen auf Eis gelegt werden. Kurzzeitig dürfte sich die schwache Entwicklung an den Kapitalanlagemärkten fortsetzen. Damit werden die Kurse voraussichtlich fallen, da die Risikoprämien steigen. Die langfristigen Auswirkungen des Brexits sind schwerer abzuschätzen. Der britische Markt für Mietimmobilien dürfte aber kurzfristig unter dem Rückgang der Investitionen ausländischer Unternehmen leiden.
An den Aktienmärkten bestimmen Zukunftserwartungen die Kursentwicklung, weshalb das Risiko eines Brexits unseres Erachtens bereits grösstenteils eingepreist ist. Dennoch rechnen wir bei einem „Nein“ mit stärkeren Kursschwankungen.
Der Dominoeffekt wird im restlichen Europa wahrscheinlich ebenfalls deutlich zu spüren sein, vor allem angesichts der in diesem Jahr anstehenden wichtigen Wahlen. Das politische Risiko wird für Anleger eine entscheidende Rolle spielen.
e-fundresearch.com: Welche Bereiche des Immobilienmarktes wären am stärksten betroffen?
Guy Barnard: Der Londoner Büromarkt dürfte kurzfristig am stärksten unter den Unsicherheiten eines Brexits leiden. Die Mietnachfrage aus Finanz- und multinationalen Unternehmen wird sich abschwächen, solange diese über die künftigen Auswirkungen auf ihre Geschäftstätigkeit im Ungewissen sind. Wir rechnen daher mit einem Rückgang der Mieten.
e-fundresearch.com: Wie haben Sie Ihre Portfolios mit Blick auf den Brexit positioniert?
Guy Barnard: Wir haben das Engagement in Grossbritannien im vergangenen Jahr deutlich verringert. Das hatte jedoch weniger mit dem Brexit zu tun. Hintergrund waren eher höhere Bewertungen und die von uns erwartete Verlangsamung des Wachstums am Markt für britische Gewerbeimmobilien in diesem und den kommenden Jahren nach Jahren mit äusserst starker Wertentwicklung.
Innerhalb des britischen Immobilienmarktes konzentrieren wir uns zunehmend auf strukturelles Wachstum statt auf zyklische Bereiche. Hierzu zählen Selbstlager, Studentenunterkünfte und Wohnbaugrundstücke ausserhalb von London.
Obgleich auch hier Anlageentscheidungen auf die lange Bank geschoben werden, nahmen wir unter Berücksichtigung der Brexit-Unsicherheiten Green REIT und Hansteen in unser Portfolio auf. Green Reit ist auf Büros in Dublin spezialisiert, Hansteen auf Industrieimmobilien in Grossbritannien und auf dem Kontinent. Zudem profitiert Letzteres vom schwachen Pfund Sterling.
e-fundresearch.com: Gibt es Ihres Erachtens bei einem Ausscheiden Grossbritanniens aus der EU auch Anlagechancen?
Guy Barnard: Wir rechnen mit einer weiteren geldpolitischen Lockerung durch die Bank von England. Hiervon werden ertragsstarke Sektoren wie Immobilien profitieren, solange die Ertragsströme solide sind (z.B. langlaufende Mietverträge). Ein schwächeres Pfund Sterling könnte ferner zusätzliches Kapital aus dem Ausland in britische Immobilien fliessen lassen, genau wie nach der globalen Finanzkrise.
Andererseits könnte die Nachfrage in anderen Teilen Europas steigen, beispielsweise nach Büroflächen in Frankfurt, Paris oder Dublin. Wir bezweifeln jedoch, dass es zu einer massiven Verlagerung von Arbeitsplätzen aus London in andere europäische Länder kommen wird.
e-fundresearch.com: Wie schätzen Sie die Aussichten für den Rest des Jahres ein?
Guy Barnard: Abgesehen von den Risiken aufgrund des EU-Referendums sind wir überzeugt, dass sich europäische Immobilienaktien angesichts verlässlicher Erträge und attraktiver, steigender Dividendenrenditen gut entwickeln werden. Die Bewertungen scheinen zunehmend interessant. Im Zusammenspiel mit attraktiven Anlagen und gesunden Bilanzen stimmen sie uns zuversichtlich, dass die Unternehmen, in die wir investieren, gut aufgestellt sind, um Anlegern solide Renditen zu bescheren.