Was sind Ihrer Meinung nach die revolutionärsten Veränderungen in der Arzneimittelentwicklung?
Bisher bestand die Arzneimittelentwicklung darin, chemische Verbindungen zu modifizieren, sie zu testen und empirisch zu untersuchen, ob das Medikament die gewünschte Wirkung hatte. Heute ist eine gezieltere Entwicklung möglich. Wenn wir zum Beispiel das defekte Gen und das Protein, das es bildet, kennen, kann man dort direkt ansetzen. Dadurch wird die Therapie individualisierter und damit weitaus wirksamer.
Besonders revolutionär sind die Fortschritte bei der DNA-Sequenzierung, also dem Prozess, mit dem die Reihenfolge der chemischen Bausteine oder Basen, aus denen die DNA besteht, bestimmt wird. Sie ist heute in viel größerem Umfang und wesentlich schneller möglich. In der Vergangenheit konnte immer nur in einem DNA-Molekül auf einmal die Nukleotid-Abfolge bestimmt werden. Heute ist es dank neuer Technologie möglich, Millionen von Fragmenten gleichzeitig zu sequenzieren und die Daten mit wesentlich besserer Rechenleistung kostengünstiger zu analysieren. Dieser Prozess wird als Sequenzierung der nächsten Generation bezeichnet und hat zur Entdeckung neuer genetischer Ziele geführt, die der Schlüssel zum Verständnis und zur Behandlung von Krankheiten sind.
Diese neue Art der DNA-Sequenzierung ist für die Biomedizin das, was Halbleiter für die Computerindustrie sind. Die Medizin hat den Weg des Mooreschen Gesetzes eingeschlagen, und wir glauben, dass sie in diesem Bereich noch ganz am Anfang steht. Das Mooresche Gesetz ist das nach dem Mitbegründer von Intel, Gordon Moore, benannte Prinzip, wonach sich die Rechenleistung von Computern etwa alle zwei Jahre verdoppelt.
Wie machen sich Forscher dieses Wissen zur Behandlung von Krankheiten zunutze?
Es ist ein sich selbst verstärkender Prozess. Durch höhere Rechenleistung lässt sich die genetische Informationen viel schneller und billiger interpretieren. Gleichzeitig ergeben sich daraus mehr Behandlungsmethoden für Patienten. Früher wurden Krankheiten mit Pillen behandelt, die aus niedermolekularen chemischen Verbindungen bestehen. Im Laufe der Zeit wurden diese zu Biologika und Antikörpern weiterentwickelt, die die Krankheitsursache viel besser bekämpfen können. Heute sind wir in der Lage, das Genmaterial zu verändern.
Mithilfe der Gentherapie kann zum Beispiel eine funktionelle Kopie eines Gens hergestellt und in die Zellen eines Patienten eingeschleust werden. Dieses Gen produziert nun ein Protein, das zuvor vielleicht fehlte. Mit einer einzigen Infusion wird der Körper in eine Fabrik verwandelt, die das richtige Protein herstellen und so die Krankheit heilen kann. Wir verfügen also nicht nur über ein besseres Verständnis der Krankheitsursache, sondern auch über neue Wege, das Problem anzugehen.
Spielt Technologie dabei eine zentrale Rolle?
Wir haben in der Medizin durch unser Wissen und die Veränderung von genetischem Material erhebliche Fortschritte gemacht. Aber wir profitieren auch von den Weiterentwicklungen der Instrumente, die die Forscher benutzen. Die Röntgenkristallographie ist dafür ein gutes Beispiel. Mit dieser bildgebenden Technik können Wissenschaftler auf der Ebene der Atome sehen, wie gut sich ein Medikament an sein Ziel-Protein bindet. Dadurch werden selbst kleinmolekulare Medikamente zielgerichteter und wirksamer bei zugleich größerer Sicherheit. Unternehmen können leichter die Zulassung für ihr Produkt bekommen, womit sich zudem das Verhältnis von Risiko und Ertrag für Investoren verbessern kann.
Auch bei medizinischen Geräten und der Robotik gibt es Fortschritte. Im vergangenen Jahr gab die US-Arzneimittelbehörde (FDA) grünes Licht für den ersten integrierten kontinuierlichen Glukosemonitor (iCGM), der im Rahmen des Diabetes-Managements zum Einsatz kommt. Bei iCGM handelt es sich um ein Pflaster, das auf die Haut appliziert wird und in Echtzeit Glukosewerte an ein kompatibles Gerät wie z.B. ein Smartphone übermittelt. Es kann auch mit einer Insulinpumpe verbunden werden, die bei Bedarf automatisch Insulin abgibt. All dies ist nur möglich dank der Fortschritte bei Sensoren, Software, drahtloser Übertragung und mobilen Geräten. Diese Technologie hat die Art und Weise, wie Diabetiker mit ihrer Krankheit umgehen, von Grund auf verändert. Und das ist erst der Anfang, weitere ähnliche Beispiele in der Gesundheitsversorgung werden folgen.
Wie groß ist das Marktpotenzial einiger dieser neuen Therapien?
Wissenschaftler haben bisher etwa 7.000 seltene Krankheiten identifiziert, von denen aber nicht einmal 5% heute wirksam behandelt werden können. Zu wissen, welche Gendefekte genau vorliegen und diese durch eine einmalige gentherapeutische Behandlung korrigieren zu können, würde einen enormen Mehrwert für das Gesundheitssystem darstellen und das Leben der Betroffenen dramatisch verbessern. Aber wir haben noch einen langen Weg vor uns.
Herzkrankheiten beispielsweise gehören zu den häufigsten Todesursachen: Jeder vierte Todesfall in den USA ist darauf zurückzuführen.
Neue Therapien helfen, das Risiko einer schwerwiegenden Erkrankung wie einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu verringern. Aber selbst wenn man die Wahrscheinlichkeit für eine dieser Erkrankungen um 30% reduziert – was viel ist –, bleibt angesichts der hohen Fallzahlen noch viel Luft nach oben.
Was ist mit den aufsichtsrechtlichen Hürden, die genommen werden müssen, um neue Produkte auf den Markt zu bringen?
Die FDA beobachtet die vielen Fortschritte in der Medizin sehr genau und verfolgt einen pragmatischen Ansatz, um die Kosten der Medikamentenentwicklung durch eine enge Zusammenarbeit mit den Pharmafirmen zu senken. Zudem hat die US-Arzneimittelbehörde beschleunigte Zulassungsverfahren eingerichtet, um Produkte schneller auf den Markt zu bringen. Das schafft Anreize für Unternehmen, sich auf die wirklich innovativen Therapien zu konzentrieren. Das Ziel ist mehr Wettbewerb und eine bessere Behandlung der Patienten. Zugleich soll gewährleistet sein, dass sich die Mühe für die Unternehmen lohnt, deren Produkte es zur Marktreife schaffen.
Einen ähnlichen Ansatz verfolgen inzwischen auch andere Regulierungsbehörden etwa in Europa. China wiederum verstärkt seine Bemühungen, mehr Arzneimittel auf die nationale Medikamentenerstattungsliste zu setzen. Das Reich der Mitte hat zudem Reformen eingeleitet, um Innovationen zu fördern und den Zulassungsstau bei Medikamenten abzubauen. Da China der zweitgrößte Pharmamarkt der Welt ist, sind diese Veränderungen von erheblicher Bedeutung.
Das Gleiche gilt für medizinische Geräte. Die FDA hat es sich zum Ziel gesetzt, Zeitaufwand und Kosten der Markteinführung neuer Geräte zu senken. 2018 schuf die Behörde beispielsweise eine Möglichkeit, dass Geräte in Verbindung mit iCGMs ohne klinische Studien oder andere zeitintensive Tests auf den Markt gebracht werden können. Solche Initiativen dürften die Produktzyklen verkürzen und für mehr Wettbewerb sorgen, was dazu beiträgt, die Kosten für das Gesundheitssystem zu senken. Etablierten Unternehmen kann mehr Wettbewerb zu schaffen machen. Für Startup-Unternehmen aber, die etwas Neues auf den Markt bringen wollen, kann er hilfreich sein.
Ist der stärkere Wettbewerb auch ein Risiko für Anleger?
Anleger müssen sich bewusst sein, dass der Wettbewerb an Schärfe zunimmt. Das ist einer der Gründe, warum wir auch in nicht börsennotierte Unternehmen investieren. Wir wollen uns nicht nur bei Firmen engagieren, die heute führend sind, sondern auch bei solchen, die die Disruptoren von morgen sein könnten. Eine 2016 durchgeführte Marktanalyse von BIO Industry Analysis kam zu dem Ergebnis, dass 90% der in klinischen Studien getesteten Medikamente nie zur Marktreife gelangen. Deshalb halten wir es für wichtig, das Netz weit auszuwerfen und konsequent die Fundamentaldaten der Firmen zu analysieren.
Kleinmolekulare Medikamente: sind Medikamente mit einem niedrigen Molekulargewicht, die leicht in Zellen eindringen und Veränderungen bewirken können. Die meisten kleinmolekularen Medikamente werden in Tablettenform verabreicht, und neue Hilfsmittel wie die Röntgenkristallographie haben dazu beigetragen, die Medikamente zielgenauer und wirksamer zu machen.
Gentherapie: eine Methode, bei der gesunde Gene über ein virales Transportvehikel in Zellen eingeschleust werden, um einen genetischen Defekt zu korrigieren.
Die oben genannten Therapien dienen lediglich der Veranschaulichung. Die Informationen sollten nicht als Beratung missverstanden werden und stellen weder ein Angebot oder eine Aufforderung zu Ausgabe, Verkauf, Zeichnung oder Erwerb der Aktien der entsprechenden Unternehmen dar, noch sind sie Teil eines solchen Angebots oder einer solchen Aufforderung.