US-Präsident Donald Trump unterschätzte die Entschlossenheit des chinesischen Präsidenten Xi Jinping, als er die Zölle auf Importe aus China im Wert von rund 200 Milliarden US-Dollar von 10% auf 25% erhöhte und seinem Gegenspieler in Peking empfahl, nicht mit gleicher Münze zu reagieren. Der Ratschlag fand kein Gehör.
Trumps Maßnahme und Chinas Reaktion darauf – die Einführung von Zöllen auf US-Exporte im Volumen von 60 Milliarden US-Dollar, womit jetzt amerikanische Ausfuhren im Wert von insgesamt 110 Milliarden US-Dollar betroffen sind – führten dazu, dass der S&P 500 Index am 13. Mai 2019 um 2,41 Prozent nachgab. Das war das deutlichste Tagesminus seit dem 3. Januar dieses Jahres. Daraus und aus dem Rückgang der Renditen 10-jähriger amerikanischer Staatsanleihen auf den niedrigsten Stand seit 2017 lässt sich nur folgern, dass die Anleger verunsichert sind, wie sich der jüngste Schlagabtausch in dem langwierigen Handelsstreit wohl auf das Wachstum der US-Wirtschaft auswirken wird.
Für die Nervosität an den Börsen gibt es gute Gründe. Wenngleich die Zölle China wegen seines Handelsüberschusses mit den USA (2018 waren es 379 Milliarden US-Dollar) zunächst mehr schaden, steht Peking keineswegs ohne Mittel zur Gegenwehr da. Möglicherweise kann die Volksrepublik die Probleme, die ihr der US-Präsident bereitet, länger aussitzen als viele glauben.
Nach dem Urteil der Optionsmärkte sind chinesische Aktien attraktiver
Die Optionspreise, die wichtige Erkenntnisse über Veränderungen der kurzfristigen Marktrisiken vermitteln, signalisieren, dass Trump sich womöglich auf einen Kampf eingelassen hat, bei dem seine Chancen auf einen Sieg mit der Zeit eher kleiner als größer werden. Im S&P 500 und anderen US-Aktienindizes ist das Verhältnis des erwarteten Gewinnpotenzials (abzulesen an den Preisen von Kaufoptionen) zum erwarteten Verlustpotenzial (abzulesen an den Preisen von Verkaufsoptionen) in den letzten Tagen stark zurückgegangen. Infolgedessen gehören US-Aktien inzwischen zu den am wenigsten attraktiven Werten im Kreis der Industrieländer, und sie sind auch weniger attraktiv als die „A-Aktien“, die an der Börse von Schanghai gehandelt werden, und die in Hongkong notierten „H-Aktien“.
Zwischen dem 1. und dem 10. Mai ist das Verhältnis von Gewinn- zu Verlustpotenzial bei A-Aktien und im Hang Seng Index (in dem H-Aktien erhebliches Gewicht haben) um 5,5% auf 0,98 beziehungsweise 0,96 gesunken. Im gleichen Zeitraum verschlechterte sich dieser Kennwert für den S&P 500 um 13% auf 0,89. Mit anderen Worten: an den Optionsmärkten hat in den letzten Wochen ein Umdenken stattgefunden. Die Preise signalisieren nun, dass chinesische Aktien aus Sicht der meisten Marktteilnehmer ein potenziell besserer Kauf sind als US-Aktien.
Das mag zum Teil daran liegen, dass China anders als die USA eine Reihe von Gegenmitteln zur Verfügung hat, um mögliche negative Auswirkungen des Handelskriegs zu kompensieren. Sollte Präsident Xi aus politischen Motiven nicht gewillt sein, den USA Zugeständnisse zu machen, könnte Peking überdies die Suche nach einer Einigung verschleppen, da die Kosten, die ein solches Verhalten verursachen würde, vielleicht gar nicht so hoch wären. Dringend auf einen Erfolg angewiesen ist vielmehr die US-Seite, denn für sie gilt eine unverrückbare Deadline, auf die Präsident Trump absolut fokussiert ist: die US-Präsidentschaftswahlen des Jahres 2020.
Die Waffen der Haushalts- und Geldpolitik
China kann seine Wirtschaft jederzeit mit haushaltspolitischen Instrumenten ankurbeln, um mögliche wirtschaftliche Bremseffekte der Handelszölle auszugleichen. Laut einer Meldung von Bloomberg News vom 16. Mai stehen der Zentralregierung und den lokalen Behörden in China nicht verbrauchte Haushaltsmittel in Höhe von 3,65 Billionen US-Dollar zur Verfügung. Zur Verdeutlichung: Diese Summe entspricht der gesamten jährlichen Wirtschaftsleistung Deutschlands. Mit den Geldern können bei Bedarf Projekte der öffentlichen Hand finanziert werden. Eine Erhöhung der staatlichen Ausgaben in großem Stil würde der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt kurzfristig neuen Schwung verleihen. Vergleichbare stimulative Maßnahmen zur Eindämmung kurzfristiger negativer Effekte von Zöllen wären in den USA praktisch unmöglich. Erstens würde bis zur Umsetzung entsprechender Programme viel Zeit vergehen, und zweitens ist kaum zu erwarten, dass das von den Demokraten beherrschte Repräsentantenhaus zusätzliche Ausgaben für Infrastrukturprojekte bewilligen würde, die dann möglicherweise Trumps Chancen auf eine Wiederwahl erhöhen würden.
Nicht ganz anders ist das Bild bei der Geldpolitik. Wie der Chef der Federal Reserve Bank von New York, John Williams, am 14. Mai erklärte, erhöhen Zölle tendenziell die Inflation. Dieser Effekt wird noch verstärkt, wenn die Währung des Gegenübers, in diesem Fall also der Yuan, nicht frei gehandelt wird und infolgedessen nicht in dem Maße an Wert verliert, wie es der Höhe der Zölle eigentlich entspräche (seit Beginn des Handelsstreits hat der Yuan allerdings sehr wohl nachgegeben). Dieses Inflationsrisiko – in Kombination mit einer so niedrigen Arbeitslosigkeit wie seit Jahrzehnten nicht mehr – begrenzt die Möglichkeiten der US-Notenbank (Fed), die negativen Folgen von Handelszöllen durch eine Lockerung der Geldpolitik zu kompensieren. Obwohl Präsident Trump beharrlich Druck auf die Fed ausübt, die Zinsen zu senken, hat diese kürzlich bekräftigt, sie werde bei der Beurteilung der Inflationsrisiken an ihrem geduldigen, datenbasierten Kurs festhalten.
China kennt derlei Beschränkungen nicht: Bei den Ausfuhren in die Volksrepublik liegen die USA auf Platz 3 hinter Japan und Südkorea. Güter aus den USA haben insofern weniger Einfluss auf die Inflation in China als die Warenströme in umgekehrter Richtung. Die People‘s Bank of China kann dadurch auch in stärkerem Maße zum Mittel einer expansiveren Geldpolitik greifen, sodass Peking neben der Erhöhung der staatlichen Ausgaben ein weiteres Instrument zur Verfügung steht.
US-Treasurys als Waffe
Bei seiner Bewerbung um eine zweite Amtszeit möchte Trump für sich reklamieren können, derjenige zu sein, der China für langjährige unfaire Handelspraktiken – wie Diebstahl geistigen Eigentums und erzwungene Weitergabe von Technologie – zur Verantwortung gezogen hat. Wichtig ist für Trump auch ein fortgesetzter Anstieg des S&P 500. Unglücklicherweise sind beide Ziele schwer miteinander vereinbar. Durch die Eskalation des Handelsstreits macht der US-Präsident zwar auf seine Anhänger den Eindruck des knallharten Machers, er entfacht aber zugleich Gegenwind für die US-Börse.
Das weiß auch China. Peking kann den Handelskrieg in die Länge ziehen und damit vielleicht die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass es am Ende die USA sind, die Zugeständnisse machen müssen. Bei diesem Szenario wäre Geduld aus chinesischer Sicht eine Tugend. Neben dem Einsatz geld-und haushaltspolitischer Waffen wird China möglicherweise auch seine Käufe und Bestände von US-Staatsanleihen reduzieren (müssen), um ein Konjunkturprogramm zu finanzieren. Das wäre für Washington ein weiterer harter Schlag, der die Möglichkeiten der USA einschränken würde, Schulden und Konsum zu finanzieren.
Die positive Seite einer längeren Auseinandersetzung mit China bestünde darin, dass es dann immer unwahrscheinlicher würde, dass Trump eine Ausweitung der Handelsstreitigkeiten auf Partnerländer in anderen Teilen der Welt riskiert – den europäischen Autobauern hatte er ja kürzlich bereits via Twitter mit Strafzöllen gedroht. Diese Einschätzung stimmt mit Signalen von den Optionsmärkten überein, wonach für Aktien in großen exportorientierten Volkswirtschaften wie Japan und Europa das Gewinnpotenzial größer ist als das Verlustrisiko.
Oberflächlich betrachtet werden höhere Zölle, die über einen längeren Zeitraum auf eine noch größere Zahl von Gütern erhoben werden, China vielleicht mehr schaden als den USA. Es wäre indessen nicht verwunderlich, wenn der Handelskrieg kurzfristig weitertoben oder China langfristig mit seinem überlegenen Arsenal an „Waffen“ am längeren Hebel sitzen würde.
Wiedergabe mit Genehmigung und Lizenz von Bloomberg. Erstveröffentlichung am 20.5.2019.