"Schon das ganze Jahr hatten wir uns vorsichtig positioniert, und so war unser Portfolio schon vor dem Referendum defensiv ausgerichtet. Stark gewichtet waren Gesundheitsaktien, neben denen wir unlängst eine Position auf grosse Ölkonzerne aufgebaut hatten. Der Aufbau dieser Positionen erfolgte jedoch ausschliesslich aufgrund guter Fundamentaldaten und nicht in Erwartung eines bestimmten Ausgangs des Referendums.
Nach meiner Einschätzung wird der Brexit nicht annähernd so schreckliche Folgen für die Welt haben, wie uns die Sensationspresse gerne weismachen möchte. Aber richtig ist, dass wir uns auf unbekanntes Terrain begeben und niemand weiss, was uns erwartet. Wir haben daher seit Bekanntgabe des Ergebnisses keine strategischen Veränderungen an unseren Portfolios vorgenommen. Denn wenn überhaupt wird die durch den Brexit geschürte Verunsicherung die Märkte noch stärker in die ohnehin von uns erwartete Richtung drängen.
Für die Verhandlungen zwischen Britannien und der EU wäre es sicher wenig hilfreich, würden die Unterhändler in der emotional aufgeladenen Stimmung eine schnelle Lösung erzwingen wollen. Für die Märkte aber ist Unsicherheit Gift. Zieht sich die Lösung zu lange hin, wird das Vertrauen erschüttert, Investitionen werden auf Eis gelegt, Jobs gestrichen und grössere Anschaffungen aufgeschoben. Unseregrösste Sorge zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist daher, dass das Votum einer Rezession in Europa denBoden bereitet.
Eine Rezession muss aber nicht alle Marktsegmente gleichermassen treffen. Standardwerte und nichtzyklische Unternehmen dürften sich besser behaupten. Weniger gravierend dürften die Folgen auch für Sektoren sein, in denen die Bewertungen nach einem längeren Bärenmarkt am Boden liegen. Wie etwa im Ölsektor, in dem der Ölpreisverfall zu mehr Kapitaldisziplin geführt hat. Schon im dritten Quartal des letzten Jahres waren wir wieder bei Ölwerten eingestiegen. Und von einer weiteren Umschichtung in Ölaktien in den letzten Wochen profitieren unsere Portfolios jetzt.
Bezeichnenderweise sind die Kurse an den europäischen Märkten in einer ersten Panikreaktion stärker eingebrochen als am britischen Markt. Denn eine scheinbar grausame Ironie des Brexits besteht darin, dass die negativen Folgen für Britannien, das an seiner eigenen Währung festgehalten hat, durch das schwächere Pfund abgemildert werden. Es macht nämlich nicht nur die Exporte wettbewerbsfähiger, sondern lässt bei Umrechnung in Pfund auch die im Ausland erwirtschafteten Gewinne britischer Unternehmen steigen. Über ein solches Entlastungsventil verfügen die einzelnen Mitgliedsländer der Eurozone nicht, was unsere zweite Sorge nährt: nämlich dass der Brexit eine Neuauflage der Krise an der Peripherie der Eurozone begünstigt.
Tendenziell mache ich mir daher weniger Sorgen um Grossbritannien als um Griechenland, Portugal und Italien. Eine schwierige Wirtschaftslage bedeutet immer auch enttäuschte Wähler. In Italien wird es deshalb im Oktober ein Referendum über eine umfassende Verfassungsreform geben. Möglicherweise sind die Briten also nicht die einzigen, die für ein politisches Erdbeben sorgen können. Und was die Franzosen anbelangt, so befinden sie sich in einem Dauerzustand der Desillusionierung. Hinzu kommt, dass Europas Banken und gerade die Geldhäuser an der Peripherie nicht in der besten Verfassung sind, um einen Rückfall in die Rezession zu verkraften. Die Kapitalpuffer des Sektors halten wir schlicht für unzureichend. Sie sind auch der Hauptgrund, warum wir schon seit Langem zurückhaltend gegenüber Banken sind.
Keines dieser befürchteten Szenarien muss eintreten. So könnten die Zentralbanken mit zusätzlichen Stimulusmassnahmen eingreifen. Auch wenn fiskalische Impulse meines Erachtens sinnvoller wären, wenn man bedenkt, welchen Herausforderungen sich der Finanzsektor wegen der Negativzinsen und quantitativen Lockerungsmassnahmen gegenüber sieht. Vor allem Letztere graben den Banken langsam aber sicher das Wasser ab.
Dass Europas Wirtschaft ungeschoren davon kommen könnte, ist deshalb kaum vorstellbar. Aber trotz der anfänglichen Marktkorrektur werden Aktien aus Europa immer noch auf Niveaus gehandelt, die nur dannplausibel sind, wenn weitere Turbulenzen bzw. eine Rezession abgewendet werden kann. Das macht sie anfällig für Kursverluste. In diesen schnelllebigen Märkten werden wir daher taktisch vorgehen, aber unsere generell vorsichtige Anlagestrategie und Positionierung beibehalten."