Zeugt die jüngste Abschwächung der Weltwirtschaft davon, dass die Globalisierung an Dynamik verliert?
Jim Cielinski: Zum Teil spiegelt sich in dem schwächeren globalen Wachstum ein abnehmendes Tempo der Globalisierung wider. Wir sollten uns jedoch vergegenwärtigen, dass diese Entwicklung schon deutlich zu erkennen war, noch bevor der Handelsstreit voll entbrannte. In den vergangenen 18 Monaten ging es außerhalb der USA die meiste Zeit wirtschaftlich abwärts – in China, Europa, aber auch in den Schwellenländern zeichneten die Konjunkturdaten durchweg ein trübes Bild. Ein Abschwung ist sicher nichts Neues, und man sollte auch den zusätzlichen Bremseffekt durch den Handelsstreit als Grund nicht überbewerten.
Meiner Ansicht nach werden die kurzfristigen Folgen des Außenhandels für die Konjunkturentwicklung überschätzt. Zweitrundeneffekte wie steigende Kosten, Investitionsausfälle und langfristige Unterbrechungen von Lieferketten, die besonders bei einer weiteren Verschärfung der Handelsspannungen an Bedeutung gewinnen würden, werden dagegen unterbewertet. Ein regelrechter Handelskrieg stellt ein erhebliches Risiko dar, doch wichtig ist auch, dass Globalisierung ein viel breiteres Phänomen ist, das weit über bloße Handelsbeziehungen hinausgeht. Die demografische Entwicklung, eine niedrige Produktivität und der technologische Wandel sind alles Faktoren, die maßgeblichen Einfluss auf das wirtschaftliche Umfeld haben. Durch diese langfristigen Trends sind die Bedingungen entstanden – insbesondere ein wachstumsschwaches Umfeld mit geringer Inflation –, an denen sich die Zinsmärkte und die Geldpolitik nun zu orientieren haben.
Gesteht die US-Notenbank mit dem Umschwenken auf einen expansiveren Kurs eigene Fehler ein?
Jim Cielinski: Die Federal Reserve (Fed) hat wie andere internationale Notenbanken ihren Kurs geändert und verfolgt nun wieder eine lockerere Geldpolitik. Vorangegangen war eine Zinserhöhungsphase im letzten Teil des Jahres 2018. Gemessen an den wirtschaftlichen Fundamentaldaten haben sich die Erwartungen an die Geldpolitik in den letzten sechs Monaten so dramatisch verändert wie selten zuvor. Um aber die Frage zu beantworten: Nein, ich glaube nicht, dass die Fed demnächst eingestehen wird, einen Fehler begangen zu haben. Aus Sicht der Mitglieder des Offenmarktausschusses gab es angesichts der Vollbeschäftigung in den USA gute Gründe, über den Inflationsdruck besorgt zu sein – nun ließe sich argumentieren, der Handelsstreit sei eben dazwischengekommen. Dies mag zutreffen oder auch nicht, die Fed hat damit jedenfalls einen guten Vorwand, um schnell wieder von ihrem restriktiven Kurs abzurücken.
Nach meinem Eindruck ist man in Fed-Kreisen tatsächlich beunruhigt darüber, dass die eigenen Modelle schlichtweg nicht funktionieren. Wenn die herkömmlichen, auf der Phillips-Kurve basierenden Modelle korrekt wären, hätten die USA im letzten Jahr eine höhere Inflationsrate haben müssen. Ein abnehmendes Vertrauen in diese Modelle hat die FOMC-Mitglieder veranlasst, sich schnell von alten Vorstellungen zu lösen.
Das ist eine bedeutende Veränderung, und wir stehen an einem geldpolitischen Wendepunkt. In fast allen Industrieländern setzen die Notenbanken wieder auf einen expansiveren Kurs.
Normalisierung der Geldpolitik – ist dieses Ziel gestorben?
Jim Cielinski: Von einer Normalisierung, wie wir sie uns bisher vorgestellt haben, kann sicher keine Rede mehr sein. Im vergangenen Jahr gelang es fast keiner Notenbank, die Zinsen deutlich über die Null-Prozent-Marke zu hieven. Und die wenigen, die das schafften, mussten schnell feststellen, dass ihr Spielraum nach oben viel enger war als geglaubt. Die Möglichkeit einer Normalisierung zum jetzigen Zeitpunkt, an dem der reale Gleichgewichtszins so niedrig ist, stellt die Wirksamkeit der klassischen Methoden der Geldpolitik in Frage.
Wir befinden uns wieder im Konvergenzmodus – die meisten großen Notenbanken stoßen ins gleiche Horn. Für kurze Zeit, nämlich als die Fed mit Zinserhöhungen begann, schien Divergenz angesagt zu sein. Anders als gewohnt gelang es jedoch keiner Notenbank, dem US-Beispiel in nennenswertem Umfang zu folgen. Jetzt, wo alle wieder im Lockerungsmodus sind und Konvergenz die Situation zutreffend beschreibt, fragen Beobachter zu Recht, was die Notenbanken im Fall eines deutlichen Konjunktureinbruchs zu tun gedenken.
Der erste Schritt dürfte der Griff in die gleiche Trickkiste sein wie beim letzten Mal, sprich quantitative Lockerung, Negativzinsen, Ankauf von Unternehmensanleihen und Pfandbriefen. Allerdings dürften diese Maßnahmen beim erneuten Gebrauch weniger Wirkung zeigen, und die Spielräume der Notenbanken sind begrenzt. Man sollte vor diesem Hintergrund anfangen zu fragen, welche geldpolitischen Schritte sonst noch denkbar wären. Richtungswechsel in der Geldpolitik können erheblichen Einfluss auf die Vermögenspreise haben – für die Börsen gehören sie oft zu den wichtigsten Ereignissen überhaupt. Um eine optimale Wirkung zu erzielen, wird die Haushaltspolitik die Maßnahmen der Notenbanken flankieren müssen. Die Politik wird sich dadurch vor Herausforderungen gestellt sehen. In Europa beispielsweise könnten die Probleme in Gestalt des wachsenden Einflusses populistischer Strömungen noch verstärkt werden.
Sind Hochzinsanleihen und Asien die letzten Bastionen, in denen interessante Renditen zu holen sind?
Jim Cielinski: Die Suche nach akzeptablen Renditen war in den letzten Jahren ein großes Thema, das nur selten und dann jeweils nur für kurze Zeit in den Hintergrund trat. Nun sind die Zinsen jedoch niedrig, und daran dürfte sich so bald nichts ändern. Hinzu kommt eine Verengung der Spreads von Unternehmensanleihen. Die Suche nach höheren Renditen geht also weiter.
Für Anleger zählt die Balance zwischen ordentlichem Ertrag und relativer Sicherheit, und meines Erachtens gibt es immer noch einige Bereiche, in denen diese Kombination zu finden ist. An den Kreditmärkten gehen niedrige reale Renditen aktuell oft mit geringen Ausfallrisiken einher. Durch eine expansive Geldpolitik könnte sich der Kreditzyklus verlängern, und dann wären Schuldpapiere von Unternehmen eine vergleichsweise attraktive Option. Andere Bereiche, die wie Hypothekenkredite im laufenden Zyklus keine starke Expansion erlebt haben, erscheinen ebenfalls interessant.
Viele Anleger finden akzeptable Renditen am langen Ende der Kurve und können mit solchen Papieren zugleich ihre Portfolios diversifizieren. Vergleichsweise attraktive Erträge sind auch am vorderen Ende der Kurve in Industrieländern zu haben, etwa in den USA.
Ich glaube nicht, dass das Thema laufende Erträge in absehbarer Zeit an Bedeutung verlieren wird. Anleger sollten sich fragen, was sie von einem ertragsorientierten Portfolio erwarten und welche Ziele sie verfolgen. Wenn dies geklärt ist, bieten sich meiner Ansicht nach weltweit in etlichen Bereichen interessante Möglichkeiten.